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Würzburg
Hamas-Propaganda in Würzburg? Staatsanwaltschaft ermittelt nach Judenhass-Vorwürfen gegen Pro-Palästina-Szene
Die "Free Palestine"-Bewegung geht für Frieden auf die Straße, während online antisemitische Verschwörungstheorien und Gewaltaufrufe kursieren. Was die Beschuldigten sagen
Unter anderem am 14. Januar 2024 wurde in Würzburg demonstriert. Gegen einige Personen aus dem Umfeld der Szene wird nun ermittelt.
Foto: Silvia Gralla | Unter anderem am 14. Januar 2024 wurde in Würzburg demonstriert. Gegen einige Personen aus dem Umfeld der Szene wird nun ermittelt.
Aaron Niemeyer
 und  Lara Meißner
 |  aktualisiert: 13.07.2024 02:34 Uhr

Die Zahl der antisemitischen Vorfälle in Deutschland hat seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 massiv zugenommen. 5.164 erfasste antisemitische Straftaten gab es nach Angaben des Bundeskriminalamts im Jahr 2023, ein Jahr davor waren es 3.027 registrierte Fälle. Die Recherche- und Informationsstelle gegen Antisemitismus (Rias) spricht von "einem sprunghaften Anstieg".

Mehrere Fälle von mutmaßlichem Antisemitismus und Judenhass beschäftigen derzeit auch die Würzburger Justiz. Kürzlich hat die Deutsch-Israelische-Gesellschaft (DIG) Vorwürfe gegen die lokale Free-Palestine-Bewegung veröffentlicht und zur Anzeige gebracht. Die Bewegung demonstriert regelmäßig unter wechselndem Namen gegen die militärische Reaktion Israels auf den Hamas-Angriff und das Leid der Zivilbevölkerung im Gaza-Streifen.

Konstantin Mack, Vorsitzender der DIG in Würzburg, sagt gegenüber dieser Redaktion: "Der Gruppierung scheint es vor allem um Israel-Hass und das antisemitische Empörungspotential zu gehen, das sich aus der tragischen Lage der Palästinenser:innen abschöpfen lässt." Gegen mutmaßliche Verantwortliche hat die DIG Strafanzeige eingereicht, die Staatsanwaltschaft ermittelt.

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Wie äußert sich die Gruppe "Free Palestine" zu den Vorwürfen der DIG?

"Free Palestine Würzburg" wehrt sich auf Instagram gegen die "Diffamierungsversuche" der Deutsch-Israelischen-Gesellschaft. "Wir demonstrieren, um einen Waffenstillstand zu fordern", heißt es dort. Auch die Anfrage dieser Redaktion beantwortet die Gruppe in einem Instagram-Posting.

Die Bewegung setze sich aus "einer Vielzahl von Nationen, Religionen und politischen Richtungen zusammen", heißt es auf Instagram. "Antisemitismus und Rassismus jeglicher Art haben bei uns keinen Platz!" Versammlungsauflagen setze die Gruppe ordnungsgemäß durch. Für Verstöße "einzelner Teilnehmer" könne die Gruppe keine Verantwortung übernehmen.

Ritualmord-Legende? Warum gegen eine Würzburger Organisatorin ermittelt wird

Zentrale Vorwürfe der DIG richten sich gegen eine Verantwortliche der "Free Palestine"-Bewegung. Die Würzburgerin trat laut Recherchen dieser Redaktion bei Versammlungen als Ordnerin, Rednerin oder Anmelderin auf. Mit regionalen Behörden hat sie in der Flüchtlingshilfe zusammengearbeitet, sie steht in Verbindung mit der türkischen Würzburger Ditib-Moschee.

Die DIG hat die Frau wegen mutmaßlicher Volksverhetzung angezeigt, denn sie habe antisemitische Inhalte auf TikTok verbreitet. Darin wird Jüdinnen und Juden unterstellt, "sie würden Kinder entführen, sie rituell vergewaltigen und ihnen die Organe entnehmen". Laut Bayerischer Landeszentrale für politische Bildung ist diese unbelegte Erzählung eine uralte antisemitische Verschwörungstheorie.

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Die Strafanzeige und ein Screenshot des Postings liegen der Redaktion vor. Laut Staatsanwaltschaft wird ermittelt. Die Angeschuldigte bestätigt auf Nachfrage, dass sie "den Beitrag, ohne groß darüber nachzudenken, geteilt" habe. Das habe sich jedoch "als falsche Entscheidung herausgestellt", sie habe das Bild gelöscht. Die Vorwürfe der DIG weist die Frau "vehement zurück".

Hamas-Glorifizierung? Warum gegen einen Nürnberger Konvertiten ermittelt wird

Auch einen jungen Islam-Konvertiten aus Nürnberg, der in Würzburg als Redner aufgetreten ist, hat die DIG angezeigt. Der Redaktion liegen mehrere Screenshots seines Instagram-Profils vor. Darauf zu erkennen: Bewaffnete Kämpfer, die an Hamas-Terroristen erinnern. Und: Ein kleines rotes Dreieck, wie es laut Experten von der Hamas zur Kennzeichnung von Terrorzielen verwendet wird.

Wegen des Terrorangriffs der Hamas auf Israel und des Kriegs im Gaza-Streifen gibt es seit Monaten Demonstrationen. Im Bild: eine Pro-Palästina-Demonstration in Würzburg.
Foto: Silvia Gralla, Getty Images; Montage: Daniel Biscan | Wegen des Terrorangriffs der Hamas auf Israel und des Kriegs im Gaza-Streifen gibt es seit Monaten Demonstrationen. Im Bild: eine Pro-Palästina-Demonstration in Würzburg.

Die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Führt bestätigt auf Anfrage, dass gegen den Mann wegen des Verdachts des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen sowie der Belohnung und Billigung von Straftaten ermittelt werde.

Er verurteile "Angriffe auf die Zivilbevölkerung", sagt der Mann dazu auf Anfrage der Redaktion. Die Hamas müsse zur Rechenschaft gezogen werden. Bei den Kämpfern auf den Fotos könne er "eine direkte Mitgliedschaft in terroristischen Vereinigungen" nicht erkennen. Ihn zudem wegen des Dreiecks in Verbindung mit Terrorismus zu bringen, grenze an "Verleumdung".

Gewaltaufrufe? Warum im Umfeld einer kommunistischen Gruppe ermittelt wird

Früh hatte sich die kommunistische Kleingruppe "der Funke" mit den Palästina-Demos in Würzburg solidarisiert. Mit ihren studentischen Marx-Lesekreisen war die Gruppe bisher nicht übermäßig aufgefallen. Zuletzt hatte sie ihr politisches Wirken jedoch intensiviert: "So wirst du zum kommunistischen Agitator" lautet etwa ein aktueller Blogbeitrag des "Funken".

Eine Pro-Palästina-Demonstration auf dem Würzburger Marktplatz im Januar 2024.
Foto: Silvia Gralla | Eine Pro-Palästina-Demonstration auf dem Würzburger Marktplatz im Januar 2024.

Potenzial für politische Aufstachelung hat die Gruppe nun augenscheinlich im Kontext des Gaza-Kriegs ausgemacht. "Intifada bis zum Sieg. Kämpft für Sozialismus", lautet ein aktuelles Posting der Gruppe auf Instagram. Als "Intifada" werden Aufstände der Palästinenser bezeichnet. Die DIG sieht in dem Posting einen Gewaltaufruf. Der Ausspruch "Intifada bis zum Sieg" ist in Bayern verboten, bestätigte die Generalstaatsanwaltschaft München gegenüber dem Bayerischen Rundfunk. Die Würzburger Staatsanwaltschaft ermittelt in der Sache.

Ein Sprecher von "der Funke" schreibt auf Anfrage der Redaktion: "Unser Kampf gilt allen bürgerlichen Staaten, auch dem israelischen. (...) Wir bereiten uns auf die sozialistische Weltrevolution vor." Und: "Eine neue Intifada in Palästina wäre ein Leuchtfeuer für den gesamten Nahen Osten."

Wie schätzen Behörden die Pro-Palästina-Szene und die Demos in Würzburg ein?

Antisemitische Hassrede hat sich laut Oberstaatsanwalt Hubert Stühler vor allem online in Würzburg gehäuft: Dem Sonderbeauftragten für die Bekämpfung von "Hate Speech" zufolge, hatte im Jahr 2023 ein Drittel der ermittelten Hate-Speech-Fälle einen antisemitischen Hintergrund. Den Israel-Gaza-Krieg bezeichnet er als "Brandbeschleuniger".

Mindestens elf pro-palästinensische Demonstrationen gab es laut Polizei seit dem 7. Oktober in Würzburg, die größte mit über 500 Teilnehmern. Mutmaßliche Straftaten gab es dort einige: Die Polizei spricht von rund einem Dutzend Beleidigungen, der Billigung von Straftaten und dem Verwenden von Kennzeichen verfassungsfeindlicher Organisationen in drei Fällen. Zudem sei ein Plakat mit der Aufschrift "Hitler well done" verwendet worden. Versammlungen auf pro-israelischer Seite blieben laut Polizei ohne strafrechtlich relevante Vorkommnisse.

Konstantin Mack, Sprecher der Deutsch-Israelischen-Gesellschaft Würzburg, bei einer Kundgebung auf dem Unteren Markt.
Foto: Patty Varasano | Konstantin Mack, Sprecher der Deutsch-Israelischen-Gesellschaft Würzburg, bei einer Kundgebung auf dem Unteren Markt.

Verhärtete Fronten: Gibt es Gesprächsbereitschaft der Gruppen in Würzburg?

"Wir sind und waren immer bereit, in den Diskurs zu gehen", schreibt "Free Palestine Würzburg" an die Deutsch-Israelische-Gesellschaft (DIG) gerichtet auf Instagram. Die Initiative habe erfolglos versucht, Kontakt aufzunehmen.

Konstantin Mack, Sprecher der DIG, sagt dazu auf Anfrage: "Der DIG wurde bisher kein Gesprächsangebot gemacht." Für ein ernsthaftes Gespräch sei die DIG offen. Er habe Mitgefühl für das große Leid der Zivilbevölkerung in Gaza, vermisse jedoch ähnliches Verständnis für die israelische Seite.

 
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  • Hans-Martin Hoffmann
    Immer das Gleiche -

    einige wenige (pathologische?) Menschenhasser brechen einen bewaffneten Konflikt vom Zaun, und am meisten leiden die Ärmsten der Armen. Meine Befürchtung ist, "from the river to the sea" geht in Erfüllung - aber um den Preis zehntausender Leben von Zivilisten "zugunsten" von Israel. Anhand der Mehrheitsverhältnisse in der Knesset ist mit einem Einlenken der Regierung eher nicht zu rechnen, und mit Antisemitismus zu leben beherrschen die Betroffenen seit Jahrhunderten. Schlechte Aussichten für einfache Menschen - aber bei aller Kritik an der israelischen Regierungspolitik kann die Antwort nicht sein, Hate Speech (oder gar Schlimmeres) gegen alle Juden ins Feld zu führen.

    Verhandlungen fordern immer, Gewalt nimmer - denn die macht nichts besser. Aber die Menschheit mag anscheinend nicht dazulernen, der letzte "große" Krieg mit -zig Millionen Toten ist ja auch schon beinahe 80 Jahre her...
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  • Sebastian Hansen
    Wenn man ein Plakat mit "Hitler well done" verwendet zeigt das ja sehr eindrücklich, wo diese Gruppe steht. Dieser Antisemitismus ist unerträglich und ich hoffe, dass es da jetzt auch mal wirkliche Konsequenzen gibt.
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  • Hubertus Kiesel
    Ich kann der Organisation Free Palestine empfehlen, ihre Hamas-Führer aufzufordern, alle Geiseln vom 7. Oktober freizulassen. Dann wird Israel auch einem Waffenstilstand zustimmen. Ich befürchte aber, dass einige der Geiseln inzwischen tot sind. Wenn man inzwischen freigelassenen Geiseln glaubt, werden gefangene Geiseln systematisch vergewaltigt und gefoltert.
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