
Trockenes Laub knistert unter den Schuhsohlen. Zweige junger Buchen schaben an den Beinen entlang. Das Metallsuchgerät fiept. Meter für Meter sucht Joachim Esslinger mit dem gelben Stab den Waldboden ab. An einem Baumstumpf wird das Quietschen plötzlich durchdringend. Laura Winckelmann kniet sich neben ihren Kollegen und beginnt in der Erde zu graben. Die beiden Förster suchen ein Eisenstück, das hier seit mehr als 30 Jahren vergraben ist – und damit einen der etwa 8000 Punkte in Bayern, an denen derzeit Daten für die Bundeswaldinventur erhoben werden.
Bundeswaldinventur. Das klingt bürokratisch und kompliziert – und ja, es geht dabei um akribisch erhobene Zahlen und Daten. Dahinter stehen die simplen Fragen: Wie geht es dem Wald und wie entwickelt er sich? Die Antworten sind relevanter denn je. Klimawandel, Hitze und Trockenheit, machen den Bäumen immer mehr zu schaffen. Nur: Wie genau? Viel werde darüber spekuliert, sagt Wolfgang Stöger von der Bayerischen Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft, der die Waldinventur im Freistaat leitet. Greifbare Zahlen hätten die wenigsten – und genau das soll die Inventur ändern.
In Unterfranken gibt es etwa 1000 Inventurpunkte
Joachim Esslinger und Laura Winckelmann gehören zu Stögers Inventur-Team. Sie sammeln noch bis Ende des Jahres im gesamten Freistaat Walddaten. Dadurch bekomme man ein ganz anderes Bild vom Wald, sagt Esslinger. Der Forstrevierleiter aus Bad Staffelstein ist bereist zum dritten Mal bei der Inventur dabei. Gemeinsam mit Winckelmann untersucht er vor allem den Wald in Unterfranken.

Alle zehn Jahre findet diese Inventur des Waldes deutschlandweit statt, momentan zum vierten Mal. Das Ziel ist quasi ein Zustandsbericht des Waldes, eine Bestandsaufnahme. Bundesweit würde sie einheitlich, nach dem exakt gleichen Verfahren durchgeführt, sagt Stöger.
Grundlage ist ein Gitternetz, das das Land mit einem Raster von vier mal vier Kilometern überzieht. An jedem Schnittpunkt wurde ein weiteres Quadrat von 150 mal 150 Metern aufgespannt – und wenn dessen Eckpunkte in Waldgebiet fallen, "kommen wir hin", erklärt Stöger. Egal wem der Wald gehöre, egal ob der Punkt an einem Steilhang liege oder in dichtem Gestrüpp.
In Unterfranken verstecken sich etwa 1000 Inventurpunkte und das im Wortsinn. Die Punkte seien geheim und sollten das auch bleiben, sagt Stöger. "Das ist wichtig, sonst kann der Waldbesitzer hier anders agieren als im Rest seines Waldes."
Die Inventur findet punktgenau dort statt, wo sie schon vor zehn Jahren stattfand
Fast täglich sind Joachim Esslinger und Laura Winckelmann derzeit auf der Suche nach den Punkten, an diesem Vormittag in einem Waldstück bei Greußenheim im Landkreis Würzburg. Ihr Kofferraum ist vollgestopft mit Kisten und Geräten. Maßbändern, Ultraschall-Höhenmess- und GPS-Gerät, Laptop und Kompass. Jacken und Ersatzschuhen. Es wird keine gemütliche Wanderung. Die Eisenstücke sind oft in unwegsamem Gelände vergraben.
Esslinger klappt den Laptop auf, Winckelmann hält das GPS-Gerät. Die Navigation startet, führt die Förster ab vom Weg, vorbei an einem querliegenden Baumstamm, leicht bergauf. Mitten ins Unterholz. Hier einen nur 20 Zentimeter langen, vergrabenen Eisenstab finden? "Es ist ein bisschen wie Geocaching", sagt Winckelmann und lacht. Die Technik hilft, wo mit bloßem Augen nichts zu entdecken ist. Tatsächlich steckt der Eisenstab direkt neben dem Buchenstumpf in der Erde. Die Inventur kann beginnen, auf den Zentimeter genau dort, wo sie vor zehn Jahren auch stattfand.
Insgesamt 150 Parameter werden pro Inventurpunkt erfasst
Als erstes geht es um die Verjüngung, sprich die nachwachsenden Bäume. Esslinger klappt den Zollstock aus und setzt ihn neben einer kleinen Buche an. "Rotbuche, Größe 1, kein Verbiss." Jedes Bäumchen über 20 Zentimetern in einem festgelegten Radius wird so aufgenommen. Plötzlich stockt die Routine. "Eine Mehlbeere!" Esslinger strahlt. "Das ist eine Baumart, die in Zeiten des Klimawandels sehr viel mehr Bedeutung bekommen wird, weil sie die Sommertrockenheit besser verträgt." Tatsächlich sei es das allererste Mal seit Inventurbeginn, dass sie die Rarität entdecken.

Nicht nur die Baumart, sondern insgesamt 150 Parameter werden an jedem Inventurpunkt erfasst. Dazu gehören beispielsweise die Anzahl der Bäume, der Durchmesser und die Höhe, aber auch wie viel und welches Totholz zu finden ist. Alle Werte werden sorgfältig dokumentiert.
Das kann dauern. Manchmal brauchen Winckelmann und Esslinger bis zu drei Stunden für einen Punkt. Meist sind die beiden Förster von morgens bis abends im Wald, zu jeder Jahreszeit. "Im Winter haben wir zum Teil Hampelmänner gemacht, damit unsere Finger wieder warm geworden sind", sagt Esslinger. Im Sommer kämpfen die Teams je nach Lage mal mit Mücken, mal mit Hitze oder mit den Brennhaaren des Eichenprozessionsspinners. Im Schnitt würden sie zwischen vier und fünf Inventurstellen pro Tag schaffen, sagt Winckelmann.
Im unterfränkischen Wald geht es an diesem Vormittag weiter mit dem Totholz. Dann läuft Esslinger mit einem Maßband zu einer dicken Buche, die großen Bäume sind an der Reihe. Die Buche sei "pumperlgesund", sagt der Förster. Keine Schäden zu erkennen. Er schlingt das Band um den Stamm. 56 Zentimeter. Vor zehn Jahren waren es 53. Das sei der Zuwachs, den man erwarten könne, so Esslinger. Aber nicht wirklich viel.
Auch um diese Vergleiche geht es bei der Waldinventur. Zu sehen, wie viel Holz wächst zu, wie viel wird genutzt, wie viel stirbt ab. Tendenziell wachse die Waldfläche in Bayern seit 30 Jahren, sagt Stöger. Lokal könne das freilich anders sein. Wichtig sei: "Wir haben ganz viele Punkte und die Summe liefert ein Ergebnis".
Die Auswertung der Ergebnisse dauert bis 2024
Der Aufwand dafür ist immens. Auf zwei Jahre ist die Bundeswaldinventur angelegt, bei Kosten von rund 25 Millionen Euro. Die Auswertung der Ergebnisse wird bis 2024 dauern. Sie werden transparent veröffentlicht und liefern Entscheidungsgrundlagen nicht nur für die Forstwirtschaft, sondern auch für Wissenschaftler und Naturschützer weltweit. Dabei steht Unterfranken besonders im Fokus.

Die Region gilt als Hotspot des Klimawandels. "Der Zustand des Waldes bei uns ist dramatisch", sagt Michael Grimm, Abteilungsleiter beim Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Kitzingen-Würzburg. Die anhaltende Trockenheit und Hitze würden den Bäumen enorme Probleme bereiten. Dafür sei längst auch die Bevölkerung sensibel geworden, so Grimm. Es fällt auf, wenn der Wald bereits im Hochsommer aussieht wie im Herbst. "Wir machen uns Sorgen, wie es weitergeht." Vor allem die Buchen würden leiden – obwohl sie eigentlich bayernweit als Hoffnungsträger galten, als Baumart, die mit dem Klimawandel gut zurechtkommen könnte.
Die größten Verlierer in den Wäldern seien "sicher die Fichte und die Kiefer", sagt Stöger. Nun aber drohe auch die Buche "zu schwächeln". Das erschrecke. Ziel sei es, künftig Vielfalt zu schaffen. "Wir müssen weg von Wäldern, die nur aus einer oder zwei Baumarten bestehen."
Joachim Esslinger nickt. "Man merkt, dass wir in den letzten Jahren vier Trockenjahre hatten. Da geht es den Bäumen einfach schlechter und dann können sie weniger Zuwachs bringen." Er klopft gegen den Stamm der Buche. "Mein Bauchgefühl ist schon, dass sich das vielleicht niederschlagen wird." Allerdings sei das eben nur ein Bauchgefühl – und kein Fakt. "Deshalb machen wir diese Inventur: um die echten Zahlen zu bekommen."
Zwischen 80 und 90 Prozent der unterfränkischen Punkte sind bisher untersucht
Die Förster arbeiten konzentriert. Winckelmann geht mit einem Transponder zum nächsten Baum. Wieder eine Buche, 115 Jahre alt. Esslinger entfernt sich ein Stück, stapft knackend durchs Unterholz, sucht einen Punkt, von dem er das Gerät und die Baumspitze sehen kann. So kann mittels Ultraschall die Höhe bestimmt werden. 35,2 Meter. Winckelmann gibt den Wert ein und klappt den Laptop zu.
Wieder ein Inventurpunkt geschafft. Etwa 800 bis 900 der unterfränkischen Punkte hätten sie mittlerweile untersucht, sagt Esslinger. Eintönig? Langweilig? Die beiden Förster schütteln unisono den Kopf. Es sei ein riesiger "Erfahrungsschatz", den sie sammelten, so Esslinger. Einer, der im Bewusstsein der Menschen immer wichtiger werde.