Oft hört man es an der Stimme. Sie wird leiser, Pausen werden länger, die Worte dazwischen bedeutsamer. Über eine schwere Erkrankung zu sprechen, fällt den meisten Menschen schwer. Angst, Hilflosigkeit, Schwäche, Trauer, all das passt selten zu dem Bild, das wir von uns zeigen wollen oder glauben zeigen zu müssen. Antonino Pecoraro hat das Darüber-Sprechen gelernt. "Es ist nicht so, dass ich ein Verbrechen begangen hätte, weil ich Krebs habe", sagt der Würzburger Grünen-Stadtrat. Offenheit habe ihm geholfen. Seine Stimme bleibt fest, als er den nächsten Satz sagt: "Ich habe Brustkrebs. Als Mann." Pause. "Und ich habe meinen Frieden damit gemacht."
Nur rund ein Prozent aller Brustkrebsfälle betrifft Männer
Januar 2015. Antonino "Nuccio" Pecoraro ist 59 Jahre alt. Im Urlaub, nach dem Duschen, bemerkt er einen Knoten in seiner rechten Brust. "Alle möglichen Gedanken schießen dir in so einem Moment durch den Kopf", erinnert sich der gebürtige Italiener. Zurück in Würzburg, spricht der Hausarzt einen davon aus: Eigentlich sei er doch zu jung für Brustkrebs. Eigentlich.
Antonino Pecoraro wird zur Mammographie geschickt. Im Wartezimmer ruft ihn die Arzthelferin auf: "Frau Pecoraro, bitte!" In diesem Moment macht es klick, "es war, als würde ein Schalter umgelegt", so der Stadtrat. "Kein Mensch denkt, dass ein Mann Brustkrebs haben kann." Nur wenige Tage später aber bringt eine Biopsie Gewissheit. Es ist Brustkrebs. Und jetzt?
Nur 18 Tage nach der Diagnose wird er operiert
Während pro Jahr mehr als 70 000 Patientinnen in Deutschland an der Krebsart erkranken, ist sie bei Männern wesentlich seltener. "Nur rund ein Prozent aller Brustkrebsfälle betrifft Männer", sagt Professor Achim Wöckel, Leiter der Frauenklinik am Uniklinikum Würzburg. Denn ein Hauptrisikofaktor für Brustkrebs sei eine hohe Östrogenexposition – und die sei schon naturgemäß bei der Frau höher. Jedoch: Auch Männer haben einen "geringen, aber vorhandenen Östrogenspiegel". Für Betroffene sei es natürlich "eine sehr besondere Situation, wenn sie von einer eher für Frauen typischen Erkrankung betroffen sind".
Antonino Pecoraro wird nur 18 Tage nach seiner Diagnose operiert. Alles geht gut, zweieinhalb Zentimeter Tumor werden entfernt. "Aber nach der OP fehlt plötzlich etwas und damit muss man erst einmal zurecht kommen", sagt der Kommunalpolitiker. "Ich habe lange gebraucht, bis ich meine Brust wieder anfassen konnte."
Eine Woche liegt er im Krankenhaus. Danach heißt es: Suchen Sie sich einen Frauenarzt und gehen Sie regelmäßig zu den Kontrolluntersuchungen. "Das war ein erneuter Schreck", sagt Pecoraro. Als Mann zum Frauenarzt, das fühlt sich falsch an. "Die Situation hat mich psychisch ziemlich fertig gemacht." Unsicherheit kommt auf, Scham, die Angst vor der Reaktion der anderen. Und die ersten Probleme: Von den meisten Würzburger Frauenärzten bekommt Pecoraro Absagen. Warum?
Niedergelassene Ärzte seien grundsätzlich an ihr Fachgebiet gebunden und dürfen keine fachfremden Leistungen erbringen und abrechnen, teilt die Arbeitsgemeinschaft der Krankenkassenverbände in Bayern (ARGE) mit. Und als fachfremd gelte eben beispielsweise die Behandlung von Männern durch Frauenärzte. Die Diagnostik von Brustkrebs bei Männern müsse somit zunächst durch andere Ärzte wie Radiologen oder Chirurgen erfolgen.
Noch vor einigen Jahren sei die Bindung an das Fachgebiet sehr restriktiv gehandhabt worden, bestätigt Peter Jurmeister, Vorsitzender des Vereins "Männer mit Brustkrebs". Heute würden teilweise Ausnahmen ermöglicht, das werde von den Kassenärztlichen Vereinigungen aber unterschiedlich gehandhabt.
Können Frauenärzte Männer mit Brustkrebs behandeln?
Im Freistaat haben sich die gesetzlichen Krankenkassen mit der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB) geeinigt: Ist Brustkrebs bei einem Mann diagnostiziert, stufe die KVB solche Fälle als Ausnahme ein, so die ARGE. Entsprechend könne "die Behandlung von Männern mit diagnostiziertem Mammakarzinom sowie die Tumornachsorge von Frauenärzten durchgeführt" und abgerechnet werden. Ein Brustkrebs-Früherkennungsprogramm für Männer gehöre jedoch nicht zum Leistungskatalog.
Das Problem: Da der Brustkrebs beim Mann so selten ist, seien die Ausnahme-Regeln "in vielen gynäkologischen Praxen nicht bekannt", sagt Jurmeister. "Männer werden abgewiesen." Wie Antonino Pecoraro. Der Stadtrat wird vom Frauenarzt weiter zum Urologen geschickt, der aber kann ihm nicht helfen. "Das war eine schlimme Zeit", gibt der heute 65-Jährige zu.
Er beginnt zu grübeln, fühlt sich allein gelassen. Die Gedanken fahren Karussell. Der fröhliche, optimistische Sizilianer. Der, der sich in Würzburg einen Namen als nimmermüder Kämpfer für Integration gemacht hat, der den Ausländerbeirat der Stadt mitbegründet hat, der seit Jahren die Italienischen Filmtage organisiert, zieht sich zurück. Einfach weitermachen funktioniert nicht. Also konzentriert sich Pecoraro auf sich, setzt sich mit seiner Erkrankung "tief auseinander".
Irgendwann wird er von einer Bekannten zufällig auf den Verein "Männer mit Brustkrebs" aufmerksam gemacht. "Das war ein Glücksfall", sagt Pecoraro. Dort findet er Informationen, ein Netzwerk, vor allem endlich Austausch mit anderen Betroffenen. Und neue Kraft.
Entscheidung für eine Strahlentherapie
Pecoraro entscheidet sich gegen eine Chemo- und für eine Strahlentherapie. Am Brustkrebszentrum der Würzburger Uniklinik findet er den richtigen Platz für sich, die weitere Behandlung und die Kontrollen werden hier stattfinden.
Erst aber muss er zur Reha. Fast ein bisschen widerwillig habe er damals darauf verzichtet, gleich wieder zu arbeiten, erzählt Pecoraro. Die Ärzte bremsten ihn aus, rieten dazu, langsam zu machen. Im Rückblick war es die richtige Entscheidung. Seine Arbeit als Integrations- und Migrationsberater hätte er damals, 2015, auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise, wohl kaum geschafft.
Als Mann in den typischen Reha-Brustkrebs-Gruppen ein Störfaktor
Aber: Auch die Reha fällt nicht leicht. Als Brustkrebspatient landet er in den typischen Brustkrebs-Gruppen der Klinik. Allein unter Frauen quasi. Was lustig klingt, ist hart. Wenn er zur Tür hereinkommt, wird er fragend angeschaut, wie ein Störfaktor. Oft heißt es: Sie sind falsch hier. Genau so fühlt es sich für Antonino Pecoraro an. "Man befindet sich plötzlich ein einem Gebiet, in das man nicht reinpasst", sagt Pecoraro. Das Mitlachen, das Scherze darüber machen, muss er erst lernen. Und das dauert.
"Ein Jahr lang habe ich mich aus der Bahn geworfen gefühlt", sagt der 65-Jährige. Fragen quälten ihn wie viele andere Krebspatienten auch. Wann hat das angefangen? War ich zu gestresst? Und vor allem: Warum ist es so gekommen? Pecoraro weicht nicht aus. Er analysiert sich und die Krankheit, nimmt an einer Studie zu Brustkrebs bei Männern teil, bekommt Medikamente und "erlebt, was Frauen in den Wechseljahren durchmachen". Er stockt. "Es war nicht einfach", sagt er leise. Die richtigen Worte fehlen plötzlich doch.
Trotzdem hat ihm das Reden immer geholfen. Verwandte, Freunde und Bekannte wissen um seine Erkrankung, er geht offen damit um. "Natürlich fließen erst einmal die Tränen, wenn man sagt, man hat Krebs", sagt Pecoraro. Verzweiflung und Sprachlosigkeit brächten einen aber nicht weiter.
Appell: Männer sollten früher zum Arzt gehen
Eine Brustkrebserkrankung zu akzeptieren, fällt jedoch gerade Männern schwer. Mann will das nicht wahrhaben. "Männer neigen dazu, aus Scham nicht zum Arzt zu gehen", bestätigt Pecoraro. "Sie lassen zu viel Zeit verstreichen und dadurch schreitet die Krankheit fort." Das kann fatale Folgen haben. "Männer sollten sich öfter anschauen", rät Pecoraro. "Es tut gut, zu erkennen, wo der Körper Probleme hat."
Antonino Pecoraro hat auch das gelernt. Seit seiner Operation sind fast sechs Jahre vergangen. "Es geht mir gut", sagt er heute. Er hatte keinen Rückfall, er achtet auf sich. Mehr als vorher. Zu seinem Alltag gehört viel Sport, Yoga, Gymnastik, Volleyball, Fahrradfahren und Wandern. Hauptsache Bewegung, alles, was den Körper unterstützt. "Ich bin froh und sehr dankbar", betont der Grünen-Stadtrat. Natürlich gebe es noch immer ab und an unangenehme Momente. In der Sauna etwa, wenn Leute ihn und seine Narben anstarren. "Dann sage ich, ich habe mich verletzt – oder mache Witze", sagt Pecoraro. "Irgendwann lernt man, darüber zu scherzen."
so etwas erwartet man eigentlich eher in der F.A.Z. oder der SZ, aber nicht hier.
Ich wünsche Herrn Pecoraro jedenfalls alles Gute für die Zukunft.