Seit etwa einem Jahr ist Enayatullah Rahat nun in Deutschland. Sein Asylverfahren ist noch nicht entschieden, doch er kämpft nicht nur für ein Bleiberecht, sondern auch für die medizinische Behandlung seiner Augen. Schon als Kind habe er nicht gut gesehen, doch seine Augen hätten sich immer weiter verschlechtert, so Rahat. Am Ende seiner Schullaufbahn habe er auch mit Brille große Probleme beim Lesen gehabt. Auch auf seiner Flucht brachten ihm seine Augen Probleme ein.
"Ich musste Afghanistan verlassen, weil ich von den Taliban bedroht wurde", sagt der 24-Jährige. Zwischen Bulgarien und Serbien sei er mit einer Flüchtlingsgruppe im Wald unterwegs gewesen, als der Fluchtbegleiter ihn fragte, warum er so langsam sei. Rahat versuchte sich zu erklären: "Ich sagte, ich hätte meine Brille verloren und könne den Weg nicht richtig erkennen. Dann hat er mich geschlagen", so Rahat.
Auch ohne Krankenversicherung hat man ein Recht auf medizinische Behandlung
In Deutschland angekommen, hoffte der 24-Jährige auf eine Behandlung seiner Augen. Dominic Weiss-Grein, Vorstandsmitglied des Vereins Würzburg Solidarisch e.V. unterstützt Rahat dabei, eine medizinische Versorgung seiner Augen zu erhalten. Asylbewerberinnen und -bewerber hätten nach Asylbewerberleistungsgesetz nur Anspruch auf eine Behandlung, wenn ein akutes Leiden vorliege, das dem Landratsamt nachgewiesen werden müsse, so Weiss-Grein. Er habe es jedoch für unwahrscheinlich gehalten, dass das Landratsamt Rahat einen Behandlungsschein ausstelle, da schlechte Augen nicht unbedingt als akutes Problem gelten. Doch ohne Behandlungsschein, keine Behandlung. Deshalb habe er sich an den MediNetz Würzburg e.V. (kurz: MediNetz) gewandt, um eine ärztliche Diagnose für Rahat zu bekommen.
Luca Huth ist Vorsitzender des MediNetz. "Wir vermitteln Menschen ohne Krankenversicherung an offizielle Praxen weiter," erklärt er. Die Praxen behandelten in der Regel unentgeltlich. Betroffen seien Menschen, die sich ihre Krankenversicherung nicht mehr leisten können und in den Notlagentarif rutschen, sowie Menschen aus der EU und aus Drittstaaten.
Rahat bekommt eine Operation, aber Besserung ist nicht in Sicht
Auch Rahat ist über das MediNetz so zu einer ersten Untersuchung gekommen. Seine Diagnose: Keratokonus. Eine fortschreitende Krankheit, bei der die Hornhaut der Augen ausdünnt. Die Folgen sind eine schrittweise Abnahme der Sehschärfe, die Schäden sind irreparabel. Das Voranschreiten der Krankheit lässt sich jedoch aufhalten. Deshalb habe der Arzt bescheinigt, dass eine Operation stattfinden müsse, so Weiss-Grein. Mit dem ärztlichen Schreiben habe er beim Landratsamt einen Behandlungsschein für Rahat bekommen. Rahat habe nun für den Dezember einen Operationstermin.
Dennoch sehe Weiss-Grein den Prozess kritisch. Die Gesundheit der Betroffenen leide darunter, weil nur dringende Behandlungen gemacht würden. Huth sieht noch einen weiteren Aspekt: „Es macht keinen Sinn, dass Menschen erst solange unter ihrer Krankheit leiden müssen, bis sie zum Notfall werden. Eine präventive Behandlung wäre in vielen Fällen günstiger.“
Die Stadt stellt 20.000 Euro für das Problem bereit
Etwa 70-80 Betroffene melden sich jedes Jahr beim MediNetz Würzburg, schätzt Antje Bakker, Mitglied im MediNetz. „Es gibt sicherlich noch deutlich mehr Betroffene in und um Würzburg“, meint Huth. Deshalb seien sie seit 2020 auch politisch aktiv, um die Versorgung der Menschen ohne Krankenversicherung zu professionalisieren.
Einen ersten Erfolg haben sie schon erreicht: Im Mai haben Stadt und Landkreis jeweils 10.000 Euro für die Versorgung der Menschen ohne Krankenversicherung zur Verfügung gestellt. Diese Summe wolle das Sozialreferat auch nächstes Jahr wieder bereitstellen, bestätigt die Würzburger Sozialreferentin Hülya Düber. Dennoch ist Huth zurückhaltend: „Wir sind froh über die 20.000 Euro, welche die Stadt und der Landkreis uns zur Verfügung stellen, aber das ist nicht ausreichend, um eine adäquate medizinische Versorgung sicherzustellen.“
Das MediNetz fordert eine städtische Struktur, um mehr Betroffene zu erreichen
Kürzlich überreichte das MediNetz der Stadt einen Brief, in dem es eine sogenannte Clearingstelle fordert. Bei dieser sollen sich Betroffene ohne bürokratische Hürden melden können, um eine (Wieder-)Eingliederung in eine Krankenversicherung zu erhalten. Laut MediNetz könnten jedoch manche Betroffene auch durch eine Clearingstelle nicht in das Regelsystem integriert werden. Für diese fordert der Verein einen Gesundheitsfonds, aus dem die Behandlungskosten finanziert werden sollen.
Die Kosten schätzt das MediNetz für den Landkreis Würzburg auf 89.000 Euro, für den Bezirk Unterfranken auf etwa 400.000 Euro. Doch die Ausgabe könnte anderorts auch Geld einsparen: „Durch frühzeitige Behandlungen kann man sowohl kostenintensive Notfallbehandlungen fortgeschrittener Krankheiten als auch Ansteckungen, wie etwa bei HIV, vermeiden“, so Huth.
Auch in den Haushaltsverhandlungen waren die Forderungen ein Thema
Das Bündnis 90/Die Grünen und die Linken beantragten Gelder für eine Clearingstelle und einen Gesundheitsfonds, ihre Anträge fanden keine Mehrheit. Hülya Düber sieht einen Gesundheitsfonds kritisch, sie will vorher eingreifen: "Das oberste Ziel ist die Rückkehr der Menschen in die Krankenversicherung", sagt die Sozialreferentin. Dafür brauche es Beratungsstrukturen. Ein Gesundheitsfonds für Menschen ohne Krankenversicherung sei keine kommunale Aufgabe und der Haushalt ohnehin herausfordernd, so Düber. Die Forderungen des MediNetz sind vorerst vom Tisch.