Es knirscht in Bayerns Praxen. Hausärztinnen und Hausärzte klagen seit Monaten über Überlastung, gedeckelte Honorare und ausufernde Bürokratie. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) will das ändern: Seine Praxisreform soll Hausarztpraxen "entökonomisieren" und damit Allgemeinmedizinern und Patienten das Leben leichter machen.
Was genau bedeutet das? Was bringt die Abschaffung von Budgets? Und wie viel verdienen Hausärzte im Freistaat überhaupt? Das Wichtigste im Überblick.
Was verdient ein Hausarzt bei einem Kassenpatienten im Schnitt?
Grundsätzlich erhält die Kassenärztliche Vereinigung Bayerns (KVB) von den Gesetzlichen Krankenkassen eine bestimmte Gesamtvergütung und muss diese dann verteilen. Dabei rechnen Hausärztinnen und Hausärzte "nicht Geld ab, sondern Punkte", erklärt Joachim Lentzkow, unterfränkischer KVB-Vorstandsbeauftragter.
"Im Schnitt bekomme ich für einen Kassenpatienten pro Quartal zwischen 50 und 60 Euro brutto – egal, wie oft der Patient da war", sagt der Allgemeinmediziner. Lukrativ sei das, wenn ein Patient nur einmal im Quartal komme, bei zwei Besuchen in der Praxis halbiere sich der Verdienst bereits. Das heißt, Hausärzte werden nicht danach bezahlt, welche Leistung sie faktisch erbringen - sondern nach Pauschalen.
"Wir sind immer da und hören uns alles an – aber für das Reden mit den Patienten gibt es kein Geld", kritisiert Dr. Mohammad Ahmadi, unterfränkischer Bezirksvorsitzender des Bayerischen Hausärzteverbands. Hinzu komme, dass höhere Praxiskosten durch Inflation und Gehaltssteigerungen beim Personal nicht ausgeglichen würden: "Wir verdienen seit 20 Jahren das gleiche."
Wie viel das genau ist, darüber reden Ärzte ungern. Angaben klaffen teils weit auseinander. Als "sehr realistischen Wert" bezeichnet Ahmadi, der in Mainstockheim (Lkr. Kitzingen) eine Praxis hat, in etwa 8000 Euro brutto im Monat. Im Jahr kämen so 110.000 bis 120.000 Euro zusammen.
Was bedeutet es, dass das Budget der Hausärzte gedeckelt ist?
Die Pauschalen für die Behandlung von gesetzlich Versicherten werden nicht unbegrenzt ausgezahlt, sondern nur, solange sie ein festgelegtes Budget nicht übersteigen. Hausarzt Mohammad Ahmadi erklärt am Beispiel, wie das funktioniert: "Wenn man annimmt, dass in Bayern jeder Hausarzt pro Quartal 1000 Patientenkarten einliest, dann wird genau das bezahlt."
Ein Arzt, der weniger Patientinnen oder Patienten habe oder exakt im Schnitt liege, erhalte die volle Vergütung. "Wer aber in dem Quartal 2000 Patienten betreut, bekommt trotzdem nur 1000 bezahlt". Gegen diesen Honorar-Deckel hatten Ärzte immer wieder protestiert.
Was verdient ein Hausarzt an einer Ultraschall-Untersuchung oder einem Hausbesuch?
Ein Ultraschall bringe zwischen acht und zwölf Euro, sagt KVB-Beauftragter Joachim Lentzkow, der selbst eine Hausarztpraxis in Goldbach (Lkr. Aschaffenburg) betreibt. "Das rechnet sich aber kaum auf die Zeit, die man dafür braucht." Mit einer Blutabnahme verdiene ein Hausarzt nichts, das gehöre "zu den durchlaufenden Kosten, quasi dem Servicepaket".
Für einen Hausbesuch bekomme er 15 Euro, "egal wie lange die Behandlung dauert", sagt Lentzkow. Fahrtkosten könne man als Hausarzt nicht extra veranschlagen. Gerade auf dem Land mit weiten Wegen sei das finanziell unattraktiv. "Kein Handwerker kommt für unseren Preis."
Im Vergleich: Wieviel verdienen Ärzte bei einem Privatpatienten?
"Fakt ist: Wir verdienen an Privatpatienten mehr als an Kassenpatienten", sagt Joachim Lentzkow. Generell sei bei Privatpatienten für jede Leistung in der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) eine Vergütung festgelegt. Demnach werden zum Beispiel für eine normale Beratung von zehn Minuten 10,72 Euro veranschlagt. Allerdings seien diese Werte nie an die Inflation angepasst worden, deshalb werde "immer der 2,3-fache Satz" berechnet.
Welche Rolle spielt es finanziell, wie oft ein Kassenpatient in die Praxis kommt?
"Der 'beste' Patient ist der, der nur einmal im Quartal kommt", sagt KVB-Beauftragter Lentzkow. Dann werde einmal die Versichertenkarte eingelesen und die volle Quartalspauschale abgerechnet. Jeder weitere Besuch des Patienten mindere den Stundenlohn des Arztes oder der Ärztin.
Anders sehe es bei chronisch kranken Menschen aus. Hier können zusätzliche Pauschalen abgerechnet werden, vorausgesetzt, die Patienten kommen tatsächlich mehrmals pro Quartal in die Praxis. Das aber führe zu sinnlosen Praxisbesuchen, kritisiert Allgemeinmediziner Mohammad Ahmadi. Um wirtschaftlich vernünftig arbeiten zu können, müsse man bei chronisch Kranken häufig mehr Patientenkontakte erzeugen als medizinisch notwendig. "Wir sind gezwungen, uns unnötig Arbeit zu erschaffen, um Geld zu verdienen und 365 Tage vor Ort sein zu können."
Was bringt die geplante Aufhebung der Honorar-Obergrenzen?
"Für die Hausärzte in Bayern ist das völlig uninteressant", sagt Joachim Lentzkow. Nominell gebe es zwar ein Budget. Der Praxisalltag habe aber gezeigt, dass "keiner von uns jemals eine Obergrenze erreicht". Anders sehe es bei den Fachärzten und in anderen Bundesländern aus.
Auch Dr. Christian Pfeiffer, Vorstandsvorsitzende der KVB und Hausarzt aus Giebelstadt (Lkr. Würzburg) sagt: "Aktuell ist die Obergrenze für die bayerischen Hausärzte nicht problematisch." Dies liege allerdings daran, dass erbrachte Leistungen in der geltenden Bewertungssystematik "nicht oder nicht ausreichend abgebildet sind". Zudem spiegle das Bewertungssystem "nicht mehr die technischen und organisatorischen Anforderungen".
Was bringt die geplante Reform von Gesundheitsminister Karl Lauterbach für Praxen?
Durch die Aufhebung der Budgets werde sich finanziell für die bayerischen Hausärzte "faktisch nichts" ändern, sagt Joachim Lentzkow. "Die Bezahlung bleibt gleich." Anders sehe es mit der ebenfalls geplanten Umstellung von Quartals- auf Jahrespauschalen sowie der Einführung von Vorhalte- und Versorgungspauschalen aus.
Dies sei dringend nötig, sagt Dr. Mohammad Ahmadi. Dass Ärzte aus wirtschaftlichen Gründen unnötige Praxisbesuche veranlassen müssten, während gleichzeitig tatsächlich erbrachte nötige Leistungen nicht honoriert würden, dürfe nicht sein. Der Bezirksvorsitzende des Hausärzteverbandes sieht die Entbudgetierung insgesamt nur als "kleinen, medienwirksamen Punkt" – wichtiger sei es, die Belastung und die Bürokratie zu reduzieren.
Warum hat die Ärzteschaft in Bayern trotzdem wiederholt über Hausärzte-Budgets geklagt?
Die Vergütung der hausärztlichen Leistungen wird im Detail mit den Krankenkassen auf Landesebene vereinbart. Die Budgethöhen unterscheiden sich von Bundesland zu Bundesland. Anders als in Bayern würden beispielsweise Hausärzte in Berlin oder Hamburg mit den Obergrenzen kämpfen, weil dort "die Budgetierung stark greift", erklärt Lentzkow. Mit dem Aufruf zur Entbudgetierung habe sich die Kassenärztliche Vereinigung Bayern schlicht solidarisch gezeigt.
Es fehle eine "gesetzliche Klarstellung für die Entbudgetierung", unterstreicht KVB-Chef Pfeiffer. Bisher existierten einzig "Regelungen auf regionaler Ebene", diese könnten sich "je nach Kassenlage ändern".
"Das Bestreben war, wachzurütteln", sagt Hausarzt Mohammad Ahmadi. Es sei richtig und nötig, dass sich auch die Hausärzte in Bayern vehement für eine Entbudgetierung eingesetzt haben. Bundesweit "wäre die Aufhebung sonst nie gekommen".
Ende der Budgetierung: Erhalten Patienten künftig unbegrenzt Rezepte für Arznei- und Heilmittel?
Nein. "Das ist ein Missverständnis", sagt KVB-Vorstand Christian Pfeiffer. Die Pläne des Bundesgesundheitsministeriums zielten "ausschließlich" auf die Budgets bei den Honoraren der Hausärzte. Die Budgets, so genannte Richtgrößen, für die Verordnung von Heil- und Hilfsmitteln wie etwa Physiotherapie oder Medikamenten seien eine ganz andere Sache.
Um Verordnungsregeln für Medikamente oder Heilmittel geht es bei der Praxisreform nicht. Dabei gebe es auch hier "ungeschrieben Obergrenzen", sagt Mediziner Mohammad Ahmadi: Jeder Hausarzt dürfe all seinen Patienten nur eine bestimmte Anzahl an Rezepten ausstellen – werde dieses Budget überschritten, drohten der Praxis Regresse. "Es ist sehr absurd – aber das hat mit der Entbudgetierung gar nichts zu tun."