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Wie die „Spiegel“-Affäre begann
Medienskandal: Der Würzburger Rechtsprofessor Friedrich August Freiherr von der Heydte war nach dem Zweiten Weltkrieg einer der führenden Männer der katholischen Rechten in Deutschland. Vor 50 Jahren erstatte er Anzeige gegen das Magazin.
Von unserem Redaktionsmitglied Wolfgang Jung
 |  aktualisiert: 13.01.2016 11:06 Uhr

Ende Juni 1962 in Bonn: In der Villa Hammerschmidt kommt Post von der Hardthöhe an, mit außergewöhnlichem Inhalt. Das Verteidigungsministerium des Franz-Josef Strauß bittet Heinrich Lübke, den Bundespräsidenten, den Würzburger Jura-Professor Friedrich August Freiherr von der Heydte zum Brigadegeneral der Reserve zu ernennen. Lübke zögert, folgt dann aber. Am 22. Oktober nimmt der Würzburger Professor seine Ernennungsurkunde entgegen.

Am selben Tag schickt die Bundesanwaltschaft Anträge zum Bundesgerichtshof, denen tags darauf entsprochen wird: Es gibt Haft- und Durchsuchungsbefehle gegen die Redaktion des „Spiegel“. Am 26. Oktober schlagen Bundeskriminalamt und Militärischer Abschirmdienst zu, besetzen die Redaktion, verhaften Redakteure und Heydte ist zufrieden: Er ist es gewesen, der den größten Medienskandal in der Geschichte der Bundesrepublik ins Rollen gebracht hat. Er hat am 11. Oktober den „Spiegel“ angezeigt, wegen Landesverrates und landesverräterischer Fälschung, begangen in der eben erschienenen Ausgabe 40/1962, mit der Titelgeschichte „Bedingt abwehrbereit“.

Das Magazin hatte sich unter anderem mit strategischen Überlegungen im Verteidigungsministerium auseinandergesetzt. In der Redaktionskonferenz, berichtet der „Spiegel“ im September 2012, wird die aufwendige Geschichte der Redakteure Conrad Ahlers und Hans Schmelz wenig freundlich besprochen: „mühselig, schwer verdaulich, kaum News“. Ahlers selbst habe eingeräumt: „Eine mühsame Lektüre, nur für besonders interessierte Leser verdaulich.“

Doch im Oktober 1962 findet die Geschichte viele „besonders interessierte Leser“. Die Supermächte USA und Sowjetunion treiben die Welt mit der Kuba-Krise an einen Abgrund. Und ausgerechnet jetzt berichtet der „Spiegel“ über massive Probleme der Bundeswehr und über Strauß' Atomschlagsfantasien. „Bedingt abwehrbereit“ ist ein neuer Höhepunkt in der „Urfehde“ (Theo Sommer in der „Zeit“) zwischen dem „Spiegel“-Herausgeber Rudolf Augstein und Strauß.

Wie aber konnte Strauß' Parteifreund in Würzburg, Heydte, binnen einer halben Woche einschätzen, der „Spiegel“ habe militärische Geheimnisse ausgeplaudert? Dem „Stern“ erklärt er, er sei kompetent als Professor der Rechte, als Direktor des Instituts für Wehrrecht an der Uni Würzburg und „als ranghöchster Reserveoffizier der Bundeswehr“. Der Reporter wittert einen Zusammenhang zwischen Beförderung und Anzeige, Heydte entgegnet: „Ihre Leser dürfen es nicht damit in Verbindung bringen, dass das sozusagen eine Belohnung war.“

Heydte ist Fachmann fürs Militärische, keine Frage: ein herausragender Soldat im Zweiten Weltkrieg, befördert bis zum Oberstleutnant, ausgezeichnet mit hohen und höchsten Orden. Erst kämpft er als Panzerjäger in Frankreich, dann als Fallschirmjäger unter anderem auf Kreta, vor Leningrad, bei Al Alamein, bei der Ardennen-Offensive. Berühmt wird sein Tagesbefehl, ausgegeben vor dem Ardennen-Einsatz, rekonstruiert vom britischen Intelligence Service: „Ich verlange, dass jeder Soldat alle persönlichen Wünsche aufgibt. Wer auf die preußische Fahne schwört, hat nichts mehr, was ihm selber gehört. Wer Fallschirmjäger ist und zu meinem Regiment kommt, gibt alles andere auf. Es gibt in Zukunft nur noch ein Gesetz für ihn – das Gesetz meiner Einheit.“

Der Einsatz missglückt, der Kriegsheld und seine Leute werden gefangen genommen. Der „Spiegel“ berichtet, einige Wochen später hätten sich die Soldaten über ihren vormaligen Chef aufgeregt. Denn Heydte, der gerade noch nur das Gesetz seiner Einheit kannte, sei flugs ein fleißiger Mitarbeiter der, von den Engländern fabrizierten, Kriegsgefangenenzeitung geworden. Nach dem Krieg erklärte der hochdekorierte Kämpfer, am Widerstand vom 20. Juli 1944 beteiligt gewesen zu sein. In die Wehrmacht sei er eingetreten, um sie von innen zu zersetzen.

In den frühen 1960er Jahren war Friedrich August Freiherr von der Heydte nur einer von einer Reihe von Würzburgern, die die Presse über die Bundesrepublik hinaus beschäftigten. Oberbürgermeister Helmuth Zimmerer ist erst mit einer mutmaßlichen Korruptionsaffäre, dann mit einer rassistischen Doktorarbeit aufgefallen. Der Nervenarzt Elmar Herterich entlarvte eine Reihe von Nazis in höchsten juristischen Ämtern. Der Kölner Stadt-Anzeiger etwa ging in einer mehrteiligen Serie der Frage nach: „Wie braun ist dieses Würzburg?“ Aber keiner außer Heydte schaffte es auf die Frontseite des „Spiegel“. Die Hamburger widmeten ihm am 21. November 1962 unter der Überschrift „General-Anzeiger“ ihre Titelgeschichte.

Wer war der Mann, der 1954 als Ordinarius für Völkerrecht, Allgemeine Staatslehre, deutsches und bayerisches Staatsrecht und politische Wissenschaften an die Uni Würzburg gekommen ist? Geboren 1907 in München, Spross einer Adelsfamilie; sein Vater war Oberst der Bayerischen Armee. Als Teenager hält er schon Kontakte zu rechtsextremen Organisationen. 1932 promoviert er zum Doktor der Rechts-, 1935 zum Doktor der Staatswissenschaften. 1933 wird er Mitglied der NSDAP und der SA. 1935 kommt er an die Uni Münster. Einer seiner Studenten ist Peter Nellen. Der erinnert sich später, nunmehr als SPD-Bundestagsabgeordneter, gegenüber dem„Spiegel“ an Heydtes Staatsrechtskolloquien als „das Übelste, was ich je mitgemacht habe“. In Münster kümmerte er sich um die Nazifizierung des Studentenheims, mit der Drohung einer Meldung an die SS, falls deren Blatt „Schwarzes Korps“ nicht ausgelegt werde.

Nach dem Krieg entwickelt sich Heydte rasch zu einer der wichtigsten Figuren der katholischen Rechten im Land. 1947 tritt er in die zwei Jahre alte CSU ein, schließt sich auch früh der „Abendländischen Aktion“ an und wird in deren Vorstand gewählt. Die Abendländler sehen, so schreiben sie, „im modernen Vielparteienstaat und in der durch ihn herbeigeführten Vergiftung des öffentlichen Lebens einen Ausdruck neuzeitlicher Willkür“. Zur Lösung des Problems empfehlen sie, „die bunte Fülle des westlichen Jahrmarktes“ durch ein „einheitschristliches Weltbild“ zu ersetzen. 1951 gerät die Abendländische Aktion in den Ruch des Hochverrats. Sie benennt sich um in Abendländische Akademie, Heydte übernimmt den Vorsitz und weicht nicht ab vom Weg. Der „Spiegel“ zitiert ihn mit Bekenntnissen, die er als Würzburger Professor ablegt: „Wir sind klerikal – und bleiben klerikal, was immer kommen mag.“ Und: „Mit gefährlichen Waffen bekämpfen die Gegner der Kirche die gläubigen Katholiken. Sie kämpfen mit bestimmten Schlagwörtern wie 'Objektivität', 'Parität' und 'Toleranz'.“

Ein Bundesanwalt prüft, auf Druck des späteren Bundeskanzlers Helmut Schmidt, die Verfassungstreue der Akademie und kommt zu einem Ergebnis, das einen tiefen Einblick in die geistige Verfassung Nachkriegsdeutschlands gibt. Zwar entwürfen die Abendländler „ein Weltbild, das im Falle seiner Verwirklichung zu einer weitgehenden Änderung der verfassungsmäßigen Ordnung der Bundesrepublik führen würde“. Der Akademie gehörte aber eine Reihe von hoch geachteten Persönlichkeiten an, „in deren Verfassungstreue keine Zweifel gesetzt werden können“. Hintergrund: Der Akademie, die, geführt von Heydte, der Demokratie ans Leder will, gehören vier Bundesminister an.

1949 lehnt Heydte das Grundgesetz ab – auch die CSU und die Bayernpartei wollen es nicht. Er schreibt, die Bonner Verfassung wolle, „so scheint es, weltanschaulich neutral sein. Doch es gibt keine weltanschaulich-neutrale Verfassung. Eine weltanschaulich-neutrale Verfassung ist immer eine Verfassung, die das Christentum verrät.“ Als das Grundgesetz beschlossene Sache ist, hält er unverdrossen dagegen: „Die Berufung auf Gott in der Präambel ist das Einzige, was in der Verfassung von Bonn an den erinnert, von dem im letzten Grunde alles Recht ausgeht. Diese Berufung auf Gott erinnert an das Gebet des Taschendiebs vor dem Diebstahl um das Gelingen seiner Tat!“

Als klar wird, dass die Bundesrepublik 1955 die Bundeswehr einrichtet, fordert Heydte „Spiegel“, „Zeit“ und anderen zufolge die Aufstellung von Freiwilligen-Kadern aus jungen Katholiken, um die Armeen „mit katholischem Geist zu erfüllen“. Später, als die Einführung der Wehrpflicht feststeht, regt er an, die Bundeswehr in evangelische und katholische Divisionen aufzuteilen.

Er sympathisiert offen mit den klerikal-faschistischen Regimes der Diktatoren Franco in Spanien und Salazar in Portugal, später auch mit der Militärjunta in Griechenland. Den portugiesischen Ständestaat hält er für „ein Verfassungsexperiment, das versucht zu haben schon eine Leistung bedeutet“.

Wie der „Spiegel“ beschäftigt sich auch die „Frankfurter Rundschau“ (FR) im November 1962 mit dem umtriebigen Würzburger. Unter anderem geht sie der Frage nach, was Heydte zur Anzeige gegen den „Spiegel“ bewogen haben könnte. Sie schreibt, niemand wisse genau, „ob Reserveoberst von der Heydte, der gerade eben zum ersten Reservegeneral der Bundeswehr befördert worden ist, einen Bewährungsauftrag darin sah, einige 'erzählende' 'Spiegel'-Redakteure und 'ausplaudernde' Offizierskameraden nach Möglichkeit ins Zuchthaus zu bringen“. Er sei schon früher dabei gewesen, „wenn es in der Bundesrepublik darum ging, gegen Demokratie und Pressefreiheit zu Felde zu ziehen“ und habe sich „zur Bekämpfung der Freiheit“ mit „gleichen Geistern“ zusammengetan. „Die Abendländer um Heydte strebten „die Ablösung der im Grundgesetz der Bundesrepublik verankerten parlamentarischen Demokratie durch einen autoritären Ständestaat klerikal-faschistischer Observanz“an.

Heydte verklagt die FR und verliert. Die Zivilkammer des Würzburger Landgerichts zeigt sich in ihrem Urteil sicher, dass er als Vorstandsmitglied der Abendländischen Aktion deren „verfassungsfeindliche Gedanken (. . .) zumindest wohlwollend“ unterstützt habe. Und von einem „Ordinarius für Staatsrecht“ könne „doch sicherlich angenommen werden, dass es (ihm) bewusst war“, dass sich deren Programm „nicht in allen Punkten in Übereinstimmung mit dem Grundgesetz befindet“. Für unausweichlich hält die Kammer die Frage, was ihn zur Anzeige gegen den „Spiegel“ qualifiziert und legitimiert hat. Die Erkenntnis des Gerichts: „Es ist wohl erklärlich, dass auch nicht unbedingt ehrenhafte Motive in Betracht gezogen wurden, da ausgerechnet ein Privatmann (. . .) – und nicht die mit Landesverrat befassten staatlichen Stellen – Anlass zum Vorgehen gegen den 'Spiegel' war.“

All das schadet Heydte nicht. 1966 zieht er für vier Jahre für die CSU in den Landtag ein. Zu dieser Zeit dient das von ihm geleitete Institut für Staatslehre und Politik in Würzburg schon als Geldwaschanlage für Parteispenden an die Unionsparteien und die FDP. So taucht er in den 80er Jahren wieder in den Medien auf, als eine der zentralen Figuren in der Flick-Affäre.

Heydte stirbt 1994 in Landshut, im Alter von 87 Jahren.

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