Unter normalen Umständen würde Niv Viezel an diesem Montagnachmittag im Würzburger Landratsamt wohl über Tröpfchenbewässerung und Weinbau sprechen. Und wahrscheinlich würde der 62-jährige Landrat des Würzburger Partnerlandkreises Mateh Yehuda in Israel über Zukunft und Zuversicht sprechen. Aber es sind keine normalen Umstände.
Denn sein Landkreis befindet sich nach einem brutalen Angriff der islamistischen Terrororganisation Hamas seit dem 7. Oktober im Krieg. Über 1000 Menschen hat die Hamas getötet, immer noch werden über 100 Geiseln vermisst. In Mateh Yehuda wurden 13 Soldatinnen und Soldaten getötet, fünf Geiseln wurden ermordet, zwei Menschen aus dem Landkreis werden noch immer vermisst. "Seit dem Holocaust hat es so etwas nicht mehr gegeben", sagt Niv Viezel im Würzburger Landratsamt.
Soldaten im Würzburger Partnerlandkreis durch Hamas-Angriff getötet
Dass die Hamas nur eine Stunde vor seinem Vortrag vor rund 30 Politikerinnen und Politikern aus der Region Würzburg erneut 21 israelische Soldaten getötet hat, weiß Viezel nicht, als er im Landratsamt zu sprechen beginnt. Dass wieder ein Soldat aus seinem Landkreis unter den Getöteten war, weiß er auch nicht, als er von "Bestien ohne jede Menschlichkeit" spricht, die sein Land überfallen haben.
An seinem Vortrag hätte es wohl auch nicht viel geändert. "Die schlimmsten Bilder zeigen wir nicht", sagt er den versammelten Lokalpolitikerinnen und Lokalpolitikern. Er zeigt ihnen jedoch Bilder des Dorfes Netiv Haasara an der Grenze zu Gaza. Dort ließ sich eine Delegation aus der Region Würzburg bei einem Besuch im Jahr 2017 vor dem Bild einer Friedenstaube fotografieren. Inzwischen ist der Ort verwüstet, israelische Soldatinnen und Soldaten patrouillieren die Straßen.
"Ich bin dankbar für das Vertrauen, das den Landkreis Würzburg und den Landkreis Mateh Yehuda verbindet", sagt Landrat Thomas Eberth (CSU), der anlässlich des Besuchs der Delegation zum Austausch eingeladen hat. Im Gespräch mit der Redaktion thematisiert er lokalpolitische Anknüpfungspunkte: die Feuerwehr in Mateh Yehuda etwa, die aktuell nur durch Ehrenamtliche einsatzfähig bleibt, weil die eigentlichen Mitglieder zum Kriegsdienst eingezogen wurden.
Leiterin des Jugendamts: "Habe Kinder ohne Eltern unterbringen müssen."
Seit rund 25 Jahren gibt es die Partnerschaft zwischen den Landkreisen Würzburg und Mateh Yehuda. Sie beinhaltet regelmäßige Besuche, Sprachreisen und Schüleraustausche. In einer Pressemitteilung bezeichnet das Landratsamt Würzburg die Partnerschaft "als eine beispiellose Freundschaft".
Shiran Asraf-Michaeli ist Teil der israelischen Delegation. Die 33-Jährige leitet das Jugendamt von Mateh Yehuda. Normalerweise sei sie für die Organisation von Freizeitaktivitäten zuständig, sagt sie. Nach dem Angriff seien jedoch 3200 Menschen in den Landkreis Mateh Yehuda geflüchtet und sie sei als Krisenmanagerin nun für deren Unterbringung zuständig. "Viele dieser Menschen sind innerlich zerbrochen", sagt Asraf-Michaeli. Einige seien nur mit der Kleidung am Leib in ihrem Landkreis angekommen. "Ich habe Kinder ohne Eltern und Eltern ohne Kinder unterbringen müssen."
Liron Aharon leitet die Abteilung für Bildung in Mateh Yehuda und ist für die Versorgung der Schülerinnen und Schüler zuständig. "Die Kinder haben Angst", sagt der 42-Jährige. Anstelle von Lehrplänen müsse er sich nun um Therapie-Angebote in Schulen kümmern. Was macht das mit den Kindern und mit ihm? "Gerade überleben wir nur", sagt er.
Klare Botschaft in Würzburg: "Wir müssen alle Hamas-Führer eliminieren."
Die Delegation ist mit einer klaren Botschaft nach Würzburg gekommen. "Bringt sie jetzt nach Hause", steht auf Plaketten, die die Beteiligten tragen. Die Rettung der noch lebendenden Geiseln mit Hilfe der internationalen Staatengemeinschaft habe aktuell höchste Priorität, sagt Landrat Niv Viezel. Zweite Priorität sei die Vernichtung der terroristischen Hamas – mit allen Mitteln.
Die Delegation sei nach Würzburg gekommen, um hier Gehör zu bekommen, so der 62-Jährige weiter. Er wisse, dass hier kontrovers über das Vorgehen der israelischen Regierung diskutiert werde. Um das Leid auf beiden Seiten zu beenden, gebe es jedoch nur eine Möglichkeit: "Wir müssen alle Hamas-Führer eliminieren." Wie kommt diese Position bei Lokalpolitikerinnen und Lokalpolitikern, die beim Vortrag der israelischen Delegation dabei waren, an?
Sie habe das Grundgefühl der Bedrohung bei ihrem letzten Besuch in Israel wahrgenommen, sagt Karen Heußner, Fraktionsvorsitzende der Grünen im Kreistag und stellvertretende Landrätin in Würzburg. Auch, wenn sie sich nicht alle Aussagen zu eigen mache, habe sie Verständnis. Für sie sei klar: "Ich bejahe das Existenzrecht Israels und lasse daran nicht rütteln." Bei ihrem Besuch habe sie zwei arabische Dörfer im Landkreis besucht und dort freundschaftliche Nachbarschaft erlebt. Umso trauriger sei, dass dieses Verhältnis wegen des Angriffs der Hamas nun gefährdet sei.
So äußern sich Politikerinnen und Politiker aus der Region Würzburg
Auch Volkmar Halbleib, SPD-Landtagsabgeordneter aus Ochsenfurt, liegt die Partnerschaft mit Israel am Herzen. Er sagt: "Die Betroffenheit über den bestialischen Angriff war spürbar beim Besuch der Delegation." Er habe die Israelis in Würzburg als nüchtern und sachlich wahrgenommen. "Aber ich frage mich, was danach folgt." Er erlebe seit 20 Jahren eine Spirale der Gewalt. "Ich will aber an der Hoffnung festhalten", sagt Halbleib. Nach allem, was Deutschland dem jüdischen Volk angetan habe, zeige die heutige Partnerschaft zwischen der Region Würzburg und Mateh Yehuda, dass Hoffnung denkbar sei.
"Ich durfte Familien beim Schabbat kennenlernen", berichtet Ernst Joßberger, Kreisrat und ehemaliger Bürgermeister von Güntersleben (UWG/Freie Wähler) von einem seiner Besuche in Mateh Yehuda. Insbesondere der Schüleraustausch von Familien aus der Region und aus dem israelischen Landkreis habe ihm immer am Herzen gelegen. Dass dieser Austausch wegen des bestialischen Angriffs der Hamas nun nicht mehr stattfinden könne, schmerze ihn sehr. Auch er mache sich nicht alle israelischen Positionen zu eigen. "Ich verstehe aber, dass die Menschen jetzt alles daran setzen, dass dieser Krieg im Sinne Israels beendet wird."