Diesen einen Satz hat Dorothea Traub nie vergessen. Auch nicht nach mehr als vier Jahrzehnten. "Wer einmal Krebs hatte, bekommt wieder Krebs", hat ein Arzt damals zu ihr gesagt. "Das war niederschmetternd", erinnert sich die 74-Jährige. Sie war jung, Mutter zweier kleiner Söhne und gerade an Schilddrüsenkrebs erkrankt. Geglaubt hat sie dem Mediziner nicht, sie wollte und konnte es nicht. Und sie hat bis heute Recht behalten.
Dorothea Traub leitet die Selbsthilfegruppe Krebsnachsorge Schweinfurt. Seit 40 Jahren. Um die 20 Mitglieder treffen sich regelmäßig einmal pro Monat. Normalerweise, in Zeiten ohne Corona. Wegen der Pandemie bleiben derzeit nur Telefonate. "Das fehlt", sagt Traub. Der Austausch mit anderen Betroffenen sei wichtig, mache Mut. "Gespräche unter Krebspatienten haben mit jammern nichts zu tun – sondern sie bauen auf." Sie zeigen: Man kann an Krebs erkranken und weiterleben, lange und ohne Rückfall.
Statistisch steigen die Heilungschancen für Krebspatienten
Wie hoch aber ist die Überlebenschance? Pauschal lasse sich das nicht beantworten, sagt Prof. Ralf Bargou, Onkologe an der Würzburger Uniklinik und Leiter des Comprehensive Cancer Centers (CCC) Mainfranken. Abhängig sei die Prognose dabei nicht nur von der Tumorart, sondern unter anderem auch vom Alter, dem Geschlecht, den Lebensumständen oder vorhandenen Begleiterkrankungen. Durch klinische Krebsregister sei allerdings bekannt, dass gut die Hälfte aller Patienten mit Krebsdiagnose insgesamt geheilt werde oder zumindest mit der Erkrankung leben könne. Und der Anteil steige.
Einmal Krebspatient, immer Krebspatient, das stimme so also nicht. "Geheilt ist geheilt", sagt Bargou. Die Chance, dass man nach erfolgreicher Behandlung nie wieder Krebs bekomme, sei hoch. Hundertprozentig vorhersagen lasse sich ein Rezidiv oder das Auftreten einer anderen Krebserkrankung aber nie. So sei auch die oft kommunizierte Fünf-Jahres-Regel (wer die ersten fünf Jahre nach der Diagnose überlebt, hat gute Chancen auf dauerhafte Heilung) nur eine statistische Größe und sie "gilt nur bei einem Teil der Tumorerkrankungen", so Bargou.
Genau 41 Jahre ist es her, dass Dorothea Traub ihre Diagnose bekam. Schilddrüsenkrebs. Sie wird im Krankenhaus in Schweinfurt operiert. Dabei seien die Stimmbänder verletzt worden, so Traub. "Ich hatte keine Stimme mehr. Das war brutal." Sie fährt nach Erlangen in die Uniklinik. Dort sagen ihr die Mediziner ganz klar: Ihre Stimme werde sie niemals wieder finden.
Ein stummes Leben ist aber kaum vorstellbar für die junge Mutter. "Ich habe immer geglaubt, dass es wieder gut würde", sagt Traub. Sie habe einfach weitergemacht, sich beschäftigt, durchgehalten. Nicht nachdenken, nicht hadern. Aber auch nach der Jod- und Strahlentherapie in Heidelberg kann sie nur flüstern. Traub geht zu Logopäden, zur Elektrostimulation, zu Neurologen. Und eines Abends, bei einem Essen mit Freunden, "habe ich angefangen zu krächzen", erinnert sich die Schweinfurterin. "Das war wie ein Wunder." Die Stimme kam langsam zurück. Heute merkt man im Gespräch nichts mehr. Und genau das will sie anderen Krebspatienten zeigen: Man kann wieder gesund werden.
Krebspatienten können unter körperlichen, seelischen und sozialen Spätfolgen leiden
Natürlich gelingt das nicht immer und unbedingt ohne Probleme. Manche Krebspatienten kämpfen mit Spätfolgen ihrer Erkrankung. Dabei muss nach Angaben des Krebsinformationsdienstes am Deutschen Krebsforschungszentrum zwischen körperlichen, seelischen und sozialen Aspekten unterschieden werden.
"Eine Krebserkrankung kann je nach Alter auf das soziale Umfeld und die Lebensentwicklung generell Einflüsse haben und somit auch auf die Psyche – bis hin zu Depressionen, die entstehen können", sagt CCC-Leiter Bargou. Daneben spielen körperliche Folgen eine große Rolle, vor allem bei jüngeren Patienten, die durch eine intensive Strahlen- oder Chemotherapie ihre Erkrankung überlebt haben.
Beispiel Hodgkin-Lymphom: Die bösartige Erkrankung des Lymphsystems tritt häufig bei jungen Erwachsenen auf, sie kann laut Bargou mittlerweile mit über 90 Prozent Wahrscheinlichkeit geheilt werden. "Aber durch die Chemo- und Strahlentherapie kann es zu Schädigungen des Herzens, der Schilddrüse oder der inneren Organe kommen". Oder zu einer späteren, anderen Krebserkrankung. Generell versuche man daher heutzutage, Chemo- und Strahlentherapien milder zu gestalten. Die Hoffnung ruhe hier vor allem auf modernen Immuntherapien, die schonender seien.
Neben körperlichen und psychischen Folgen, wirkt sich Krebs manchmal auch auf die finanzielle Situation der Betroffenen aus. "Viele Patienten, die geheilt sind, wollen wieder komplett ins Arbeitsleben", sagt Bargou. Was aber, wenn das nicht möglich ist? In der Regel gebe es ein gewisses soziales Netz, so dass Patienten aufgefangen werden und zumindest eine Frührente bekommen, sagt Bargou. Wenn jedoch "die Absicherung und das familiäre Netz nicht da sind, kann es zu sozialen Problemen führen".
Hinzu kommt: Von den Krankenkassen würden viele, aber nicht alle Ausgaben erstattet, sagt Dorothea Traub. Dagegen wehren sich nicht alle Krebspatienten, "weil man in dem Moment einfach andere Sorgen hat, gesund werden will". Mit der Selbsthilfegruppe Krebsnachsorge, die der Bayerischen Krebsgesellschaft angegliedert ist, will sie die Betroffenen unterstützen. Denn aus ihrer Erfahrung hilft vor allem eines: Nicht allein zu sein.
Genau so hat es Gabriele Z. erlebt. 1993 erkrankt die Schweinfurterin an Brustkrebs, sie entscheidet sich für eine Amputation, liegt lange im Krankenhaus. Dann, nach der Reha, schließt sie sich der Selbsthilfegruppe Krebsnachsorge an. "Die Gruppe ist super", sagt sie. Das einfache Adjektiv versteckt, wie wichtig die Gemeinschaft für die 69-Jährige ist.
Erst nur Teilnehmerin, übernimmt Gabriele Z. heute die Versorgung der Gruppe. Plätzchen und Stollen im Winter, Gemüsebrote im Frühling. Die Gemeinschaft half und hilft ihr und fehlt in der Pandemie. Denn im Kontakt mit anderen Patienten sieht man auch: "So schlecht geht es mir gar nicht", sagt die 69-Jährige. Sie kommt mit der amputierten Brust gut klar, "ich verstecke mich nicht". Weder im Schwimmbad in der Umkleidekabine, noch am Strand im Urlaub.
Im Beruf allerdings "wussten die Kollegen nicht immer damit umzugehen", so Z. Sie habe schnell wieder gearbeitet, die regelmäßigen Fehltage für Nachuntersuchungen hätten manchmal negative Kommentare hervorgerufen. "Da muss man teilweise schon schlucken", sagt Z.
Bis heute ist ihr die Angst vor den Nachsorgeterminen geblieben. "Eine Woche vorher sage ich meinen Bekannten, bitte sprecht mich nicht an", erzählt Z. Die Furcht vor einem Rückfall ist nie verschwunden.
Ähnlich geht es vielen Krebspatienten. Wie kann man diese dauernde Angst ablegen? "Das ist ein Prozess, es passiert mit der Zeit", sagt die Würzburger Psychoonkologin Evelyn Flohr-Schmitt. Es helfe, sich bewusst zu machen, dass man durch die ärztliche Nachsorge besser beobachtet sei. Zudem sei es wichtig, mehr auf den Körper zu hören. Aber es dauere natürlich, "das Vertrauen muss erst zurückerobert werden".
Leicht ist das nicht. Gabriele Z. jedoch muss 2004 einen "für mich wesentlich schlimmeren" Schicksalsschlag verarbeiten. Ihr Mann stirbt, ein Halt bricht weg. "Das hat mir den Boden unter den Füßen weggezogen", sagt die 69-Jährige. Ihre Kinder und Enkel fangen die "leidenschaftliche Oma" auf. Und die Krebs-Selbsthilfegruppe.
Denn nicht jedes Gespräch kann man mit der Familie führen. Oft braucht es den Austausch mit anderen, die die Erfahrung Krebs teilen. Man merke, wenn jemand das auch erlebt habe, sagt Dorothea Traub. Wie Gabriele Z. lebt sie bis heute ohne Rückfall. Ihr gehe es gut, sagt sie. Die 74-Jährige hat den Krebs längst hinter sich gelassen und doch irgendwie zur Lebensaufgabe gemacht. Im positiven Sinne.