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KITZINGEN/WÜRZBURG
Unermüdlich für die jüdische Geschichte
Fanal des Holocaust: die brennende Kitzinger Synagoge am 10. November 1938.
Foto: MP-Archiv | Fanal des Holocaust: die brennende Kitzinger Synagoge am 10. November 1938.
Torsten Schleicher
 |  aktualisiert: 19.12.2017 03:01 Uhr

Eingeworfene Fenster und ein undichtes Dach: Wer Anfang der 1980er Jahre in der Kitzinger Landwehrstraße an der ehemaligen Synagoge der Stadt vorbeikam, fand einen trostlosen Anblick vor.

Der einst prachtvolle, 1883 eingeweihte Bau war in der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 von Kitzinger Nazis zunächst verwüstet und dann in Brand gesteckt worden. Nach 1945 wurde die Ruine nur notdürftig gesichert und danach lange Jahre zweckentfremdet genutzt.

Wenn die frühere Synagoge heute als „Alte Synagoge“ ein Zentrum des kulturellen Lebens in Kitzingen ist und wenn hier immer wieder auch der jüdischen Geschichte der Stadt gedacht werden kann, so hat das wesentlich mit dem Engagement von Frauen und Männern zu tun, die sich 1982 zusammenfanden, um den endgültigen Verfall des Gebäudes zu stoppen und einen Abriss zu verhindern.

Es war die Geburtsstunde des „Fördervereins ehemalige Synagoge Kitzingen“, der am Freitag einen der Preise der Aktion „Zeichen setzen“ der Mediengruppe Main-Post und des Lernwerk Volkersberg. Die katholische Volkshochschule Lernwerk Volkersberg, neben der Main-Post, Castell-Bank und der Bürgerstiftung Würzburg einer der vier Stifter der „Zeichen setzen“-Preise, würdigte das jahrzehntelange Wirken des Kitzinger Vereins mit einem Preisgeld von 500 Euro.

„Eine ganz besondere Form des Engagements in der Erinnerungskultur.“
Martina Reinwald, Laudatorin

Bei der Gründung vor über 30 Jahren war es zunächst um das Gebäude gegangen. Schon 1983 organisierte der Verein in der Ruine eine Ausstellung zu „Judentum in Kitzingen und Umgebung“, bei den Verantwortlichen in Politik und Verwaltung warben die Vereinsmitglieder vehement für eine Restaurierung des Gebäudes und eine neue, angemessene Nutzung – letztlich mit Erfolg. Zwischen 1990 und 1993 wurde die Synagoge instand gesetzt, sicher der größte Erfolg des Fördervereins.

Parallel zu den Bemühungen um das Gebäude schrieb sich der Verein die Erforschung der jüdischen Geschichte Kitzingens und seiner Umgebung auf die Fahnen. Noch in der Ruine entstanden – maßgeblich unter Leitung der Iphöfer Lehrerin Gisela Bamberg – eine Bibliothek und ein Archiv, die heute ein unersetzliches Werkzeug bei der Auseinandersetzung mit der Geschichte der Kitzinger Juden sind.

Später begleitete der Verein Neuveröffentlichungen zur regionalen jüdischen Geschichte, so Harald Knoblings „Die Synagoge in Kitzingen“, Elmar Schwingers Standardwerk „Von Kitzingen nach Izbica“ oder Michael Schneebergers „YISKOR – Gedenkbuch der Kitzinger Opfer des Holocaust“.

Seit der Eröffnung der „Alten Synagoge“ 1993 macht der Förderverein immer wieder mit Veranstaltungen und Ausstellungen von sich reden: Jüdische Künstler zeigen ihre Werke, Lesungen und Konzerte werden organisiert.

Und nicht zuletzt stellte der Verein – vor allem über den 2014 verstorbenen Michael Schneeberger – immer wieder den Kontakt zu ehemaligen Kitzinger Juden her, so zum Beispiel zu Walter Reed, der aus Mainstockheim stammte und später in den USA lebte, oder zu Justin Sonder aus Chemnitz, der in den 1930er Jahren als Kind bei seinen Großeltern in Kitzingen war und die Hölle von Auschwitz überlebte.

Die betagten Gäste sprachen dabei nicht nur mit Vereinsmitgliedern, sondern berichteten auch vor Kindern und Jugendlichen über Verfolgung und Vernichtung des Kitzinger Judentums durch das NS-Regime und seine Helfer.

Bei der Preisverleihung am Freitagabend bezeichnete Laudatorin Martina Reinwald, Leiterin des Lernwerk Volkersberg, den seit 33 Jahren aktiven Förderverein als „Methusalem“ unter den Ausgezeichneten und bescheinigte ihm eine „ganz besondere Form des Engagements in der Erinnerungskultur“.

„Sie rücken das konkrete Erinnern in den Fokus“ sagte Reinwald an den Verein, der in Würzburg mit vier Vorstandsmitgliedern und in Begleitung von OB Siegfried Müller und stellvertretendem Landrat Robert Finster vertreten war.

Fördervereinsvorsitzende Margret Löther sagte nach der Auszeichnung, sie freue sich, dass „mit unserem Nischenverein“ auch die Beschäftigung mit der jüdischen Religion gewürdigt werde. Neben den Preisstiftern dankte sie auch Stadt und Landkreis Kitzingen für die Unterstützung der Vereinsarbeit.

Feierliche Übergabe: Im November 2012 nimmt der Würzburger Rabbiner Jakov Ebert (links) aus den Händen des Historikers Michael Schneeberger (1949–2014) die Reste einer wiedergefundenen Kitzinger Thorarolle entgegen.
Foto: Ralf Weiskopf | Feierliche Übergabe: Im November 2012 nimmt der Würzburger Rabbiner Jakov Ebert (links) aus den Händen des Historikers Michael Schneeberger (1949–2014) die Reste einer wiedergefundenen Kitzinger Thorarolle ...
Ausstellungsvorbereitung im September 2015: Brigitte Zalder, Doris Frank und Vereinsvorsitzende Margret Löther (von links).
Foto: Sabine Dähn-Siegel | Ausstellungsvorbereitung im September 2015: Brigitte Zalder, Doris Frank und Vereinsvorsitzende Margret Löther (von links).
Ehrenamt von seiner ganz praktischen Seite: Im September 2010 bei der Arbeit auf dem jüdischen Friedhof am Schwanberg bei Rödelsee. Links im Bild die 2013 verstorbene Vorsitzende des Fördervereins Dagmar Voßkühler.LÖTHER
Foto: Foto: | Ehrenamt von seiner ganz praktischen Seite: Im September 2010 bei der Arbeit auf dem jüdischen Friedhof am Schwanberg bei Rödelsee. Links im Bild die 2013 verstorbene Vorsitzende des Fördervereins Dagmar Voßkühler.LÖTHER
Lernen über das Judentum: Die kleine „Synagoge in der Synagoge“ ist nicht nur ein Gebetsraum, sondern auch ein Ort der Wissensvermittlung – hier mit Schülerinnen der Volksschule Siedlung im Sommer 2012.
Foto: Heike Schneller-Schneider | Lernen über das Judentum: Die kleine „Synagoge in der Synagoge“ ist nicht nur ein Gebetsraum, sondern auch ein Ort der Wissensvermittlung – hier mit Schülerinnen der Volksschule Siedlung im Sommer 2012.
KT-Synagoge-3       -  Unterstützung für die Forschung: Im Dezember 2003 stellt der Kunsthistoriker Harald Knobling (Zweiter von rechts) sein Buch über die Synagoge – in Anwesenheit von OB Bernd Moser, Stadtarchivarin Doris Badel (Mitte) sowie Dagmar Voßkühler (links) und Gisela Bamberg vom Synagogen-Förderverein.
Foto: Torsten Schleicher | Unterstützung für die Forschung: Im Dezember 2003 stellt der Kunsthistoriker Harald Knobling (Zweiter von rechts) sein Buch über die Synagoge – in Anwesenheit von OB Bernd Moser, Stadtarchivarin Doris Badel ...
Bewegender Moment: Der Chemnitzer Auschwitz-Überlebende Justin Sonder besucht im Mai 2011 mit seiner Frau Marga die Alte Synagoge in Kitzingen. Hier im Gespräch mit dem Historiker Dr. Elmar Schwinger (rechts). Schwinger ist der Verfasser des Standardwerks „Von Kitzingen nach Izbica“.
Foto: Torsten Schleicher | Bewegender Moment: Der Chemnitzer Auschwitz-Überlebende Justin Sonder besucht im Mai 2011 mit seiner Frau Marga die Alte Synagoge in Kitzingen. Hier im Gespräch mit dem Historiker Dr. Elmar Schwinger (rechts).
Prägt wieder das Kitzinger Stadtbild: die Alte Synagoge in der Landwehrstraße.
Foto: Silvia Gralla | Prägt wieder das Kitzinger Stadtbild: die Alte Synagoge in der Landwehrstraße.
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