Leukämie, Blutkrebs: für Betroffene eine Schockdiagnose. Dabei bestehen über die Stammzelltherapie heute gute Heilungschancen – bei Kindern ebenso wie bei Erwachsenen, bei Leukämie wie bei anderen Krebsarten. Im Stammzellzentrum an der Würzburger Uniklinik werden pro Jahr inzwischen an die 300 Transplantationen vorgenommen, entweder mit Stammzellen von Fremdspendern (allogen) oder eigenen Stammzellen des Patienten (autolog). Nach dem "Herunterfahren" des Immunsystems wird dadurch das Blutbild regeneriert: Binnen 24 Stunden siedeln sich transplantierte Stammzellen am Knochenmark des Empfängers an und übernehmen lebenswichtige Funktionen.
Stammzellzentrum der Uniklinik: Am Anfang war die Bürgerschaft
Eröffnet wurde das Stammzellzentrum, das einzige in der Region, im Jahr 2005 direkt neben der Uni-Kinderklinik als Neubau zunächst gemeinsam für Kinder und Erwachsene. Mit der Fertigstellung des Zentrums für Innere Medizin (ZIM) verlagerte man den Erwachsenenbereich 2009 unter das Dach der Medizinischen Klinik und Poliklinik II.
Erst eine großangelegte Kampagne aus der mainfränkischen Bürgerschaft hatte der Stammzelltherapie in Würzburg vor 20 Jahren den Weg gebahnt: Damals brachte Spendensammlerin Gaby Nelkenstock eine Million D-Mark als Anschubfinanzierung zusammen. Zuvor hatten die Krankenkassen zwar die Übernahme von Behandlungskosten zugesagt, doch der Freistaat zögerte mit dem Bau. Durch den starken Rückhalt aus der Bevölkerung wurde er dann doch realisiert.
„Ich bin dankbar und demütig, dass ich ein Teil dieser Geschichte sein durfte“, sagt Nelkenstock heute. Dass durch die Gründung des Stammzelltransplantationszentrums hochkarätige Krebsmediziner für die Uniklinik gewonnen wurden, ist ein anderer, wesentlicher Teil dieser Geschichte. „Ohne das Zentrum wäre ich nicht gekommen“, sagt der Gründungsleiter, Kinderonkologe Prof. Paul-Gerhardt Schlegel, heute ganz offen. Aus Tübingen zurück nach Stanford/USA – oder nach Würzburg? Schlegel und seine Familie entschieden sich für Unterfranken.
Mit Prof. Hermann Einsele folgte ihm ein weiterer namhafter Krebsspezialist aus Tübingen als Direktor der Medizinischen Klinik und Poliklinik II. Ebenfalls aus Tübingen kam der Kinderonkologe Prof. Matthias Eyrich, der sich auf die Aufbereitung von Stamm- und Immunzellen spezialisiert hat, dazu Prof. Matthias Wölfl aus Seattle. Aufbereitet werden die Spenderzellen in einem speziellen Zelltherapielabor mit eigenen Reinräumen – und zwar so, dass sie für den Empfänger möglichst perfekt passen. Immunzellen, die zu Abstoßungsreaktionen führen könnten, werden dabei herausgefiltert.
Stammzellen von Spendern aus der Familie
Man nutzt dieses Verfahren immer häufiger für eine dritte Variante der Transplantation: die haploidentische. Findet sich kein passender Fremdspender oder lässt der schlechte Zustand eines Patienten eine längere Suche nicht zu – dann kommen Elternteile, Geschwister oder ältere Kinder als Stammzellspender in Frage, auch wenn ihre Gewebemerkmale nur zur Hälfte (haploidentisch) passen.
Von jährlich rund 260 bis 270 transplantierten Erwachsenen an der Uniklinik erhalten 80 bis 90 Stammzellen von Fremdspendern, doppelt so viele unterziehen sich einer autologen Transplantation eigener Zellen. Bei den Kindern ist das Verhältnis umgekehrt: Von etwa 25 Behandelten pro Jahr bekommen zwölf bis 15 Fremdspenderzellen. Mit diesen Zahlen ist das Würzburger Stammzellzentrum in Deutschland das zweitgrößte hinter Heidelberg.
Durch die weiter wachsenden, vernetzten Spenderdateien ist es über die Jahre leichter geworden, einen genetischen Zwilling zu finden. Vor allem aber können durch Fortschritte in der Labortechnik Gewebemerkmale heute viel genauer abgeglichen werden als noch vor Jahren. Das führe zu mehr Heilungserfolgen und weniger Abstoßungen, so die Würzburger Spezialisten. Früher seien mehr Patienten an Infektionen gestorben. „Die Transplantationsverfahren sind immer besser geworden“, sagt Hermann Einsele. Auch deshalb konnte die Altersgrenze der Transplantierten von anfänglich 35 Jahren auf mittlerweile 75 Jahre angehoben werden.
Stammzellen: regionale Spenderdatei an der Uniklinik
Wichtig bleibt eine möglichst große Zahl an potenziellen Stammzellspendern. An der Uniklinik wurde mit dem „Netzwerk Hoffnung“ eine eigene regionale Spenderdatei aufgebaut – mit dem Vorteil kurzer Wege und direkter Abstimmung. Rund 30 000 Menschen sind hier registriert. Innerhalb von acht Wochen ist in der Regel ein Stammzellspender zu finden, die Chancen liegen bei 90 Prozent. Schwerer ist es wegen der genetischen Voraussetzungen bei Migranten oder ethnisch Gemischten.
Die kritischste Phase einer Stammzelltherapie ist das Übergangsstadium: Wenn das alte Immunsystem lahmgelegt ist und das neue sich erst aufbauen muss. Dann ist der Körper extrem anfällig für Keime, Bakterien oder Pilze. Das Zentrum gleicht deshalb einem Hochsicherheitstrakt mit spezieller Lüftungsanlage. Die Patienten werden genau überwacht und kontrolliert, "Fußspuren" von Viren seien heute rechtzeitig im Blut zu erkennen, sagt Schlegel. „Da haben wir in 15 Jahren wahnsinnig viel gelernt.“
Besonders häufig kommt die autologe Transplantation mit eigenen Zellen in Würzburg bei Patienten mit einem Multiplen Myelom zum Einsatz. Auf diese Art Knochenmarkkrebs ist die Uniklinik spezialisiert. Dagegen setzt man auf Fremdspenderzellen vor allem bei der akuten myeloischen Leukämie. Die Erfolgsquote liegt hier laut Einsele bei 60 Prozent, bei Kindern mit Leukämie sind es sogar 70 bis 80 Prozent.
Ist die Stammzelltransplantation nur ein letzter Rettungsanker, wenn sonst keine Therapie mehr anschlägt? „Nein“, betont Dr. Sabrina Kraus, Oberärztin im Stammzellzentrum. Für bestimmte Grunderkrankungen und Risikogruppen sei sie das richtige Mittel – noch bevor ein Patient zu geschwächt ist. „Entscheidend ist der richtige Zeitpunkt.“
Sie wollen Stammzellen spenden? Infos gibt es beim "Netzwerk Hoffnung" der Uniklinik unter www.ukw.de/netzwerke/netzwerk-hoffnung oder per E-Mail: netzwerk-hoffnung@ukw.de, Tel. (0931) 201-31325.