Eine Mitarbeiterin trägt einen Stapel Akten in Hubert Stühlers Büro. "Die Arbeit geht nicht aus", sagt der Oberstaatsanwalt trocken. Gerade hat der Sonderdezernent für die Bekämpfung von Hate-Speech die Statistik der Staatsanwaltschaft Würzburg erläutert: 74 Verfahren, die als Hasskriminalität einzustufen sind, haben Stühler und seine Kolleginnen und Kollegen im Jahr 2023 angestrengt.
Bayernweit ermittelte die Justiz in über 3100 Fällen. Dass die Zahlen zuletzt stiegen, ist für Bayerns Justizminister Georg Eisenreich (CSU) ein Zeichen dafür, dass der Kampf gegen strafbaren Hass und Hetze im Internet konsequent geführt werde. Unter den 76 Beschuldigten, die die Staatsanwaltschaft Würzburg ins Visier nahm, waren laut Stühler 60 Erwachsene, fünf Jugendliche und zwei Verdächtige zwischen 18 und 21 Jahren.
Hate-Speech ist in vielen Fällen antisemitisch motiviert
Als "Brandbeschleuniger" erweist sich der Israel-Gaza-Krieg. Laut Hubert Stühler ist fast ein Drittel aller mutmaßlichen Hate-Speech-Taten im Raum Würzburg antisemitisch motiviert. Dazu kommen Fremdenfeindlichkeit, Islamfeindlichkeit und die sexuelle Orientierung von Menschen. Frauenfeindliche Hetze, für die die Statistik bayernweit einen starken Anstieg verzeichnet, war bei der Staatsanwaltschaft in Würzburg 2023 kein Thema.
Stühler, der stellvertretender Leiter der Würzburger Staatsanwaltschaft ist, zeigt eine "typische Akte": Eine 26-jährige Studentin hat auf der Plattform X einen Post verbreitet, in dem bezweifelt wird, dass der Hamas-Überfall vom 7. Oktober ein terroristischer Akt war. Der Vorwurf der Justiz lautet: "Billigung einer Straftat".
Aufmerksame Zivilgesellschaft: Viele Anzeigen von Recherche- und Meldestellen
Anzeige erstattet habe in diesem Fall "eine Privatperson aus dem pro-israelischen Lager", sagt Stühler. Oft seien es aber zivilgesellschaftliche Organisationen wie die Meldestelle "REspect", getragen von der Jugendstiftung Baden-Württemberg, die Hetze im Netz aufspüren und, je nach Wohnort des Absenders, den zuständigen Staatsanwaltschaften zuleiten. "Die Verantwortlichen bei ,REspect' oder auch bei 'RIAS Bayern', der Recherche- und Meldestelle Antisemitismus, machen eine sehr gute Arbeit", sagt der Oberstaatsanwalt.
Dazu recherchieren laut Stühler Beamte in den Landeskriminalämtern und beim Bundeskriminalamt auf einschlägigen Internet-Seiten - und spüren Straftaten wie Volksverhetzung, Bedrohung oder Werbung für terroristische Vereinigungen im Netz auf. Als Hate-Speech werden strafbare Postings bezeichnet, wenn es über die bilaterale Kommunikation hinausgeht. "Das kann auch schon bei Beiträgen in einer WhatsApp-Gruppe der Fall sein", sagt Stühler.
Staatsanwaltschaft lässt "Tatwerkzeuge" wie Handys und Laptops beschlagnahmen
In Fällen wie dem der Studentin bewertet der Staatsanwalt dann, ob ein Anfangsverdacht vorliegt - und wie die Kriminalpolizei bei der konkreten Ermittlungsarbeit unterstützt werden kann. Sobald mutmaßliche Urheberin oder mutmaßlicher Urheber eines beanstandeten Hass-Postings - oder auch deren Verbreiter - bekannt sind, beantrage er in den meisten Fällen beim Ermittlungsrichter einen Durchsuchungsbeschluss, sagt Stühler. Damit könne die Polizei mutmaßliche "Tatmittel" wie Computer, Laptops oder Handys zeitnah beschlagnahmen. Auch die Würzburger Studentin bekam "Besuch" von der Polizei.
Die Auswertung der Daten auf den Geräten durch IT-Forensiker dauert dann meist mehrere Monate. "Die Kapazitäten bei der Polizei sind hier leider begrenzt", sagt Stühler. Er und die 21 weiteren Hate-Speech-Sonderdezernenten in Bayern wünschten sich zusätzliches Fachpersonal für die Polizei, um Straftaten im Netz möglichst zeitnah zur Anklage zu bringen.
Kommt ein Fall vor Gericht, plädiert der Oberstaatsanwalt als Vertreter der Anklage in aller Regel dafür, dass der Autor oder die Autorin der Hass-Botschaft das Tatwerkzeug, häufig ein hochwertiges Smartphone, für immer abgeben muss. "Das trifft viele Menschen härter noch als eine Geldstrafe", sagt der 54-Jährige aus Erfahrung.
In Würzburg gab es im vergangenen Jahr 18 Verurteilungen wegen Hate-Speech. 17 Mal verhängte das Gericht eine Geldstrafe, einmal eine Freiheitsstrafe auf Bewährung. Und meist kassierten die Richterinnen und Richter die Tat-Handys gleich mit ein.
Oberstaatsanwalt Stühler: "Kein Pardon bei Antisemitismus"
"Davon versprechen wir uns einen präventiven Effekt", sagt Hubert Stühler. Selbst in keinem Online-Netzwerk vertreten, verteidigt den strengen Kurs, den sich die bayerische Justiz gegen Hate-Speech auferlegt hat. "Gerade bei Antisemitismus darf es kein Pardon geben: Wehret den Anfängen."
und Prävention ist mMn nur dann sinnvoll/ überhaupt möglich, wenn man weiß, "woher das kommt", sonst ist alles nur "Herumdoktern an Symptomen". Um solche Folgen zu haben, muss doch schon grundlegend in der Gesellschaft etwas schieflaufen. Und das nur mal eben auf die (so genannten) sozialen Medien zu schieben, ist mir zu einfach. Bevor man per Internet etwas propagieren kann, muss doch irgendjemand überhaupt mal die Idee gehabt haben.
Was mich angeht, habe ich (immer mehr) den Eindruck, in Deutschland wird immer gern "sozial (bzw. politisch korrekt) geredet" und gerne das Gegenteil getan - was aber nichts macht, weil man ja immer "das Gute" beschwört (sowas nennt man glaub ich "scheinheilig"). Daraus entsteht jede Menge Frustration, die dann auf (bequeme) Sündenböcke abgeladen wird.
Kann das sein? Bitte um Antworten/ Diskussion!
"Da 'mal 'was Falsches sagen" (oder aus dem Zusammenhang gerissen zitiert werden).
Wer glaubt mit Rhetorik von „Hate-Speech“ (?) und Berichten mit triumphalem Unterton über Studentinnen u.ä., die „Besuch“ von der Polizei kommen die Realität einzäunen zu können, hat wohl wenig begriffen.
Gleichzeitig macht bspw. ein Minister Aiwanger in Talk-Shows genau das auf großer Bühne: Hass gegen Menschen verbreiten. Völlig unbehelligt.
Das ist leicht untertrieben. In Asservaten-Räumen stapeln sich Tausende Laptops, PCs, Handys. Mit der Sichtung kommt man überhaupt nicht mehr her.
Auch das gehört zur Wahrheit.
Polizisten, die sich darum kümmern können, kann man sich auch nicht herbeizaubern! Straftaten spielen sich bekanntlich nicht nur im virtuellen Raum ab.
Das ist m.E. magisches Denken.
Und es ist schon ein Unterschied ohne jemand sich auf eine Bühne stellt und Volksverhetzung betreibt oder ob jemand virtuell einen Kommentar abgibt.
Der Landtag hat sich bereits mit Fällen befasst, wo wegen eines Facebooks-Likes der Verfassungsschutz eingeschaltet wurde Wohnungsdurchsuchung stattfand - und dies gerügt!