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Interview
Grünen-Minister Lucha: „Lauterbach begeht bei Krankenhausreform Wortbruch“
Baden-Württembergs grüner Gesundheitsminister Manfred Lucha geht hart mit den Ampel-Plänen zum Umbau der Kliniklandschaft ins Gericht. Die Politik in seinem Bundesland gilt oft als gelungenes Gegenbeispiel. Auch für Bayern.
Michael Pohl
 |  aktualisiert: 19.05.2024 02:39 Uhr

Herr Minister Lucha, Länder, Klinikverbände und Krankenkassen – alle halten eine Krankenhausreform für nötig. Doch quer über alle Parteigrenzen äußern die 16 Landesgesundheitsminister einhelligen Unmut über das Vorgehen von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach. Was ist Ihre Hauptkritik?

Manfred Lucha: Bundesgesundheitsminister Lauterbach hat bei der Krankenhausreform den Weg der Verständigung mit den Ländern verlassen und hält sich nicht mehr an gemeinsame Absprachen. Der Minister glaubt, zentralistisch vom Bund aus über das Krankenhausangebot vor Ort entscheiden zu können, obwohl die Planungshoheit laut dem Grundgesetz bei den Ländern liegt. Sie wissen am besten, wie die regionale Versorgung geregelt werden muss. Doch Minister Lauterbach bringt den Ländern ein Urmisstrauen entgegen. Dieses Vorgehen ist exakt 75 Jahre nach Inkrafttreten des Grundgesetzes traurig. Bei der Krankenhausreform haben jetzt alle 16 Länder einstimmig Reformvorschläge mit ihrer großen Erfahrung aus der Praxis gemacht. Wir Länder appellieren an Herrn Lauterbach, unsere Vorschläge ernsthaft aufzunehmen.

Der Minister will die Reform am Bundesrat vorbei beschließen. Welche Mittel haben die Länder?

Lucha: Das Vorgehen, die Krankenhausreform als nicht zustimmungspflichtiges Gesetz auf den Weg zu bringen, ist der größte Wortbruch, den sich der Bundesgesundheitsminister entgegen früheren Zusagen gegenüber den Ländern geleistet hat. Sollte der Bund die Vorschläge der Länder nicht aufgreifen, ist der Gang in den Vermittlungsausschuss unausweichlich. Und ob Karl Lauterbach dann ein gemeinsames Vermittlungsergebnis noch in seiner Amtszeit als Minister erleben wird, halte ich für fraglich. Wir halten das Vorgehen des Bundes, an den Ländern vorbei entscheiden zu wollen, für nicht rechtmäßig: Das Gutachten, das Baden-Württemberg zusammen mit Bayern, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein in Auftrag gegeben hat, kommt zu dem klaren Ergebnis, dass die Krankenhausreform ein im Bundesrat zustimmungspflichtiges Gesetz sein muss. Die Länder halten sich eine Klage offen, das hängt vom weiteren Verhalten des Bundes ab.



Woher kommt das gegenseitige Misstrauen?

Lucha: Das Kernproblem ist die Bundespolitik. Das zentralistische Denken widerspricht dem föderalen Prinzip. Doch das ist für den Bund nicht neu: Schon vor 30 Jahren hat der damalige CSU-Gesundheitsminister Horst Seehofer den Ländern Zulassungsbeschränkungen für das Medizinstudium aufs Auge gedrückt, die heute eine Mitursache für den sich abzeichnenden Ärztemangel sind. Ein weiteres Problem: Minister Lauterbach traut im Prinzip einzig und allein dem Professor Lauterbach. Diese Herangehensweise ist aber kurzsichtig. Lauterbachs Überschriften mögen gut klingen, aber wir brauchen nicht nur eine alleinige Stärkung der Universitätskliniken, die mir als baden-württembergischer Minister natürlich auch am Herzen liegen. Wir benötigen auch fern den Universitäten gute Maximalversorger, eine bessere gezielte Patientensteuerung, eine Bündelung der verfügbaren Leistungsmöglichkeiten und des knapper werdenden Personals und natürlich eine gute Notfallversorgung in der Region. Deshalb ist eine Krankenhausreform unbestritten wichtig.

Viele Menschen auf dem Land haben Angst, dass bei weniger allgemein-medizinischen Fällen die Versorgung in akuten Notfällen nicht mehr sicher ist …

Lucha: Diesen Ängsten muss man entgegentreten. Bei echten schweren Notfällen braucht es eine schnelle bestmögliche Versorgung: Mit einem schweren Schlaganfall oder einem Polytrauma nach einem schlimmen Unfall bringt der Notarzt den Patienten auch heute nicht einfach ins nächstgelegene Krankenhaus alter Schule, sondern in eine speziell darauf ausgerichtete Klinik. Deshalb ist es umso wichtiger in rollende Intensivstationen, bessere Luftrettung und in die digital vernetzte, unkomplizierte Zuweisung zur richtigen Stelle zu investieren. Daher ist das integrierte Notfallkonzept so wichtig und wird auch technisch immer besser werden. Aber auch wer sich am Abend beim Kochen oder Heimwerken böse in den Finger schneidet, wird auch in Zukunft gut in der Fläche versorgt werden. Die Menschen müssen sich da keine Sorgen machen. Deshalb streiten wir Länder mit dem Bund für eine gute Primärversorgung. Wichtig ist der Einstieg in die digitale Patientensteuerung: Mein Credo lautet: digital vor ambulant vor stationär.

In Fachkreisen wird Baden-Württemberg bescheinigt, beim Umbau der Krankenhauslandschaft erfolgreicher und weiter zu sein als viele andere Länder, auch Bayern. Sie stammen ursprünglich aus der Gegend von Altötting. Was kann man hier in Ihrer alten Heimat vom Nachbarland lernen?

Lucha: Ich bin der festen Überzeugung, dass wir die Krankenhausversorgung viel stärker bündeln müssen. Bayern ist ein sehr großes Flächenland, hat aber mit 13 Millionen Einwohnern nur zwei Millionen mehr als Baden-Württemberg. Bayern hat über 400 Kliniken, in Baden-Württemberg sind wir nach einem langen Prozess bei unter 200 angekommen. Mehr einzelne Krankenhäuser bedeuten nicht mehr Qualität oder mehr Versorgung. Ein Beispiel: Auf dem Höhepunkt der Coronapandemie mussten aus Bayern viel mehr Intensivpatienten ausgeflogen werden als aus anderen Ländern. Das lag nicht nur an den Infektionszahlen oder zu wenig Beatmungsgeräten, sondern vor allem daran, dass zu wenig Personal für die vorhandenen Versorgungskapazitäten vorhanden war. Ein ähnlicher Zustand droht überall durch den Fachkräftemangel, wenn wir nicht vorausschauend handeln.

Auch in Bayern versucht man Standorte zusammenzulegen, doch mitunter scheitert dies an Bürgerentscheiden oder Widerstand vor Ort. Was machen Sie anders?

Lucha: Solche Bürgerentscheide sind leider in der Sache nicht hilfreich, wenn sie eine notwendige Anpassung an Personalknappheit und steigende Qualitätsansprüche verhindern. Das wichtigste ist deshalb die Überzeugungsarbeit vor Ort. Dieser Prozess dauert in Baden-Württemberg schon sehr lange, weil es sehr viel an Kommunikation bedarf. Die Bürgerinnen und Bürger haben zunächst Angst, ein Angebot zu verlieren. Unsere Aufgabe ist es, zu erklären, wie wir die Leistungsfähigkeit unseres Krankenhaussystems erhalten, indem wir Angebote bündeln und konzentrieren. Krankenhäuser arbeiten dann viel enger zusammen, Standorte werden zusammengelegt und mitunter dafür auch neu errichtet. Das funktioniert nur im Dialog und mit Beteiligung vor Ort. Als Minister stelle ich mich den Bürgerinnen und Bürgern, gehe in jedes politische Gremium, das solche Entscheidungen trifft und auch in jede Fraktionssitzung, wenn gewünscht. Heute sagen uns Umfragen, dass für die Menschen die Qualität der Versorgung noch vor einer Erreichbarkeit in der Nähe liegt. 

Wie soll es nun mit der Krankenhausreform weitergehen?

Lucha: Wenn Bundesminister Lauterbach nicht auf die Forderungen der Länder eingeht, muss der Bundestag die Reform im parlamentarischen Verfahren deutlich nachbessern. Am Ende entscheidet der Bundesrat so oder so. Das Brutalste für die Krankenhäuser vor Ort ist derzeit, dass Minister Lauterbach ein Vorschaltgesetz für die finanzielle Absicherung der unter Inflationsfolgen leidenden Kliniken ablehnt. Hier müssen wir sofort umsteuern und verhindern, dass uns systemrelevante Kliniken wegkippen. Da sind auch die Bundestagsabgeordneten für ihre Wahlkreise in der Pflicht.

Zur Person: Der aus Altötting stammende Grünen-Politiker Manfred „Manne“ Lucha ist seit 2016 baden-württembergischer Minister für Soziales, Gesundheit und Integration. Der 63-Jährige machte in Weingarten bei Ravensburg zunächst eine Krankenpflegeausbildung und studierte später Sozialarbeit und Gesundheitsmanagement. 2021 errang er zum wiederholten Mal für die Grünen das Landtagsdirektmandat von Ravensburg.

 
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