WÜRZBURG
Straßenname gesucht: Astronom oder Nazi-Gegner?
Der Stadtrat beschäftigt sich an diesem Donnerstag mit der Frage, nach wem die Helmuth-Zimmerer-Straße künftig heißen soll. Zwei Namen kursieren: der des Astronomen Kopernikus (1473 bis 1543) und der des Juristen und Nazi-Widerständlers Georg Angermaier (1913 bis 1945).
Favorit im Stadtrat ist allem Anschein nach der Würzburger Angermaier. Dagegen sprachen sich 24 von 95 Haushalten in der Helmuth-Zimmerer-Straße in einer Umfrage des Oberbürgermeisters für Kopernikus aus.
Revolutionär und gefährlich – für die christliche Kirche
Der Astronom Nikas Koppernigk, genannt Kopernikus, ist eine Figur der Weltgeschichte. An der Ostsee, im heutigen Polen, entwickelte er die Theorie, dass sich die Planeten um die Sonne drehen .
Der indische Astronom Aryabhata hatte das schon 1000 Jahre früher getan, aber in Europa war Kopernikus‘ Idee revolutionär und gefährlich. Kirchliche Lehre war, dass die Erde der Mittelpunkt des Universums sei. Erst im 18. Jahrhundert entdeckten Forscher, dass auch die Sonne nicht das Zentrum des Universums ist.
Im Gegensatz zu Kopernikus kennen nur wenige den Würzburger Angermaier.
Zwei Juristen: der Nazi und der Nazi-Gegner
Georg Angermaier kommt ein Jahr nach Helmuth Zimmerer zur Welt. Sein Studium beendet er als promovierter Jurist, wie der spätere Würzburger Oberbürgermeister.
Angermaier bekämpft die Nationalsozialisten, anders als Zimmerer, der 1933 in NSDAP und SS eintritt. Sie werfen ihn 1934 von der Universität und verwehren ihm eine Karriere als Anwalt oder Richter.
Angermaier wird Justiziar der Diözesen Würzburg und Bamberg, Rechtsberater mehrerer Bischöfe, Rechtsbewahrer verschiedener Ordensgemeinschaften und, als Laie, Mitglied im Ausschuss für Ordensangelegenheiten, der die deutsche Bischofskonferenz berät.
Ein unheimlicher Gegner
So vertritt er das Benediktiner-Kloster Münsterschwarzach, als das NS-Regime Kloster-Eigentum beschlagnahmen will. Die Benediktiner berichten später, er scheue vor nichts zurück und setze „oft sein Leben und die Existenz seiner Familie aufs Spiel“.
Julius Döpfner, der spätere Kardinal, sagte über ihn: „Er war der unheimliche, aber in seiner Klugheit unantastbare Gegner einer brutalen Gewaltherrschaft.“ Er habe „mit einer seltenen Überlegenheit und verbissenen Zähigkeit für die Rechte der Kirche gekämpft“.
Angermaier nervt die Bischöfe
Angermaier missbilligt, wie seine Kirche versucht, sich mit dem Regime zu arrangieren. So warnt Joseph Machens, der Bischof von Hildesheim, die Gläubigen müssten alles vermeiden, „was als Störung der Einheit und Schwächung der Volkskraft durch uns erscheinen könnte“.
Angermaier stört, auch innerhalb der Kirche. Er entwirft für die Bischöfe ein Hirtenwort, in dem steht, auch der nichtchristliche Teil in Deutschland, „der unter der Last der Rechtlosigkeit und seiner eigenen Ohnmacht gegenüber Unrecht und Gewalt leidet“, erwarte Hilfe und Verteidigung.
Die Bischöfe schweigen
1941 fordert er die Kirchenfürsten zur Anklage des NS-Regimes auf. Sie sollen für die „gottverliehenen Menschenrechte“ aller Bedrängten eintreten, auch die Juden erwarteten „Hilfe und Verteidigung“.
Die Bischöfe aber schweigen. Angermaier notiert, die Kirche glaube, „sie könnte durch Taktik und Anpassung erreichen, dass sie durch die Zeit kommt“.
Er glaubt, das gehe „nur durch Übergriffe auf die christliche Substanz“, und analysiert bitter, der Kampf zwischen Nazis und Kirche sei „ein reiner Konkurrenzkampf insoweit, als beide einen totalen Anspruch auf totale Gläubigkeit ihrer Anhänger erheben“.
Der Benediktiner Jonathan Düring beschreibt Angermaier als das „Gewissen der Bischöfe“.
Angermaier entwirft einen sozialen, säkularen, europäischen Staat
Er schließt sich dem Kreisauer Kreis an, einer bürgerlichen Widerstandsorganisation, für die er einen „Staatsaufbau- und Verfassungsplan“ für ein Deutschland nach dem Sieg über die Nazis entwickelt.
Er entwirft die Idee von einem sozialen Staat, in dem aller Besitz sozial gebunden ist.
„Verwendung, Art der Verwaltung und Verwertung aller materiellen Güter werden primär durch die allgemeinen Anliegen der Sicherung der wirtschaftlichen Existenz des Gesamtvolkes und der Garantie des Existenzminimums für alle bestimmt.“
Ein konsequenter Menschenrechtler ist er nicht
Vielen Glaubensgenossen ist er weit voraus, als er die „wohlwollende Trennung von Kirche und Staat“ vorschlägt. So solle der Religionsunterricht kein Pflichtfach in den Schulen sein.
Er denkt die Europäische Union vor, als eine „organisatorische europäische Konkordanz“, in der sich „das Reich“ „bedingungslos jeder überstaatlichen Zuständigkeit in allen Fragen“ unterwirft.
Ein konsequenter Menschenrechtler ist er nicht. Angermaier befürwortet die Todesstrafe für den sexuellen Missbrauch von Kindern und für Richter, die das Recht beugen.
Der fatale Zusammenstoß mit der SS
Am 27. März 1945 fährt in Berlin ein Wagen der SS das Motorrad an, auf dem Angermaier als Sozius sitzt. Er stirbt an den Folgen des Unfalls in einem nahen SS-Lazarett. Indizien legen nahe, dass er das Opfer eines Mordanschlags wurde.
Nach dem Krieg haben weder die bürgerliche Gesellschaft noch die katholische Kirche ein Interesse daran, das Andenken dieses Kritikers und Mahners zu pflegen.
Der Störenfried und Mahner wird ignoriert
Er wäre vergessen worden, hätte nicht die Tübinger Historiker Antonia Leugers 1994 eine umfangreiche Angermaier-Biografie vorgelegt (hier eine Besprechung in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung), verbunden mit Kritik an Kirche und Universität, weil beide den Widerständler beharrlich ignorierten.
Erst zu seinem 100. Geburtstag taten sich Uni und Kirche, Stadt, Bildungseinrichtungen und Organisationen wie das Bündnis für Zivilcourage zusammen, um seiner in einem Symposium im Ratssaal zu gedenken.
Keiner, der sich instrumentalisieren ließ
Da sagte Domdekan Günter Putz, Angermaier sei kein Opportunist gewesen und habe sich nicht instrumentalisieren lassen. „Er hätte“, so Putz, „auch in der Kirche für viel Auseinandersetzung gesorgt, weil er aus eigenem Wissen, Gewissen und Denken unterwegs war“. Angermaier habe deutlich gemacht, dass der Mensch „gehütet und gerettet werden muss“.
Professor Oliver Remien, der Dekan der Juristischen Fakultät der Uni Würzburg, meinte, wo immer Gefahren für die Menschenwürde drohten, solle man sich Angermaiers erinnern. Professor Fabian Wittreck von der Uni Münster sagte, Angermaier sei von „bleibender Bedeutung, weil er einen Schritt in die Richtung gemacht hat, das katholische Naturrecht zu subjektivieren“, das heißt „zu einer menschenrechtsfreundlichen Ordnung zu machen“.
Hinweis: In einer früheren Fassung des Textes berichteten wir, dass es bereits eine Georg-Angermaier-Straße in München gebe. Das war falsch. Diese Straße ist dem früheren Münchner Bürgermeister Georg Angermair gewidmet. Bitte entschuldigen Sie diesen Fehler.
Favorit im Stadtrat ist allem Anschein nach der Würzburger Angermaier. Dagegen sprachen sich 24 von 95 Haushalten in der Helmuth-Zimmerer-Straße in einer Umfrage des Oberbürgermeisters für Kopernikus aus.
Revolutionär und gefährlich – für die christliche Kirche
Der Astronom Nikas Koppernigk, genannt Kopernikus, ist eine Figur der Weltgeschichte. An der Ostsee, im heutigen Polen, entwickelte er die Theorie, dass sich die Planeten um die Sonne drehen .
Der indische Astronom Aryabhata hatte das schon 1000 Jahre früher getan, aber in Europa war Kopernikus‘ Idee revolutionär und gefährlich. Kirchliche Lehre war, dass die Erde der Mittelpunkt des Universums sei. Erst im 18. Jahrhundert entdeckten Forscher, dass auch die Sonne nicht das Zentrum des Universums ist.
Im Gegensatz zu Kopernikus kennen nur wenige den Würzburger Angermaier.
Zwei Juristen: der Nazi und der Nazi-Gegner
Georg Angermaier kommt ein Jahr nach Helmuth Zimmerer zur Welt. Sein Studium beendet er als promovierter Jurist, wie der spätere Würzburger Oberbürgermeister.
Angermaier bekämpft die Nationalsozialisten, anders als Zimmerer, der 1933 in NSDAP und SS eintritt. Sie werfen ihn 1934 von der Universität und verwehren ihm eine Karriere als Anwalt oder Richter.
Angermaier wird Justiziar der Diözesen Würzburg und Bamberg, Rechtsberater mehrerer Bischöfe, Rechtsbewahrer verschiedener Ordensgemeinschaften und, als Laie, Mitglied im Ausschuss für Ordensangelegenheiten, der die deutsche Bischofskonferenz berät.
Ein unheimlicher Gegner
So vertritt er das Benediktiner-Kloster Münsterschwarzach, als das NS-Regime Kloster-Eigentum beschlagnahmen will. Die Benediktiner berichten später, er scheue vor nichts zurück und setze „oft sein Leben und die Existenz seiner Familie aufs Spiel“.
Julius Döpfner, der spätere Kardinal, sagte über ihn: „Er war der unheimliche, aber in seiner Klugheit unantastbare Gegner einer brutalen Gewaltherrschaft.“ Er habe „mit einer seltenen Überlegenheit und verbissenen Zähigkeit für die Rechte der Kirche gekämpft“.
Angermaier nervt die Bischöfe
Angermaier missbilligt, wie seine Kirche versucht, sich mit dem Regime zu arrangieren. So warnt Joseph Machens, der Bischof von Hildesheim, die Gläubigen müssten alles vermeiden, „was als Störung der Einheit und Schwächung der Volkskraft durch uns erscheinen könnte“.
Angermaier stört, auch innerhalb der Kirche. Er entwirft für die Bischöfe ein Hirtenwort, in dem steht, auch der nichtchristliche Teil in Deutschland, „der unter der Last der Rechtlosigkeit und seiner eigenen Ohnmacht gegenüber Unrecht und Gewalt leidet“, erwarte Hilfe und Verteidigung.
Die Bischöfe schweigen
1941 fordert er die Kirchenfürsten zur Anklage des NS-Regimes auf. Sie sollen für die „gottverliehenen Menschenrechte“ aller Bedrängten eintreten, auch die Juden erwarteten „Hilfe und Verteidigung“.
Die Bischöfe aber schweigen. Angermaier notiert, die Kirche glaube, „sie könnte durch Taktik und Anpassung erreichen, dass sie durch die Zeit kommt“.
Er glaubt, das gehe „nur durch Übergriffe auf die christliche Substanz“, und analysiert bitter, der Kampf zwischen Nazis und Kirche sei „ein reiner Konkurrenzkampf insoweit, als beide einen totalen Anspruch auf totale Gläubigkeit ihrer Anhänger erheben“.
Der Benediktiner Jonathan Düring beschreibt Angermaier als das „Gewissen der Bischöfe“.
Angermaier entwirft einen sozialen, säkularen, europäischen Staat
Er schließt sich dem Kreisauer Kreis an, einer bürgerlichen Widerstandsorganisation, für die er einen „Staatsaufbau- und Verfassungsplan“ für ein Deutschland nach dem Sieg über die Nazis entwickelt.
Er entwirft die Idee von einem sozialen Staat, in dem aller Besitz sozial gebunden ist.
„Verwendung, Art der Verwaltung und Verwertung aller materiellen Güter werden primär durch die allgemeinen Anliegen der Sicherung der wirtschaftlichen Existenz des Gesamtvolkes und der Garantie des Existenzminimums für alle bestimmt.“
Ein konsequenter Menschenrechtler ist er nicht
Vielen Glaubensgenossen ist er weit voraus, als er die „wohlwollende Trennung von Kirche und Staat“ vorschlägt. So solle der Religionsunterricht kein Pflichtfach in den Schulen sein.
Er denkt die Europäische Union vor, als eine „organisatorische europäische Konkordanz“, in der sich „das Reich“ „bedingungslos jeder überstaatlichen Zuständigkeit in allen Fragen“ unterwirft.
Ein konsequenter Menschenrechtler ist er nicht. Angermaier befürwortet die Todesstrafe für den sexuellen Missbrauch von Kindern und für Richter, die das Recht beugen.
Der fatale Zusammenstoß mit der SS
Am 27. März 1945 fährt in Berlin ein Wagen der SS das Motorrad an, auf dem Angermaier als Sozius sitzt. Er stirbt an den Folgen des Unfalls in einem nahen SS-Lazarett. Indizien legen nahe, dass er das Opfer eines Mordanschlags wurde.
Nach dem Krieg haben weder die bürgerliche Gesellschaft noch die katholische Kirche ein Interesse daran, das Andenken dieses Kritikers und Mahners zu pflegen.
Der Störenfried und Mahner wird ignoriert
Er wäre vergessen worden, hätte nicht die Tübinger Historiker Antonia Leugers 1994 eine umfangreiche Angermaier-Biografie vorgelegt (hier eine Besprechung in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung), verbunden mit Kritik an Kirche und Universität, weil beide den Widerständler beharrlich ignorierten.
Erst zu seinem 100. Geburtstag taten sich Uni und Kirche, Stadt, Bildungseinrichtungen und Organisationen wie das Bündnis für Zivilcourage zusammen, um seiner in einem Symposium im Ratssaal zu gedenken.
Keiner, der sich instrumentalisieren ließ
Da sagte Domdekan Günter Putz, Angermaier sei kein Opportunist gewesen und habe sich nicht instrumentalisieren lassen. „Er hätte“, so Putz, „auch in der Kirche für viel Auseinandersetzung gesorgt, weil er aus eigenem Wissen, Gewissen und Denken unterwegs war“. Angermaier habe deutlich gemacht, dass der Mensch „gehütet und gerettet werden muss“.
Professor Oliver Remien, der Dekan der Juristischen Fakultät der Uni Würzburg, meinte, wo immer Gefahren für die Menschenwürde drohten, solle man sich Angermaiers erinnern. Professor Fabian Wittreck von der Uni Münster sagte, Angermaier sei von „bleibender Bedeutung, weil er einen Schritt in die Richtung gemacht hat, das katholische Naturrecht zu subjektivieren“, das heißt „zu einer menschenrechtsfreundlichen Ordnung zu machen“.
Hinweis: In einer früheren Fassung des Textes berichteten wir, dass es bereits eine Georg-Angermaier-Straße in München gebe. Das war falsch. Diese Straße ist dem früheren Münchner Bürgermeister Georg Angermair gewidmet. Bitte entschuldigen Sie diesen Fehler.
Themen & Autoren / Autorinnen
nennen, nämllich den entschiedenen Gegner aus dem Stadtrat für eine Angermaier-
straße, nämlich den SPD-Mann Jüstel, der ein erklärter Kirchengegner ist und Angermaier ist für ihn deshalb nicht tragbar, weil er überzeugter Katholik war.
Kleine Randbemerkung: als Anwohner, der Formulare ausfüllen muß, wäre mir eventuell Kopernikus auch lieber, da kürzer und von der Schreibweise her fast jedem bekannt.
Wolfgang Jung
Reporter
Davon gibt es auch heute zu wenig. Wo das hingeführt hat immer "stromlinienförmig " zu verhalten, wissen wir alle! Wir sollten die Strasse wirklich "Angermeier- Str." nennen, zumal das einen Bezug zu Würzbur hat.
Angermaier ist aber zeitlich und örtlich näher, reht eventuell zum nachdenken an und ist daher besser geeignet.
Dazu kommt noch, dass in moderner Hybris seine Haltung an heutigem, westlichen Verständnis der Menschenrechte gemessen wird. Nun ja, die Nachwelt wird über uns nicht duldsamer urteilen.
Alles gute aus Franken wird scheinbar annektiert.
Die Starsse in München heisst aber Georg-Angermair-Straße, ohne e.
Das war Bürgermeister in Obermenzing.
Würzburg hat also noch eine Chance auf einen einmaligen Strassennamen