Kein Thema kocht in Estenfeld derzeit so hoch wie die zukünftige Nutzung des gemeindeeigen Wirtschaftshofes der Kartause Engelgarten, nichts wird mehr auf die verbale Goldwaage gelegt – der ganze Ort scheint gespalten zu sein. Zwei Fraktionen im Gemeinderat hätten dort gern ein Kultur- und Bürgerzentrum mit integriertem Rathaus (SPD, UWG), eine Fraktion (CSU) neben Kultur und Begegnung anstelle des Rathauses eine Ausbildungsstätte für das Handwerk mit Übernachtungsmöglichkeit und Kantine.
Das Bürgerbegehren wurde für zulässig erklärt
Weil mittlerweile ein Bürgerbegehren für zulässig erklärt wurde, das sich gegen einen Rathaus-Neubau auf dem Areal ausspricht – dem mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Ratsbegehren gegenüber gestellt wird –, werden bis Ende April die Bürger per Bürgerentscheid über die Vorschläge zu entscheiden haben.
Dreh- und Angelpunkt der Diskussion um die Kartause Estenfeld ist ein Nutzungskonzept von Michael Hauck. Der ehemalige Dombaumeister von Köln und Passau hatte im Auftrag des Gemeinderates ein Nutzungskonzept für das Areal erarbeitet.
Einig sind sich die Fraktionen über drei der vier vorgeschlagenen Säulen der Nutzung. Über die vierte Säule, die von Hauck präferierte Bildungsstätte für das unterfränkische Handwerk anstelle der Unterbringung des Rathauses auf dem Areal, gehen die Meinungen weit auseinander.
Veranstaltungen, Kultur und Obstanbau
Einigkeit herrscht bei den Säulen „gemeindliche Nutzungsmöglichkeit in möglichst breiter Vielfalt“ (z.B. Veranstaltungssaal), „ergänzende, überörtlich wirksame Kulturangebote“ (z.B. Konzerte, Theater, Biergarten) und „Pflege einer überkommenen Gartenkultur“ (z.B. Zucht historischer Obst- und Gemüsesorten). Auch der Gedanke Haucks, am Rand des Areals einen Verkaufsladen für regionale Produkte einzurichten, stieß zumindest nicht auf breiten Widerstand.
Zum Wunsch nach einem Rathaus auf dem Areal, der an ihn herangetragen wurde, schreibt er in seinem Nutzungskonzept: „Diese Option kann nicht empfohlen werden.“ Unter anderem weist er auf das Volumen des Baukörpers hin – der Kartausenhof würde „mit absoluter Sicherheit seinen einzigartigen geschlossenen Charakter verlieren“ (die Kartause steht teilweise unter Denkmalschutz, aber nicht unter Ensembleschutz, Anm. d. Red.).
Nun liegt der Gemeinderatsbeschluss vom 9. Januar vor. Mit 9:8 stimmte der Gemeinderat dem Antrag der SPD- und UWG-Fraktion zu, das Rathaus in dieses Areal zu integrieren. Wegen des Bürgerbegehrens liegt die Angelegenheit auf Eis, die Bürger haben nun das Wort.
Die Stellungnahmen aus Estenfeld:
- Joachim Iwanowitsch, Vorsitzender des Freundeskreis Kartause Estenfeld
- Albin Wolz, Sprecher der CSU-Fraktion
- Rosi Schraud, Bürgermeisterin (CSU)
- Dieter Ruchser, Mitinitiator des Bürgerbegehrens
- Günther Grimm, Sprecher der SPD-Fraktion
- Rainer Galm, UWG-Fraktion
Das Bürgerbegehren zur Kartause Estenfeld im Wortlaut
„Entwicklung eines Kultur- und Begegnungszentrums im Kartausenhof Estenfeld ohne Neubau des Rathauses auf dem Areal“
Mit meiner Unterschrift beantrage ich gemäß Artikel 18a der Bayerischen Gemeindeordnung die Durchführung eines Bürgerentscheides zu folgender Frage:
„Sind Sie dafür, dass die Sanierung der Gebäude und des Areals des ehemaligen Wirtschaftshofs der Kartause Engelgarten und die Entwicklung als Kultur- und Begegnungszentrum nach dem vorliegenden Nutzungskonzept erfolgen und insbesondere nicht für den Neubau eines Rathauses genutzt werden soll?„ Begründung: Zwei im Auftrag der Gemeinde getrennt durchgeführte und mit unterschiedlicher Zielsetzung veranlasste Fachgutachten (1. Untersuchung zum städtebaulichen Entwicklungspotential, erarbeitet vom Büro Schlicht, Lamprecht und Schröder, Schweinfurt / 2.
Entwicklung eines Konzepts zur zukünftigen Nutzung des Kartausenhofes als Kultur- und Begegnungszentrum, erarbeitet von Dr.h.c. Michael Hauck) gelangen unabhängig voneinander zum gleichen Ergebnis: Das Rathaus soll an seinem angestammten Platz in der Ortsmitte verbleiben, während der Kartausenhof zum Kultur- und Begegnungszentrum für die Bürgerinnen und Bürger der Gemeinde entwickelt werden soll. Dies bietet der Gemeinde enorme Entwicklungsmöglichkeiten.
Ungeachtet dessen wurde seitens der SPD- und UWG-Fraktionen im Gemeinderat mittlerweile der Antrag gestellt, Planung und Neubau des Rathauses auf dem Areal des Kartausenhofes durchzuführen. Dies hätte ohne Zweifel weitreichende negative Folgen für die zukünftige Entwicklung der Gemeinde Estenfeld, denn
1. würde der einmalige Charakter des Kartausenhofes als geschlossenes Ensemble durch den Neubau eines Verwaltungszentrums unwiederbringlich verloren gehen;
2. wäre die Entwicklung des Kartausenhofes entsprechend des vorliegenden, schlüssigen Nutzungskonzepts als Kultur- und Begegnungszentrum dauerhaft blockiert;
3. sind die finanziellen und sonstige Folgen für die Gemeinde völlig ungeklärt, wie im Übrigen auch, welche Nutzung das bisherige Rathausgebäude in Zukunft erhalten soll.