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Wildflecken/Veitshöchheim
Litauens Verteidigungschef: Ohne die Nato wären die baltischen Staaten zuerst von Russland angegriffen worden
Generalmajor Ruprecht von Butler, Kommandeur der 10. Panzerdivision in Veitshöchheim, und Litauens Verteidigungschef Rupšys sprechen im Exklusiv-Interview über die Gefahr aus Russland.
Generalleutnant Valdemaras Rupšys (links), Verteidigungschef der Republik Litauen, und  Generalmajor Ruprecht von Butler, Kommandeur der 10. Panzerdivision in Veitshöchheim (Lkr. Würzburg), bei einem Treffen in Wildflecken (Lkr. Bad Kissingen), wo die Stabsrahmenübung 'Schneller Degen 2022' stattgefunden hat. 
Foto: Markus R./Bundeswehr | Generalleutnant Valdemaras Rupšys (links), Verteidigungschef der Republik Litauen, und Generalmajor Ruprecht von Butler, Kommandeur der 10. Panzerdivision in Veitshöchheim (Lkr.
Gerhard Meißner
 |  aktualisiert: 08.02.2024 14:19 Uhr

Bei der Militärübung Schneller Degen 2022 probten Soldatinnen und Soldaten der 10. Panzerdivision drei Wochen lang im Gefechtssimulationszentrum der Bundeswehr in Wildflecken gemeinsam mit der litauischen Iron Wolf Brigade den Ernstfall. In der Computersimulation stellten sie sich dem fiktiven Angriff auf ein Mitglied der Nato entgegen.

Neben dem Kommandeur der 10. Panzerdivision in Veitshöchheim, Generalmajor Ruprecht von Butler, verfolgte auch der Verteidigungschef der Republik Litauen, Generalleutnant Valdemaras Rupšys, das Manöver. Im Interview sprechen sie über den Krieg in der Ukraine und über die Bedeutung der Nato und der Bundeswehr für die Verteidigung Litauens und der Nato-Ostflanke.

Was wurde bei der Übung Schneller Degen geübt?

Ruprecht von Butler: Schneller Degen 2022 ist eine computerunterstützte Stabsrahmenübung. Ziel ist es, die Interoperabilität der Führungsstäbe zu trainieren, vor allem vor dem Hintergrund einer multinationalen Beteiligung. Wir geben den Brigadestäben eine Lage vor, der Stab muss dann einen Plan entwickeln, um das vorgegebene Terrain gegen einen Aggressor zu verteidigen. Der Brigadekommandeur macht anschließend eine Befehlsausgabe und seine ihm unterstellten Bataillonskommandeure erstellen dann eine Ebene tiefer ebenso einen detaillierten Plan.

Wie muss man sich den Ablauf vorstellen?

von Butler: Am Ende lässt der Bataillonskommandeur seine ausgearbeiteten Befehle von Bedienern vor den Bildschirmen umsetzen. Der Computer spiegelt die eigenen Truppen wider, wie auch den Feind.  Die Leistungswerte der unterschiedlichen Waffensysteme sind im Computersystem hinterlegt. Wenn es dann zu einem Gefecht kommt, ermittelt der Computer das Ergebnis, dieses wird dann wieder den Bataillonskommandeuren eingespielt, die dieses nach oben an die Brigaden melden. Die Brigaden müssen darauf taktisch reagieren.

Kann man tatsächlich am Computer einen realen Kampfeinsatz üben?

von Butler: Absolut, es ist die ideale Methode, um Stäbe zu trainieren, weil wir nicht tausende Soldaten ins Gelände bringen müssen und es allein schon schwierig wäre, überhaupt ein geeignetes Übungsgelände zu finden. Und glauben Sie mir, der Brigadestab wird nach drei, vier Tagen nicht mehr feststellen, ob er reale Truppen kommandiert, oder ein Computersystem.

Welche Einheiten und wie viele Soldatinnen und Soldaten waren an der Übung beteiligt? Welcher Truppenstärke entspräche dies in einem realen Szenario?

von Butler: Zunächst hatte ich die Freude, auch die Iron Wolf Brigade aus Litauen unter meinem Kommando zu haben. Aus der 10. Panzerdivision waren die Panzerbrigade 12 aus Cham, die Gebirgsjägerbrigade 23 aus Bad Reichenhall und die deutsch-französische Brigade aus Müllheim beteiligt sowie Bataillone, die direkt der Division unterstehen. Insgesamt würde das ungefähr 25.000 Soldatinnen und Soldaten entsprechen. Tatsächlich waren rund 1300 Personen an der Übung in Wildflecken beteiligt.

Das Übungsszenario geht vom Angriff eines Aggressors auf fremdes Territorium aus. Das erinnert an den russischen Angriff auf die Ukraine. Steht die Übung im Zusammenhang mit diesem Angriffskrieg?

von Butler: Nur eine geübte Truppe kann auch eingesetzt werden. Es ist ein Teil der Einsatzbereitschaft, deshalb üben wir. Auch die Feuerwehr muss üben oder wollen Sie, dass jemand ihr Haus löscht und Menschen rettet, der das vorher noch nie gemacht hat? Vor allem trainieren wir hoch intensive Kriegsführung. Man kann das mal so übersetzen: Ein Land führt Krieg gegen ein anderes. Wir haben die Aufgabe, dieses Land zu verteidigen. Insofern kann man sagen, es ist ähnlich, wie das, was wir im Moment in der Ukraine erleben. Aber diese Übung hätte auch stattgefunden, wenn es  den Krieg in der Ukraine nicht gäbe. Uns war militärisch schon vorher klar, dass wir uns auf solche Szenare vorbereiten müssen.

Herr Rupšys, wie wichtig ist die Nato und die Zusammenarbeit mit der Bundeswehr für Litauen?

Valdemaras Rupšys: Die Nato ist für unsere Sicherheit unverzichtbar. Wenn wir kein Mitglied der Nato wären, wären wir, die baltischen Staaten, die ersten Länder gewesen, die Russland angegriffen hätte, nicht die Ukraine. Es geht also nicht nur darum, unsere eigene Verteidigungsfähigkeit zu verbessern, es geht um unsere Sicherheit und Freiheit. Litauen ist jederzeit bereit, sich selbst zu verteidigen, aber das kann uns nur gemeinsam mit den Nato-Alliierten gelingen. Deutschland ist einer der wichtigsten Verbündeten für die litauischen Streitkräfte. Ich und das litauische Volk sind dafür sehr dankbar.

Generalleutnant Valdemaras Rupšys (links) und Generalmajor Ruprecht von Butler vor dem Stabsgebäude der 10. Panzerdivision in der Balthasar-Neumann-Kaserne Veitshöchheim. 
Foto: Thomas Obermeier | Generalleutnant Valdemaras Rupšys (links) und Generalmajor Ruprecht von Butler vor dem Stabsgebäude der 10. Panzerdivision in der Balthasar-Neumann-Kaserne Veitshöchheim. 
Warum denken Sie, dass Litauen ohne die Nato noch vor der Ukraine angegriffen worden wäre?

Rupšys: Das ist sehr einfach zu erklären. Wir sehen Analogien in Putins Entscheidungen. Er versucht, das Sowjet-Reich wieder herzustellen. Davon ausgehend ist es das Einfachste, sich zunächst die kleinen baltischen Staaten zu nehmen, auch wegen des psychologischen Effekts. Seit der Unabhängigkeit 1990 versucht Russland das Baltikum wieder von sich abhängig zu machen. Sie tun es mit ökonomischen Mitteln und nutzen etwa ihre Energieressourcen, um politische Ziele durchzusetzen. Was jetzt in der Ukraine passiert, zeigt, dass Russland bereit ist, weiterzugehen und auch gewaltsam alle Gebiete zurückzuholen, die nach dem Kollaps der Sowjetunion verloren gegangen sind.

Sie sprechen von Russland. Hierzulande war lange von Putins Krieg die Rede.

Rupšys: Ich würde nicht von Putins Kriegs sprechen, es ist er Krieg Russlands gegen die Ukraine. Seit seiner zweiten Wahl zum russischen Präsidenten beobachten wir, dass Putin ein Umfeld und eine Propaganda aufgebaut hat, die im Hintergrund immer darauf abzielt, diese Territorien zurückzuholen. Das hat Spuren hinterlassen. 80 Prozent der Russen unterstützen den Krieg. Es würde nach meiner Einschätzung Generation dauern, dieses Denken zu verändern.

Welche Gefahr geht nach ihrer Einschätzung von der russischen Exklave Kaliningrad aus, die auf dem Landweg ja nur an die Nato-Mitglieder Litauen und Polen grenzt und durch die sogenannte Suwalki-Lücke nur etwa 70 Kilometer von Belarus getrennt ist?

Rupšys: Das ist mehr eine politische Frage. Wir sehen, dass Belarus sowohl im politischen wie im militärischen Prozess an Russlands Seite steht. Um politisch überleben zu können, muss Lukaschenko Putins Entscheidungen folgen.

Erwarten Sie, dass Russland auch versuchen wird, einen Korridor nach Kaliningrad zu erobern?

Rupšys: Niemand weiß das, aber aus unserer Perspektive müssen wir darauf vorbereitet sein. Vielleicht kennen Sie den Ausspruch: Wer Krieg verhindern will, muss sich auf Krieg vorbereiten.

General von Butler, in den zurückliegenden Jahren war die Bundeswehr in Afghanistan, Mali oder anderen fernen Orten eingesetzt. Was macht es mit Ihnen und Ihren Soldatinnen und Soldaten, dass sie sich nun einer Bedrohungslage unweit der deutschen Grenzen gegenübersehen?

von Butler: Zunächst muss ich sagen, wenn sie mir noch vor einigen Monaten gesagt hätten, dass mitten in Zentraleuropa ein Krieg ausbricht, hätte ich das für unrealistisch gehalten. Besonders in der Weise, wie er geführt wird, weil ich dachte, dass das etwas für die Geschichtsbücher des 20. Jahrhunderts sei. Was die russische Föderation macht, ist ähnlich dem, was wir in den Geschichtsbüchern des 2. Weltkrieges finden. Sie konzentrieren überlegene Kräfte, erreichen einen Durchbruch, und zerstören das, was vor ihnen liegt. Sie töten Soldaten und Zivilisten gleichermaßen. Wenn alles zerstört ist, rücken sie weiter vor. Das ist definitiv gegen die Menschenrechte und gegen die Genfer Konvention. Das dauert natürlich sehr lange, aber es ist am Ende erfolgreich, wenn man denn von Erfolg sprechen kann, wenn dabei so viele Menschen getötet und misshandelt werden. Russland hat riesige Mengen an Material. Sie haben nahezu unendlich Artillerie-Munition und sie ziehen ihre alten Panzer aus den Depots. Das ist typisch russisches Material, einfach und billig, aber sie haben eine Menge davon. Wir sind davon ausgegangen, dass die russische Bevölkerung Zehntausende Gefallene nicht akzeptieren würde. Das war wohl falsch. Offensichtlich ist die russische Bevölkerung bereit, das zu akzeptieren.

Die ukrainische Regierung fordert unablässig mehr Waffenlieferungen vom Westen, insbesondere von Deutschland. Warum ist es für die Bundeswehr eine so große Herausforderung, schwere Waffen direkt oder über einen Ringtausch an die Ukraine abzugeben?

von Butler: Grundsätzlich muss man sagen, dass wir unsere Streitkräfte nach der Wiedervereinigung signifikant reduziert haben, einmal wegen der gesamten Sicherheitslage, die sich verändert hatte, zum anderen wegen des verfügbaren Budgets. Wir legten den Fokus auf eine andere Art von Operationen, wo wir Truppen in einem Einsatzgebiet kontinuierlich abgelöst haben, dafür brauchten wir natürlich auch viel weniger Material. Bei fünf Kontingenten à sechs Monaten in einem Auslandseinsatz genügt ihnen das Material zweimal, einmal zum Vorbereiten in Deutschland, einmal im Einsatz. Aber es sind dann eben nur zwei Fünftel wirklich ausgerüstet. Ein Panzerzug mit vier Panzern reicht aus, um die Panzerbesatzungen einer Kompanie reihum zu trainieren, aber um die Kompanie vollständig einzusetzen, brauchen ich 14 Panzer. Jetzt stellen wir fest, dass wir wieder vorbereitet sein müssen, um unser Land und unsere Verbündeten zu verteidigen. Deshalb müssen wir unsere Einheiten wieder voll ausrüsten. Trotzdem haben auch die Auslandseinsätze immer unserer Sicherheit gedient. Wenn etwa Mali kollabiert, würde ein hoher Flüchtlingsdruck nach Norden ausgelöst. Menschenhändler und Terroristen würden gemeinsame Sache machen. Wir müssen die Ursachen dort bekämpfen, wo sie entstehen.

Litauens Verteidigungschef: Ohne die Nato wären die baltischen Staaten zuerst von Russland angegriffen worden
Das heißt also, die Überlassung von schweren Waffen an andere Länder würde die eigene Verteidigungsfähigkeit schwächen.

von Butler: Wenn wir heute schweres Equipment aus der Bundeswehr an die Ukraine abgeben, dann muss das immer sehr sorgfältig mit der eigenen Verteidigungsfähigkeit abgewogen werden. Was Lieferungen der Industrie angeht, das ist eine rein politische Entscheidung. Aber wenn ich mir anschaue, was wir schon bereitgestellt haben, dann ist das eine ganze Menge, es ist nur öffentlich nicht bekannt. Was da manchmal an Kritik in den Zeitungen zu lesen ist, halte ich für – ich will nicht sagen unfair – aber für unausgewogen. Was wir im Detail bereitstellen, muss immer eine sehr gut abgewogene politische Entscheidung sein, nach militärischer Beratung.

Rupšys: Aus unserer Perspektive kann man sagen, es ist wichtig, dass Deutschland bereit ist, eine führende Rolle bei der Verteidigung der Nato-Ostflanke zu übernehmen. Es erinnert an die Zeit des Kalten Kriegs in den 1960er Jahren als die USA Verantwortung für die Verteidigung von Westdeutschland übernommen haben. Jetzt geht Deutschland in den Osten und tut das Gleiche für die baltischen Staaten.

von Butler: Eine Bemerkung hinsichtlich unserer amerikanischen Verbündeten ist mir dabei noch wichtig. Während wir noch diskutiert haben, was zu tun sei, haben die Amerikaner zwei Divisionen über den Atlantik gebracht, nur um Europa zu unterstützen und die Abschreckung gegenüber Russland klarer zu machen. Das war ein starkes Signal, und ich denke, es ist extrem wichtig zusammenzustehen und die USA an unserer Seite zu haben. Das erfordert dann aber auch, dass wir unseren eigenen Beitrag leisten, denn ein amerikanischer Präsident wird auf Dauer nicht die Frage beantworten können, warum er so konsequent Europa hilft, wenn Europa nicht einmal bereit ist, sich selbst zu helfen.

 
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