Vor 14 Jahren erhielt Beate Beyrich die Diagnose Brustkrebs. Es war ein Schlag ins Gesicht, sagt sie heute. Einer, der Ängste auslöste, der sie um ihre Weiblichkeit bangen und alleine ließ. Hilfe und Beistand gab es damals wenig. Das wollte sie ändern. 2009 gründete Beyrich die Würzburger Gruppe der Frauenselbsthilfe nach Krebs, am Comprehensive Cancer Center Mainfranken (CCC MF) der Uniklinik ist sie seit kurzem als Selbsthilfekoordinatorin tätig. Ihr Ziel: Die Zusammenarbeit zwischen Fachkliniken und Patientengruppen verbessern. „Es ist noch ein langer Weg, bis wir da stehen, wo wir hin wollen“, sagt die 64-Jährige. Ein Gespräch über Offenheit in Selbsthilfegruppen, furchtbare Sätze und darüber, was das Internet nicht kann.
Die Diagnose Krebs reißt Betroffene meist brutal aus dem Alltag. Wie kann eine Selbsthilfegruppe da besser helfen als Angehörige?
Entscheidend ist: In einer Selbsthilfegruppe komme ich an und darf sein, wie ich bin. Da darf ich erzählen, mir geht es heute schlecht, ich bin genervt, ich habe Angst. In einer Partnerschaft oder mit Kindern ist es oft sehr schwer, zu sagen, wenn man eigentlich seine Ruhe braucht. Denn die Familie will helfen und etwas Gutes tun.
Warum fällt der Umgang mit fremden Menschen leichter?
Angehörige haben ihre eigenen Ängste. Und sie können nicht in die Kranken hineinsehen. Ich selbst spüre mich und dadurch kann ich besser mit der Furcht umgehen. Die anderen aber denken: „Oh Gott, stirbt sie jetzt? Verliere ich die Mama?“. Es fehlt oft die richtige Kommunikation.
Bundesweit heißt das Motto der Frauenselbsthilfe deshalb „Auffangen, Informieren, Begleiten“. Was macht die Würzburger Gruppe konkret?
Wir treffen uns einmal im Monat und wechseln zwischen Gesprächs- und Vortragsabenden. Unsere Gruppe wächst sehr stark, wir sind im Moment um die 35 Frauen. Zu Beginn der Treffen gibt es eine Runde, in der jede sagt, wie es ihr geht. Dabei hört man heraus, wo vielleicht Bedarf besteht, über ein Problem zu reden. Etwa wenn eine Frau vor der nächsten Nachsorgeuntersuchung steht und die Angst hochkommt. Ganz aktuell hat eine Weggefährtin, so nennen wir uns, nach der vierten Chemo gesagt: Mir geht es so schlecht, ich mach' da nicht mehr mit, ich breche ab. Da haben wir versucht, auf sie einzugehen. Wir haben eine Art Plus-Minus-Liste aufgestellt. Und am Ende hat sie weitergemacht. Das ist die Motivation, die man sich gegenseitig schenkt. Im Familienkreis funktioniert das nicht so, denn Angehörige haben die Erkrankung meist noch nicht selbst erlebt.
Sagt man deshalb, Krebs mache einsam?
Bei dem Satz geht es eher um Freunde. Wenn Freunde hören, du hast Krebs, wissen sie häufig nicht, wie sie damit umgehen sollen. Dann sagen sie: „Ach, das wird schon wieder“. Aber der Satz ist furchtbar. Oder man hört: „Komm schon, geh‘ da durch“. Aber ich muss durch gar nichts gehen, wenn ich nicht kann. Manche Menschen wollen auch definitiv nichts mit Krebs zu tun haben. Bei mir haben sich während der Erkrankung die Freundschaften sehr verändert und das erzählen mir eigentlich alle Frauen. Heute sage ich, ich bin dankbar dafür, weil sich die Spreu vom Weizen getrennt hat.
Wie sollen sich Freunde richtig verhalten?
Das ist wirklich schwer, weil man es ja nicht in der Schule gelernt hat. Im Freundeskreis ist manchmal ein ehrliches Wort wichtig. Echte Freunde dürfen auch mal sagen: „Hey, willst du jetzt die Top-Krebspatientin werden, sei doch einfach mal du, du musst nicht immer taff sein“. Solche Impulse sind wertvoll, wenn man sich wirklich gut kennt. Ansonsten ist es wichtig, dass Freunde einfach nur da sind, dass sie einen ermuntern, zu sagen, was man braucht und was einem gut tut.
Und wie geht es in der Gruppe zu? Wie muss man sich die Treffen vorstellen?
Bunt wie das Leben. Vor kurzem sind zwei Frauen aus der Gruppe gestorben. Wir waren bei der Beerdigung und das hat uns sehr berührt. Beim nächsten Treffen haben wir eine Kerze angezündet und an sie gedacht. Zu anderen Zeiten sind wir lustig und albern, wie es im Leben eben sein soll.
Welche Rolle spielt die Frage nach dem „Warum“ in der Gruppe?
Eine Zeit lang ist die Frage wichtig. Aber die meisten Frauen, die in die Gruppe kommen, sind über das „Warum“ schon hinweg. Das steht am Anfang. Aber dann will man aktiv werden, etwas tun. Wer den Schritt in die Selbsthilfegruppe gemacht hat, der will weiterkommen.
Für das Weiterkommen kursieren viele Konzepte, von Sport bis zur Ernährung. Helfen manche davon wirklich?
Ja, sie helfen. Es ist bekannt, dass Bewegung und Sport die Überlebensrate und die Befindlichkeit verbessern. Und vor allen Dingen macht es etwas mit der Psyche, wenn ich spüre, dass ich wieder Kraft bekomme, dass Schmerzen besser werden, dass ich selber etwas tun kann. Manchmal dauert es nur sehr lange, bis die ersten Schritte getan werden können. In der Gruppe haben manche Frauen Angst, dass sie nicht durchhalten, wenn sie etwas probieren. Ich spreche dann mit ihnen und ermuntere sie.
Aber nicht jeder Krebskranke kann und will offen sprechen.
Das ist natürlich eine Sache der Persönlichkeit. Manche tauen nach und nach auf. Ich erlebe oft, dass jemand am ersten oder zweiten Abend sehr verhalten ist und sich dann plötzlich öffnet. Andere kommen einmal und nie wieder. Das war ein Versuch, aber es passte nicht. Und manche Menschen definieren sich auch über die Erkrankung, erkennen darin ihren Wert.
Was meinen Sie damit?
Man bekommt Beachtung, ist wichtig, die Familie guckt und will helfen. Für manche Frauen ist das wertvoll. Mit ihnen ist der Umgang in der Gruppe schwierig, weil sie nicht offen sind und nicht sehen wollen, was hilft, etwas zu verändern und zu verbessern.
Sie sind nun fast ein Jahrzehnt in der Selbsthilfe aktiv. Wie müssen sich Gruppen künftig weiterentwickeln?
Es ist ganz wichtig, dass es Gruppen vor Ort gibt und dass die Vernetzung wie hier am CCC MF gegeben ist und ausgebaut wird. Denn es gibt ein Stück Sicherheit, wenn die fachliche Kompetenz zur Erfahrungskompetenz kommt. Entscheidend ist, dass sich beide Seiten wertschätzen, denn das hilft auch im Gesundungsprozess. Da liegt noch ein gutes Stück Weg vor uns, da kann noch vieles getan werden. Wichtig für die Zukunft sind auch neue Ansätze, wie beispielsweise unser Projekt „Gesundheit rockt“, eine Tanz-Veranstaltung im Herbst in Rottendorf. Bei so etwas darf und muss man auch mal ausgelassen sein.
Was ist mit digitalen Angeboten: Könnten Internetforen künftig Selbsthilfegruppen ersetzen?
Nein. Das persönliche Gespräch ist nicht zu ersetzen. Zwar ist ein Internetforum immer verfügbar und ich kann notfalls auch mitten in der Nacht am PC sitzen und schreiben. Das ist sicher ein Vorteil. Noch wichtiger aber ist die Gruppenerfahrung, die Nähe zu einem anderen Menschen, der ähnliches erlebt hat. Da entstehen Vertrautheiten, die weiterhelfen. Und das kann das Internet so nicht.
Die Frauenselbsthilfe nach Krebs (FSH) ist eine der größten Krebs-Selbsthilfeorganisationen in Deutschland. Die Würzburger Gruppe trifft sich an jedem 1. Montag im Monat um 18 Uhr in der Villa Kunterbunt (Reiserstraße 5-7).