WÜRZBURG
Ein Nazi wird abgeschraubt
Am Freitag stellt die Stadt in einer Zeremonie in Lengfeld Straßenschilder mit der Aufschrift Angermaierstraße auf. Dann ist die "Helmuth-Zimmerer-Straße" endgültig Geschichte.
Vor 52 Jahren, im Februar 1963, berichtete der hessische Generalstaatsanwalt und Nazi-Jäger Fritz Bauer einer dänischen Tageszeitung, dass "haarsträubend" sei, was in Würzburg geschieht. Die "ganze Stadt" werde "von einer nazistischen Clique terrorisiert".
Die Würzburger waren in Daueraufregung.
Todbringende Juristen, und Rassisten
Ein Nervenarzt, Elmar Herterich, entlarvte ein knappes Dutzend zum Teil hochrangiger Würzburger Juristen als todbringende Nazi-Richter und -Staatsanwälte.
Studenten beschuldigten ihren Juraprofessor August Friedrich von der Heydte, in Vorlesungen rassistische Motive zu gebrauchen. (Von der Heydte hatte ein halbes Jahr zuvor mit einer Anzeige die "Spiegel"-Affäre ausgelöst.)
Die Tageszeitung "Nürnberger Nachrichten" brachte die rassistische und antisemitische Doktorarbeit des Würzburger Oberbürgermeisters Helmuth Zimmerer ans Licht.
Da hat er 1936, als 22-Jähriger, geschrieben, die Demokratie sei "eine Wahnsinnsform"; Gesetze müssten "Plan und Wille des Führers" sein. Die "rassegebundene Volksseele" hielt er für "das Maß des Denkens", den "kulturellen Niedergang Deutschlands" für "eine Folge seiner Verjudung", die Juden müssten "entgermanisiert" werden. 76 Seiten schmal ist das Machwerk, auf jeder Seite finden sich solcherart Ideen.
Zimmerer reagiert mit Verleumdungs- und Beleidigungsanzeigen auf die Veröffentlichung von Zitaten, tat die Arbeit als Jugendtorheit ab, verweigerte die Rückgabe seines Doktortitels und eine Distanzierung.
Vergangenheitsbewältigung: verdrängen und ehren
Fast alle Alt-Nazis überstanden die Skandale unbeschadet. Die Würzburger wählten Zimmerer 1968 zwar nicht wieder, aber 1985, ein Jahr nach seinem Tod, ehrte ihn der Stadtrat, indem er eine Straße in Lengfeld nach ihm benannte. Die Räte stimmten einstimmig und ohne Debatte ab, obwohl sie von Zimmerers Vergangenheit wussten.
Die Angelegenheit geriet in Vergessenheit, bis sie 2012 mit der Stadtführung "Würzburger Krawalle" wieder auf die Straße kam. Heinrich Jüstel, ein Ratsmitglied der SPD, wohnhaft in der Helmuth-Zimmerer-Straße, nahm teil und reagierte: Er beantragte im Stadtrat zu prüfen, ob Zimmerer dieser Ehre würdig ist. Die Räte folgten ihm einstimmig.
Zunächst geschieht nichts ...
Kulturreferent Muchtar Al Ghusain sollte eine wissenschaftliche Untersuchung über Zimmerers Wirken in Auftrag geben, doch das tat er nicht. Al Ghusain begründete das mit dem Fehlen finanzieller und personeller Ressourcen. Recherchen unserer Redaktion ergaben allerdings, dass das nötige Geld im Etat des Stadtarchivs eingeplant war.
Im Winter 2014 hatte sich in der Redaktion der Eindruck verfestigt, dass die Causa Zimmerer dauerhaft auf Eis liegt. Ende Mai legte sie das Ergebnis ihrer umfangreichen Recherchen vor, auf dreieinhalb Seiten in der Zeitung und mit knapp 70 Geschichten unter www.mainpost.de/zimmerer. Weitere Recherchen brachten zutage, dass Zimmerer ein zuverlässiges NSDAP-Mitglied war, das nicht bei Juden kaufte. Außerdem war der spätere Oberbürgermeister Mitglied der SS und Rechtsberater der SS-Standarte "Franken".
... aber dann geht es ganz schnell
Unter dem Eindruck dieser Veröffentlichungen nahm Oberbürgermeister Christian Schuchardt dem Kulturreferenten Al Ghusain die Regie über das Verfahren ab. Der Stadtrat verzichtete auf das wissenschaftliche Gutachten. Am 30. Juli stimmte das Gremium über die Umbenennung der Helmuth-Zimmerer-Straße ab.
Ein Widerstandskämpfer kommt ins Gespräch
Ein Kandidat für die Zimmerer-Nachfolge als Namensgeber war im Rathaus früh gefunden: der Würzburger Georg Angermaier, Jahrgang 1913. Angermaier, ein Jahr jünger als Zimmerer und promovierter Jurist wie er, war Nazi-Gegner.
Als Justiziar der Bischöfe von Würzburg und Bamberg und als Rechtsberater der Deutschen Bischofskonferenz trat er - erfolglos - für ein entschiedenes Vorgehen der Kirche gegen die Nationalsozialisten ein. 1942 schloss sich Angermaier der bürgerlichen Widerstandsgruppe "Kreisauer Kreis" an. Am 27. März 1945 starb er in Berlin an den Folgen eines mutmaßlich von der SS inszenierten Verkehrsunfalls.
Probleme mit der Rechtschreibung
Zwar verteidigte kein Ratsmitglied den alten Namen der Straße, aber 20 von 47 Stadträten stimmten gegen eine Angermaierstraße; sie präferierten - wie zahlreiche Anwohner - Nikolaus Kopernikus (1473 bis 1543) als Namenspatron.
Die Stadt hatte den polnischen Astronomen bei einer Anwohner-Befragung als Alternative zu Angermaier ins Spiel gebracht. Jüstel, der Stadtrat und Anwohner, warb bei seinen Nachbarn für Kopernikus, angeblich, weil der Name "Angermaier" zu leicht falsch zu schreiben sei. Insider meinen, der Jüstel habe als Atheist nicht den Namen eines Katholiken in der Adresse führen wollen. Jüstel weist das zurück.
Da kommt noch mehr
27 Räte stimmten für die Angermaierstraße. Der Rat setzte damit fort, was er 2004 mit der Umbenennung der Carl-Diem-Halle begann. Jetzt will er weitere Straßennamen auf Belastungen aus der NS-Zeit prüfen. Zuständig ist das Kulturreferat.
Vor 52 Jahren, im Februar 1963, berichtete der hessische Generalstaatsanwalt und Nazi-Jäger Fritz Bauer einer dänischen Tageszeitung, dass "haarsträubend" sei, was in Würzburg geschieht. Die "ganze Stadt" werde "von einer nazistischen Clique terrorisiert".
Die Würzburger waren in Daueraufregung.
Todbringende Juristen, und Rassisten
Ein Nervenarzt, Elmar Herterich, entlarvte ein knappes Dutzend zum Teil hochrangiger Würzburger Juristen als todbringende Nazi-Richter und -Staatsanwälte.
Studenten beschuldigten ihren Juraprofessor August Friedrich von der Heydte, in Vorlesungen rassistische Motive zu gebrauchen. (Von der Heydte hatte ein halbes Jahr zuvor mit einer Anzeige die "Spiegel"-Affäre ausgelöst.)
Die Tageszeitung "Nürnberger Nachrichten" brachte die rassistische und antisemitische Doktorarbeit des Würzburger Oberbürgermeisters Helmuth Zimmerer ans Licht.
Da hat er 1936, als 22-Jähriger, geschrieben, die Demokratie sei "eine Wahnsinnsform"; Gesetze müssten "Plan und Wille des Führers" sein. Die "rassegebundene Volksseele" hielt er für "das Maß des Denkens", den "kulturellen Niedergang Deutschlands" für "eine Folge seiner Verjudung", die Juden müssten "entgermanisiert" werden. 76 Seiten schmal ist das Machwerk, auf jeder Seite finden sich solcherart Ideen.
Zimmerer reagiert mit Verleumdungs- und Beleidigungsanzeigen auf die Veröffentlichung von Zitaten, tat die Arbeit als Jugendtorheit ab, verweigerte die Rückgabe seines Doktortitels und eine Distanzierung.
Vergangenheitsbewältigung: verdrängen und ehren
Fast alle Alt-Nazis überstanden die Skandale unbeschadet. Die Würzburger wählten Zimmerer 1968 zwar nicht wieder, aber 1985, ein Jahr nach seinem Tod, ehrte ihn der Stadtrat, indem er eine Straße in Lengfeld nach ihm benannte. Die Räte stimmten einstimmig und ohne Debatte ab, obwohl sie von Zimmerers Vergangenheit wussten.
Die Angelegenheit geriet in Vergessenheit, bis sie 2012 mit der Stadtführung "Würzburger Krawalle" wieder auf die Straße kam. Heinrich Jüstel, ein Ratsmitglied der SPD, wohnhaft in der Helmuth-Zimmerer-Straße, nahm teil und reagierte: Er beantragte im Stadtrat zu prüfen, ob Zimmerer dieser Ehre würdig ist. Die Räte folgten ihm einstimmig.
Zunächst geschieht nichts ...
Kulturreferent Muchtar Al Ghusain sollte eine wissenschaftliche Untersuchung über Zimmerers Wirken in Auftrag geben, doch das tat er nicht. Al Ghusain begründete das mit dem Fehlen finanzieller und personeller Ressourcen. Recherchen unserer Redaktion ergaben allerdings, dass das nötige Geld im Etat des Stadtarchivs eingeplant war.
Im Winter 2014 hatte sich in der Redaktion der Eindruck verfestigt, dass die Causa Zimmerer dauerhaft auf Eis liegt. Ende Mai legte sie das Ergebnis ihrer umfangreichen Recherchen vor, auf dreieinhalb Seiten in der Zeitung und mit knapp 70 Geschichten unter www.mainpost.de/zimmerer. Weitere Recherchen brachten zutage, dass Zimmerer ein zuverlässiges NSDAP-Mitglied war, das nicht bei Juden kaufte. Außerdem war der spätere Oberbürgermeister Mitglied der SS und Rechtsberater der SS-Standarte "Franken".
... aber dann geht es ganz schnell
Unter dem Eindruck dieser Veröffentlichungen nahm Oberbürgermeister Christian Schuchardt dem Kulturreferenten Al Ghusain die Regie über das Verfahren ab. Der Stadtrat verzichtete auf das wissenschaftliche Gutachten. Am 30. Juli stimmte das Gremium über die Umbenennung der Helmuth-Zimmerer-Straße ab.
Ein Widerstandskämpfer kommt ins Gespräch
Ein Kandidat für die Zimmerer-Nachfolge als Namensgeber war im Rathaus früh gefunden: der Würzburger Georg Angermaier, Jahrgang 1913. Angermaier, ein Jahr jünger als Zimmerer und promovierter Jurist wie er, war Nazi-Gegner.
Als Justiziar der Bischöfe von Würzburg und Bamberg und als Rechtsberater der Deutschen Bischofskonferenz trat er - erfolglos - für ein entschiedenes Vorgehen der Kirche gegen die Nationalsozialisten ein. 1942 schloss sich Angermaier der bürgerlichen Widerstandsgruppe "Kreisauer Kreis" an. Am 27. März 1945 starb er in Berlin an den Folgen eines mutmaßlich von der SS inszenierten Verkehrsunfalls.
Probleme mit der Rechtschreibung
Zwar verteidigte kein Ratsmitglied den alten Namen der Straße, aber 20 von 47 Stadträten stimmten gegen eine Angermaierstraße; sie präferierten - wie zahlreiche Anwohner - Nikolaus Kopernikus (1473 bis 1543) als Namenspatron.
Die Stadt hatte den polnischen Astronomen bei einer Anwohner-Befragung als Alternative zu Angermaier ins Spiel gebracht. Jüstel, der Stadtrat und Anwohner, warb bei seinen Nachbarn für Kopernikus, angeblich, weil der Name "Angermaier" zu leicht falsch zu schreiben sei. Insider meinen, der Jüstel habe als Atheist nicht den Namen eines Katholiken in der Adresse führen wollen. Jüstel weist das zurück.
Da kommt noch mehr
27 Räte stimmten für die Angermaierstraße. Der Rat setzte damit fort, was er 2004 mit der Umbenennung der Carl-Diem-Halle begann. Jetzt will er weitere Straßennamen auf Belastungen aus der NS-Zeit prüfen. Zuständig ist das Kulturreferat.
Themen & Autoren / Autorinnen
Lange genug hat scheinbar niemand Interesse gehabt, diese Personen, die aktive Unterstützer im dritten Reich und anschließend bürgerlich gewendete Politiker waren, für ihre Vergangenheit zur Verantwortung zu ziehen.