
Es geht um eine fiktive Bedrohung an der Ostflanke der Nato: In Litauen findet zurzeit die Stabsrahmenübung "Schneller Degen 21" statt. Bei der Übung trainiert die 10. Panzerdivision unter ihrem Kommandeur Generalmajor Ruprecht von Butler (54) mit ihrem Divisionsstab und Brigadestäben die Landes- und Bündnisverteidigung. Beteiligt sind Militärangehörige aus vier Nato-Staaten.
In den vergangenen Wochen war "Schneller Degen 21" unter anderem mit einer großangelegten Verladeaktion in Tauberbischofsheim vorbereitet worden. Zurzeit und noch bis Ende des Monats läuft die heiße Phase. Ein Gespräch mit Ruprecht von Butler über Bedrohungsszenarien, den Ablauf der Übung und digitales Militär.
Ruprecht von Butler: Zunächst einmal: Als Soldatinnen und Soldaten erfüllen wir politische Aufträge. Die Übung mit staatstragenden Gesprächen zu verknüpfen, halte ich für falsch, zumal die Übung schon seit längerem geplant war und wegen Corona zweimal verschoben werden musste. Es geht hier um unsere besonders enge Partnerschaft mit Litauen, die sich schon über vier Jahre hinweg manifestiert und eine Konsequenz aus der Annexion der Krim durch Russland 2014 ist. Die 10. Panzerdivision hatte permanent einen Verband in Litauen, seitdem gibt es eine enge Zusammenarbeit mit der litauischen Iron Wulf Brigade. Die Litauer hatten uns gefragt, ob wir eine unserer gemeinsamen Übungen nicht auch mal in Litauen machen könnten. Es geht hier also um gemeinsame Zusammenarbeit, es geht um Bündnissolidarität und die besondere Situation, die in Litauen mit Blick auf Russland vorherrscht. Und was wäre es für ein Zeichen, wenn wir die Übung nicht machten?
von Butler: Die Entwicklung in der Ukraine hat vor Augen geführt, dass der russische Staat im Zweifel bereit ist, mit Gewalt Grenzen zu verschieben. Wenn man in die litauische Geschichte blickt, wird klar, dass sich der Staat besonders bedroht fühlt, weil Litauen auch ein Teil der früheren Sowjetunion war. Man muss wissen, dass die Russen unterscheiden zwischen "Ausland" und "nahes Ausland". Litauen ist für Russland nahes Ausland, also Einflusssphäre. Wenn man in Vilnius mal das Museum des Freiheitskampfes besucht hat, das sich im ehemaligen KGB-Gebäude befindet, dann versteht man die Ängste. Dort kann man erfahren, dass die Litauer bis 1955 als reguläre Soldaten für ihre Freiheit gekämpft haben, wie sie annektiert wurden und wie mit litauischen Familien umgegangen wurde, die verschleppt wurden. Da haben Sie keine Fragen mehr. Und man versteht, dass vor dem Palast des litauischen Staatspräsidenten neben der Staatsflagge und der Europaflagge noch eine weitere Fahne aufgezogen ist – die der Nato. Für die Litauer garantiert die Nato-Mitgliedschaft die Freiheit.
von Butler: Bei der Bundeswehr gilt der Grundsatz, dass wir immer fiktive Szenarien nehmen und dafür das reale Gelände nutzen. Für die Übung in Litauen sieht das so aus: Es gibt einen fiktiven Aggressor-Staat "Bothnien" nördlich der Ostsee, der von Norden nach Süden das Territorium angreift, das in der Übung aber auch nicht identisch mit Litauen ist. Wir verteidigen dann vom Süden aus.
von Butler: Weil wir damit Ressourcen und die Umwelt schonen und weil die Übung viel kostengünstiger ist. In Litauen fährt für die Übung kein einziger Panzer im Gelände. Es handelt sich um eine reine Stabsübung, bei der verschiedene Prozesse trainiert werden.

von Butler: Es muss zum Beispiel erst einmal ein Befehl geschrieben werden, wie der Raum überhaupt verteidigt werden soll. Dann macht man eine Geländebeurteilung: Welches Gelände eignet sich für welche Truppe? Welches Gelände bietet dem Feind welche Möglichkeiten? Worauf wollen wir uns konzentrieren? Das kann der Brigadekommandeur nicht allein mit dem Bleistift in der Ecke, dazu braucht er den Brigadestab, mit dem er dann am Ende zu taktischen Ergebnissen kommt. Und genau das üben wir dort multinational, gemeinsam mit den Litauern und außerdem noch mit amerikanischen und niederländischen Truppen. Vor Ort haben wir Phasen der Geländeerkundung, wo wir mit dem Hubschrauber oder mit dem Fahrzeug Geländeabschnitte erkunden oder Gewässerübergänge ansehen. Am Ende entstehen für die beteiligten Brigaden Befehle. In einem weiteren Teil lassen wir dann die Operationen ablaufen. Aber das wird alles simuliert.
von Butler: Die Simulation erfolgt im Standort Wildflecken in der Rhön. Dort befinden sich die Bataillonskommandeure und melden die simulierte Lage im Gefecht. Und dann muss der Brigadekommandeur reagieren. Für die Simulation der Lage im Gelände gibt es hervorragende Software! Auch wenn man sich das nicht vorstellen kann: Den Brigadestab setzen wir da so unter Stress, die merken gar nicht, ob sie eine echte Truppe führen oder nicht. Die Ausbildung ist da zum Teil sogar intensiver als früher.
von Butler: Unser Hygienekonzept ist sehr klar: Wir sind alle geimpft. Und darüber hinaus beachten wir natürlich alle geltenden Bestimmungen. Vor Ort haben wir 800 Arbeitsplätze, deren Ausstattung wir in den vergangenen Wochen für den Transport nach Litauen verladen haben.

von Butler: Etwa die Hälfte, insgesamt etwa 600 Bundeswehrangehörige. Davon sind 250 in Litauen, in Wildflecken sind die übrigen. In Gänze beteiligen sich rund 1000 Soldatinnen und Soldaten aus vier Nationen an der Übung. Wildflecken hat in der Übung als Simulationszentrum eine zentrale Rolle. Dort haben wir hervorragende Technik dafür. Dennoch ist die Übung eine besondere Herausforderung. Denn dass wir mit unseren Gefechtsstäben in Litauen sind und dann 1500 Kilometer entfernt in der Rhön die ganze Simulation machen, das ist schon hohe Schule. Das hat die Division noch nie gemacht.
von Butler: In dieser Übung erwarte ich da keinerlei Auswirkungen. Diejenigen, die hier üben, sind erfahrene Berufs- und Zeitsoldaten, die das seit vielen Jahren machen.
von Butler: Wenn wir Streitkräfte haben, müssen wir die auch in einer guten Einsatzfähigkeit halten. Es gibt einen alten militärischen Grundsatz: Was nicht geübt wird, klappt nicht. Dadurch, dass wir die Übung im Wesentlichen simuliert machen und sehr kritisch geschaut haben, wen wir wirklich nach Litauen mitnehmen müssen, haben wir schon sehr auf die Kosten geachtet. Der Steuerzahler kann erwarten, dass ich besonders verantwortungsvoll mit diesem Geld umgehe, aber Sicherheit gibt es eben auch nicht zum Nulltarif.