Die einen schnüren die Laufschuhe, die anderen stemmen Gewichte im Fitnessstudio oder treten auf dem Rad in die Pedale. Sport hält fit und ist gesund. Aber gilt das auch für Krebserkrankte? "Wenn Patienten aktiv sind, können sie die Prognose ihrer Krebserkrankung deutlich verbessern", sagt Prof. Monika Reuss-Borst. Die Onkologin aus Bad Bocklet (Lkr. Bad Kissingen) hat mehrere Rehakliniken in der Region geleitet und forscht seit Jahren zum Thema Sport und Krebs. Im Gespräch erklärt sie, wann Schonung schaden kann, wie körperliche Aktivität das Sterberisiko senkt und warum ohne Spaß am Sport nichts geht.
Prof. Monika Reuss-Borst: Ja, man kann ganz klar sagen, dass durch Sport oder körperliche Aktivität Krebs verhindert werden kann. Das ist in zahlreichen Studien wissenschaftlich belegt – am besten für die häufigsten Krebsarten Darm- und Brustkrebs.
Reuss-Borst: Als besonders geeignet hat sich in Studien eine Kombination aus Kraft- und Ausdauertraining erwiesen. Letztendlich ist es aber egal, welche Sportart man betreibt: Hauptsache man ist körperlich aktiv und das mit einer gewissen Intensität.
Reuss-Borst: Es gelten im Prinzip die gleichen Regeln wie beispielsweise auch für Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Ideal sind 150 Minuten moderate körperliche Aktivität pro Woche – und je intensiver man trainiert, desto kürzer wird das Zeitintervall.
Reuss-Borst: Früher hat man Patienten mit einer Krebsdiagnose geraten, sich zu schonen und nicht mehr zu trainieren. Die Folge war, dass die Betroffenen ein sogenanntes Fatigue-Syndrom entwickelten, eine anhaltende Müdigkeit, und dass sie nur schwer zurück in den Alltag fanden.
Reuss-Borst: Heute empfiehlt man Patienten, aktiv zu bleiben – sogar während der Akuttherapie, beispielsweise einer Chemotherapie. Deshalb stehen auf den Krebsstationen mittlerweile auch Fahrradergometer, die Patienten dürfen und sollen trainieren. Studien haben sogar gezeigt, dass Patienten nach einer Stammzelltransplantation, also in einer medizinisch sehr belastenden Situation, weniger Krankheitskomplikationen entwickeln, wenn sie körperlich aktiv bleiben. Nicht aufhören zu trainieren, das ist somit die Botschaft.
Reuss-Borst: Wenn Patienten aktiv sind, können sie die Prognose ihrer Krebserkrankung deutlich verbessern. So sinkt zum Beispiel die Sterblichkeit bei Brust- oder Darmkrebs um bis zu 50 Prozent. Sport wirkt da wie ein Krebsmedikament. Der zweite Aspekt ist, dass bis zu 80 Prozent aller Krebspatienten mit der schon genannten Fatigue kämpfen und Aktivität gegen diese Müdigkeit hilft. Gleichzeitig lassen sich durch Sport beziehungsweise Bewegung auch Nebenwirkungen einer Therapie verringern. Und nicht zu unterschätzen ist, dass sich Sport positiv auf das psychosoziale Befinden auswirkt.
Reuss-Borst: Aktive Krebspatienten sind weniger häufig depressiv, haben weniger Angst und können insgesamt ihre Erkrankung besser bewältigen. Zudem fördert Sport Kontakte, verhindert Vereinsamung und stärkt das Selbstbewusstsein der Betroffenen. Wenn Patienten sagen können, ich hatte diese schwere Erkrankung, aber ich habe sie überstanden und bin jetzt wieder in der Lage, einen Halbmarathon zu laufen – das tut gut.
Reuss-Borst: Sport stärkt die Immunabwehr. Genau das trägt dazu bei, dass sich die Prognose für Krebspatienten verbessert. Außerdem laufen bei einer Krebserkrankung im Körper immer auch Entzündungsprozesse ab und diese können Begleiterkrankungen begünstigen. Sport senkt diese Entzündungsaktivität.
Reuss-Borst: Brustkrebspatienten können letztlich jeden Sport machen. Ausdauersport ist oft sinnvoll, gerade wenn Betroffene mit Übergewicht kämpfen. Deswegen rate ich, mit Ausdauertraining zu beginnen und das dann mit Krafttraining zu kombinieren. Schwimmen gehen, jetzt im Winter langlaufen, Rad fahren, joggen oder walken – das ist alles möglich. Bei Darmkrebs ist der Fokus ähnlich. Hingegen sollte man bei Leukämie darauf achten, wann man mit dem Training beginnt. Da es sich hier um eine sehr intensive Therapie handelt, würde ich im akuten Stadium leichtes Ausdauertraining empfehlen, später ebenfalls ein bisschen Krafttraining, dessen Intensität dann langsam gesteigert werden kann.
Reuss-Borst: In fast allen Regionen gibt es schon seit Ende der 1980er Jahre Krebssportgruppen. Diese werden oft wie Vereine geführt und Betroffene können sich den Aktivitäten anschließen. Im Internet finden sich ebenfalls Angebote, etwa im deutschlandweiten Netzwerk OnkoAktiv. Und gerade in ländlichen Regionen wie Unterfranken, wo vielleicht nicht so viele Möglichkeiten bestehen, ist es natürlich naheliegend, einfach mit dem Laufen anzufangen. Das ist der erste Schritt, der relativ leicht umzusetzen ist. Man muss es einfach nur machen.
Reuss-Borst: Das ist ein ganz entscheidender Punkt: Patienten müssen Spaß an der Aktivität haben und merken, dass es ihnen damit besser geht. Nur dann werden sie langfristig dabei bleiben. In Studien konnte man auch zeigen, dass es manchen Betroffenen hilft, wenn sie nach der Reha immer wieder kontaktiert und nach ihrem Trainingsfortschritt gefragt werden. Aktuell arbeite ich an einer Studie, in der wir Menschen über eine App motivieren wollen. Bekannt ist, dass das leichter fällt, wenn Patienten schon vor ihrer Krebserkrankung sportlich aktiv waren. Die Couchpotatoes zu überzeugen, ist oft nicht leicht. Selbst der Hinweis, dass Sport das Sterberisiko deutlich senkt, zieht manchmal nicht.
Reusse-Borst: Ja, das ist sehr gut untersucht. Die Daten zu Brust-und Darmkrebs zeigen, dass mit Sport das Risiko eines Rezidivs, eines Wiederauftretens, um 50 bis 60 Prozent gesenkt werden kann. Das ist enorm. Würde ein Medikament das leisten, würde es sofort zugelassen. Bei Sport geht das aber leider oft unter.
Reuss-Borst: Wer wirklich zu viel trainiert, etwa im Hochleistungsbereich, der kann es natürlich übertreiben und das kann dann beispielsweise zu Schmerzen führen. Deshalb ist es wichtig, dass Patienten nach Abschluss der Akuttherapie eine Reha machen und dort an den Sport herangeführt werden. Danach kann man sukzessive die Trainingsintensität steigern. Generell aber gilt: Dass Patienten zu viel Sport treiben, das ist sicher die Ausnahme.
Monika Reuss-Borst (57) arbeitet seit 30 Jahren als Onkologin und Fachärztin für Innere Medizin/Rheumatologie. Sie leitete mehrere Jahre die Rehaklinik Ob der Tauber in Bad Mergentheim und die Rehaklinik Am Kurpark in Bad Kissingen und lehrt an der Universität Göttingen. Seit 2015 betreibt sie eine Fachpraxis in Bad Bocklet. Sport und Krebs ist einer ihrer wissenschaftlichen Schwerpunkte, zu dem sie mehrere Publikationen veröffentlicht hat.