zurück
Würzburg
Ihn ließ das Schicksal des fränkischen Judentums nicht los: Vor zehn Jahren starb Michael Schneeberger
Michael Schneeberger (1949-2014) setzte sich vielfältig für die Erforschung der jüdischen Geschichte in der Region ein. Ein Blick auf sein Leben und auf sein Werk.
Unermüdlich unterwegs auf den Spuren der jüdischen Geschichte in Bayern: Michael Schneeberger (1949-2014). Das Foto entstand an der ehemaligen Synagoge in Ermreuth (Lkr. Forchheim). 
Foto: Werner Kappelmann | Unermüdlich unterwegs auf den Spuren der jüdischen Geschichte in Bayern: Michael Schneeberger (1949-2014). Das Foto entstand an der ehemaligen Synagoge in Ermreuth (Lkr. Forchheim). 
Rotraud Ries
 |  aktualisiert: 18.10.2024 02:38 Uhr

Spät und spärlich befassten sich vor allem öffentliche Stellen in Bayern mit dem reichen Erbe der jüdischen Friedhöfe im Land – bis es schon fast zu spät war. Erst vor wenigen Jahren hat sich das geändert. Bis dahin blieb es vor allem privaten, gelegentlich kommunal unterstützten Initiativen überlassen, jüdische Friedhöfe und ihre Grabsteine zu fotografieren und im besten Fall auch ihre Inschriften zu dokumentieren. Doch auch das dauerte lang. Eine systematische Fotodokumentation mit dem Ziel, die Inschriften auf den Steinen lesen zu können, findet man in Unterfranken frühestens um 1990.

Eröffnung der Ausstellung 'Nichts mehr zu sagen und nichts zu beweinen – Ein jüdischer Friedhof in Deutschland' im Mainfränkischen Museum Würzburg 1997 mit (von links) Dr. Hans-Peter Trenschel (Museumsdirektor), Claudia Strobel (Würzburger Kulturreferentin), Michael Schneeberger und Christian Reuther als Kuratoren und Jörg Nellen (GEW-Pressesprecher).
Foto: Ruppert | Eröffnung der Ausstellung "Nichts mehr zu sagen und nichts zu beweinen – Ein jüdischer Friedhof in Deutschland" im Mainfränkischen Museum Würzburg 1997 mit (von links) Dr.

Als Mitglied der Würzburger Jüdischen Gemeinde setzte Michael Schneeberger hier Maßstäbe. Zusammen mit dem Würzburger Kommunikationsdesigner und Fotografen Christian Reuther entwickelte er schon ab 1990 eine künstlerisch und dokumentarisch hochwertige Ausstellung zum jüdischen Friedhof in Rödelsee. Dieser diente den jüdischen Gemeinden im Raum Kitzingen als Begräbnisstätte. Er hat seine Wurzeln im 15. Jahrhundert und ist wahrscheinlich der älteste noch existierende jüdische Friedhof in Unterfranken.

Die Ausstellung wurde zwischen 1992 und 2002 an zwölf Stationen deutschlandweit gezeigt. Der Katalog erschien 1994, 1997 gastierte die Schau in Würzburg. Das Besondere war, dass Schneeberger die imposanten großformatigen Fotos einzelner Grabsteine nutzte, um die Geschichte der Menschen dahinter zu präsentieren. Er widmete ihnen Grabreden von poetischer Kraft. Damit schrieben die beiden Autoren Ausstellungsgeschichte.

Fragen nach dem Schicksal der Jüdinnen und Juden

Doch was trieb Michael Schneeberger an, sich früh und intensiv dem Schicksal der jüdischen Menschen in seiner fränkischen Heimat zu widmen? Er war am 6. April 1949 in Kitzingen geboren worden und wuchs in einer evangelischen Familie mit sechs Geschwistern auf. Bereits der sensible Schüler begann Fragen zu stellen. Was war in Kitzingen zwischen 1933 und 1945 geschehen? Wer trug Schuld am Verschwinden der Kitzinger Jüdinnen und Juden? Aber niemand wollte ihm antworten. So begann er selbst den Spuren nachzuforschen. Er lernte Hebräisch und suchte den Kontakt zur Jüdischen Gemeinde in Würzburg.

Ohne Abitur zu machen, verließ er die Schule. Er dachte über eine Konversion zum Judentum, eine Emigration nach Israel und ein Leben im Kibbuz nach. Doch große Zweifel plagten ihn, er durchlebte eine schwere Krise. Erst zehn Jahre später fand Michael Schneeberger Gewissheit. Er reiste 1982 nach Israel und studierte die jüdische Religion. Drei Jahre später und nach weiteren Aufenthalten beschloss er, endgültig dorthin auszuwandern. – Es kam jedoch anders: Ihm versagten die Nieren. Da seine Dialyse im Ausland nicht bezahlt wurde, musste er in Deutschland bleiben. So vollzog Schneeberger den Übertritt zum Judentum schließlich 1986 in München. Eine Nierentransplantation erlaubte ihm immerhin wieder das Reisen.

Einer der wenigen Juden mit Wurzeln in Franken 

In Kitzingen versuchte Schneeberger nun, ein gesetzestreues Leben als Jude zu führen. Das war nicht leicht. Das fränkische und bayerische Judentum machte er zu seinem Lebensinhalt. Vielen Familien im Ausland half er, ihre Wurzeln zu finden. Dass er kaum Geld mit seiner Arbeit verdiente, nahm er in Kauf. Er kam mit wenig aus, Familie und Freunde unterstützten ihn.

Michael Schneeberger mit Nachkommen der jüdischen Familie Wetzler bei einem Besuch in Kleinheubach, 2013.
Foto: Christian Reuther | Michael Schneeberger mit Nachkommen der jüdischen Familie Wetzler bei einem Besuch in Kleinheubach, 2013.

Hoch engagiert besuchte er regelmäßig die Synagoge und brachte sich in das Leben der Jüdischen Gemeinde Würzburg ein. Er gehörte zu den ganz wenigen Mitgliedern, die ihre Wurzeln in Franken hatten. Sein Wissen zu den Bräuchen und Traditionen der fränkischen Juden, zu ihrer Geschichte, und die Kontakte zu ihren Nachkommen stärkten die Verbindung der Gemeinde zu ihren eigenen Wurzeln. Eng arbeitete Schneeberger vor allem mit Rabbiner Yacov Ebert zusammen.

Rabbiner Yacov Ebert (Würzburg) und Michael Schneeberger bei der Übergabe der Reste einer Thora-Rolle an die Würzburger Gemeinde, 2012.
Foto: Weiskopf | Rabbiner Yacov Ebert (Würzburg) und Michael Schneeberger bei der Übergabe der Reste einer Thora-Rolle an die Würzburger Gemeinde, 2012.

Als Gründungsmitglied gehörte er dem "Förderverein ehemalige Synagoge Kitzingen" an, der nach vielen Jahren die Restaurierung der Synagoge durchsetzen konnte. Doch Schneeberger verstand sich weniger als Aktivist, denn als fachkundiger Mahner. Er führte durch das Synagogengebäude und trug sein Wissen in Ausstellungen und mit Vorträgen in die Öffentlichkeit. Vor allem widmete er sich jedoch der Erforschung der jüdischen Familien. Daraus ging nach Jahren das Kitzinger Gedenkbuch "Yiskor" hervor.

Führung von Michael Schneeberger für eine Schulklasse auf dem jüdischen Friedhof Rödelsee, 2014.
Foto: Werner Kappelmann | Führung von Michael Schneeberger für eine Schulklasse auf dem jüdischen Friedhof Rödelsee, 2014.

Unermüdlicher Publizist zur Geschichte der Jüdinnen und Juden

Mit Christian Reuther bereiste er die Orte ehemaliger jüdischer Gemeinden in Bayern und besuchte ihre Friedhöfe. Und er recherchierte in in- und ausländischen Archiven. Die Ergebnisse seiner Forschungen veröffentlichte er in einer Artikelserie zu den jüdischen Landgemeinden in Bayern. Zwischen 2002 und 2014 erschienen 36 Artikel in dem Magazin "Jüdisches Leben in Bayern", darunter zwölf zu Unterfranken.

Michael Schneeberger und Dagmar Voßkühler, langjährige Vorsitzende des Fördervereins, mit dem soeben erschienenen Kitzinger Gedenkbuch 'Yiskor', 2011.
Foto: Michael Kämmerer | Michael Schneeberger und Dagmar Voßkühler, langjährige Vorsitzende des Fördervereins, mit dem soeben erschienenen Kitzinger Gedenkbuch "Yiskor", 2011.

Der erste befasste sich mit Heidingsfeld, dem ehemaligen Zentrum der unterfränkischen Judenschaft. Die Artikelserie zeigt uns die für Süddeutschland über Jahrhunderte so typische Lebenssituation der Juden in kleinen Orten auf dem Land. Die Menschen sind nicht mehr da. Ihre Spuren haben sich jedoch bis ins 21. Jahrhundert erhalten. Schneeberger arbeitete dafür, sie freizulegen – für die in der ganzen Welt lebenden Nachkommen und für die heutigen Bewohner der Region.

Recherchearbeiten von Michael Schneeberger im Archiv der Familie Fuchs von Bimbach in Burgpreppach, 2005.
Foto: Christian Reuther | Recherchearbeiten von Michael Schneeberger im Archiv der Familie Fuchs von Bimbach in Burgpreppach, 2005.

Er wurde zu Vorträgen eingeladen, verfasste Artikel und war ein gefragter Experte für jüdische Religion und Genealogie. Auch auf weiteren Friedhöfen wie in Heidingsfeld bot er Führungen an. Dass er zu Lebzeiten keine Würdigung erfuhr, nicht mit Medaillen und Preisen ausgezeichnet wurde, zeigt seine Bescheidenheit, aber auch die Widerstände, die seinen Themen immer noch entgegenschlugen.

In den letzten Jahren verschlimmerte sich sein Gesundheitszustand. Gleichwohl ließ er sich in seinem Schaffen nicht beirren. Doch am 13. Oktober 2014 verlor Michael Schneeberger den Kampf gegen seinen kranken Körper.

Er hinterließ eine beeindruckende Fülle an sorgsam und aufwändig recherchiertem Material. Diese Sammlung vermachte er der Jüdischen Gemeinde Würzburg. Sie wird im Johanna-Stahl-Zentrum verwahrt. Fünf Jahre nach seinem Tod zeigte das Zentrum in Kooperation mit dem Förderverein in Kitzingen eine Ausstellung über ihn. Unter dem Titel "Der Spurenfinder - Michael Schneeberger und das jüdische Erbe in Bayern (1949 - 2014)" würdigte sie anschaulich seine Verdienste. Christian Reuther stellte dafür Teile der Rödelsee-Ausstellung zur Verfügung. Trotz ihrer veralteten Gestalt hat sie bis heute nichts an ihrer Aktualität verloren.

Die Ausstellung „Der Spurenfinder - Michael Schneeberger und das jüdische Erbe in Bayern (1949 - 2014)“ im Johanna-Stahl-Zentrum in Würzburg, kuratiert von Rotraud Ries und Maja Andert, 2019.
Foto: Rotraud Ries | Die Ausstellung „Der Spurenfinder - Michael Schneeberger und das jüdische Erbe in Bayern (1949 - 2014)“ im Johanna-Stahl-Zentrum in Würzburg, kuratiert von Rotraud Ries und Maja Andert, 2019.

Dr. Rotraud Ries ist Historikerin und Expertin für deutsch-jüdische Geschichte. Sie leitete von 2009 bis 2022 das Johanna-Stahl-Zentrum für jüdische Geschichte und Kultur in Unterfranken und hatte maßgeblichen Anteil am Projekt "DenkOrt Deportationen".

 
Themen & Autoren / Autorinnen
Würzburg
Kitzingen
Rödelsee
Rotraud Ries
Abitur
Evangelische Kirche
Judenfriedhöfe
Rabbiner
Synagogen
Unterfranken
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top