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WÜRZBURG
Straßenumbenennung: Streit um Bürgerbeteiligung
Wolfgang Jung
Wolfgang Jung
 |  aktualisiert: 07.04.2020 10:42 Uhr

Der Stadtrat hat mit 27 gegen 20 Stimmen beschlossen, die Helmuth-Zimmerer-Straße in Angermaierstraße umzubenennen. Kein Ratsmitglied plädierte dafür, dass die Straße auch künftig nach Würzburgs Oberbürgermeister von 1956 bis 1968 heißen soll. Umstritten war der künftige Namensgeber.

 
Auslöser einer Ratsdiskussion mit unklarem Hintergrund war der SPD-Stadtrat Heinrich Jüstel. Er ist es gewesen, der im September 2012 den Antrag gestellt hat zu prüfen, ob die Straße denn einen würdigen Namenspatron habe.  Zimmerer  hat seinen Doktortitel 1936 mit einer rassistischen, antisemitischen und antidemokratischen Doktorarbeit erworben und sich nie davon distanziert.

Rechtschreibschwächen in der Helmuth-Zimmerer-Straße?
 
Schon im Oktober 2012 schickte der damalige OB Georg Rosenthal den Anwohnern eine Liste mit Namenskandidaten Namensgebern, unter ihnen der Würzburger Nazi-Gegner Georg Angermaier und der Astronom Nikolaus Kopernikus. Favorit im Rathaus war von Anfang an Angermaier.
 
Im September 2013 wandte Jüstel sich schriftlich an Rosenthal mit der Nachricht, Anwohner, mit denen er gesprochen habe, lehnten Angermaier ab; sie zögen Kopernikus (1473 bis 1543) vor. Der Name „Dr.-Georg-Angermaier-Straße“ sei „viel zu lang“ und „immer wieder“ müsse die richtige Schreibweise „nachgefragt“ werden.
 
Der Nazi-Gegner und sein spätmittelalterlicher Konkurrent

Rosenthals Umfrage, eine weitere seines Nachfolgers Christian Schuchardt und eine dritte von Jüstel selbst ergaben große Mehrheiten für Kopernikus. Schuchardt berichtete im Rat, in den städtischen Umfragen hätten 24 von 46 erreichten Haushalten für Kopernikus votiert, zwei für Angermaier.
 
Jüstel sagt, er habe 76 Anwohner erreicht, von den sich 53 für den Astronomen ausgesprochen hätten und sieben für Angermaier.

Wie kommt es, dass so viele für den Astronomen sind?
 
Wie die Mehrheiten zusammenkamen, ob die Anwohner über die Verdienste Angermaiers informiert waren, ob für Kopernikus, der keinen Bezug zu Würzburg hat, geworben wurde, ist unklar.
 
Informationen unserer Redaktion zufolge rührte Jüstel die Trommel für Kopernikus. Er sagt dazu, er habe sich der Meinung von 15 Anwohnern angeschlossen, die sich an ihn gewendet hätten.

Vorwürfe gegen den SPD-Stadtrat Heinrich Jüstel
 
Vorwürfe, er, ein bekennender Atheist, sei gegen Angermaier gewesen, weil der ein bekennender Katholik war, nennt er „schlicht falsch“. Ihm persönlich sei es „vollkommen wurscht“, nach wem die Straße heißt. Er sei für Kopernikus gewesen, „weil die meisten Leute auch dafür waren“. Zudem sei der Astronom „über allem Verdacht erhaben“, da könne man sicher sein, dass die Straße nicht noch einmal umbenannt wird.
 
Auskünfte darüber, wer Angermaier ist, habe er den Bewohnern nicht gegeben. Im Gespräch mit der Redaktion sagte er, das sei nicht seine Aufgabe, „die Leute sollen sich selbst informieren“. Ein Porträt unserer Redaktion vom weitgehend unbekannten Nazi-Gegner Angermaiernannte er „Propaganda“.
 
Keine Debatte über historische Dimensionen

So diskutierten die Stadträte, welche Konsequenzen aus den Bürgerbefragungen zu ziehen sind, von denen nur Jüstel wusste, wie ihr Ergebnis zustande kam.
 
Heinrich Jüstel, SPD-Stadtrat
Foto: SPD | Heinrich Jüstel, SPD-Stadtrat
Die Fraktionsmitglieder von FWG, FDP und ÖDP, je drei, wollten dem Ergebnis der Befragungen folgen. In den anderen Fraktionen herrschte Uneinigkeit; einige Grüne, Sozialdemokraten und Christsoziale plädierten dafür, vor einer Abstimmung mit den Anwohnern zu reden.

Gisela Pfannes (SPD) sagte, „entweder ich mache eine Bürgerbeteiligung und nehme sie ernst oder ich lasse sie sein“. Sebastian Roth (Linkspartei) wollte „Angermaier nicht in den Schatten stellen, sondern den Bürgerwillen respektieren“.
 
Die dreiköpfige WL meldete sich nicht zu Wort.  
 
Von der Ehre, in einer Nazi-Gegner-Straße zu wohnen

OB Schuchardt plädierte für Angermaier. Er zitierte aus der Zusammenfassung eines Angermaier-Symposiums im Jahr 2013. Danach wirkte der Jurist „rastlos gegen das verbrecherische Regime“. Angermaier habe „beträchtliche Teilerfolge“ erzielt, sei vor persönlichen Konsequenzen nicht zurückgeschreckt und als „aufrechter Kämpfer gegen die NS-Diktatur zu bezeichnen“.
 
Schuchardt sagte, er empfände es als Ehre, in einer Straße zu wohnen, die nach einem Widerstandskämpfer benannt ist, „weil es davon nicht allzu viele gab“.

Die Bürger und die Hoheit des Stadtrats
 

Von einer Vertagung der Abstimmung hielt er nichts. Die Angelegenheit sei entscheidungsreif, nach einem Bürgergespräch sähe das Ergebnis nicht anders aus.
 
Würzburg, Lengfeld, Helmuth- Zimmerer-Straße
Foto: Thomas Obermeier | Würzburg, Lengfeld, Helmuth- Zimmerer-Straße
Einige stimmten ihm zu, wie Benita Stolz (Grüne). Sie meinte, „wenn wir eine Bürgerbefragung gemacht hätten, hätten wir immer noch eine Carl-Diem-Halle und keinen Oskar-Laredo-Platz und keine Ilse-Totzke-Straße“. Die Namensnennung liege in der Hoheit des Stadtrates, der beschlossen solle, „was er für gut hält“.

Ein Zeichen für den Widerstand
 
Wolfgang Baumann (ZfW) forderte, der Stadtrat müsse „ein Zeichen setzen“ und „für den Widerstandskämpfer eintreten“. Das Votum der Anwohner sei „nicht überzeugend“. Er bedaure zudem, dass Jüstel „nicht die Gelegenheit wahrgenommen hat, bei den Betroffenen für den Widerstandskämpfer zu werben“.
 
Von den großen Fraktionen stimmte die CSU mit 15 zu eins für die Angermaierstraße, die SPD mit sechs zu zwei dagegen, die Grünen mit sieben zu eins dafür. Weitere Ja-Stimmen kamen von Schuchardt, Alt-Oberbürgermeister Jürgen Weber (WL) und Baumann (ZfW).

Es dauert noch
    
Nach Auskunft der städtischen Pressestelle wird die Umbenennung „in den nächsten Monaten“ noch nicht vollzogen, weil der Organisationsaufwand recht groß sei.
 
 
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    Wenn man die Bürger schon fragt, dann sollte man deren Meinung und Argumentation auch ernst nehmen. Das entspricht zumindest meinem Demokratieverständnis. Sonst kann man sich eine Befragung auch komplett sparen und einfach entscheiden. Damit muss ich bei vielen anderen Themen auch leben, sonst und da hat tortuga Recht muss man selber in die Politik.
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  • H. O.
    Nun also vom "Nazi" zum "Nazi Gegner" wichtig ist heutzutage ein Bezug zu den
    Nationalsozialisten. Es gäbe sicher vielfältige Auswahl anderweitig. Alte Flurnamen wären allemal passender.
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    Wir als Anwohner sind genau einmal von der Stadt zu dem Thema befragt worden und nicht dreimal wie behauptet!
    Unsere Eingabe von vor zwei Wochen blieb bislang von der Stadt völlig unbeantwortet!
    Die Unterschriftenliste initiiert unter anderem durch Herrn Jüstel war völlig zwanglos. Wir als Anwohner sahen darin die letzte Chance u.U. doch noch Einfluß auf die Entscheidung des Stadtrates zu nehmen. Leider hat der Stadtrat auch dieses Engagement der betroffenen Bürger ignoriert, die mit überwältigender Mehrheit gegen Angermaierstraße und für Kopernikusstraße sind. Absolut nicht nachvollziehbar!
    So schafft man Politikverdrossenheit. Für die, die sich noch engagieren, ist ja zum Glück transparent, wer für Angermeier votiert hat. Die nächste Wahl kommt bestimmt.
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  • E. S.
    Eine Bürgerbefragung ist für den gewählten Stadtrat nicht bindend. Dies unterscheidet sie von einem Bürgerbegehren. Der Stadtrat hat abzuwägen und das Allgemeinwohl einer Kommune im Auge zu behalten. Interessen Einzelner oder Gruppenegoismen müssen da unter Umständen zurückstehen. Nebenbei: In einer Demokratie mit den "nächsten Wahlen" zu drohen, nur weil Stadträte - wie geschehen - nach eigener Überzeugung votieren, offenbart ein eigenartiges Demokratie-Verständnis. Mein Rat: Kandidieren Sie selbst, dann können Sie etwas für die gesamte Stadt und nicht nur für den Mikrokosmos Ihrer Straße leisten.
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  • H. G.
    Es ist mehr als lächerlich und fadenscheinig, was hier gegen eine Namensänderung für den Widerstandskämpfer Angermaier angeführt wird, z.B. passt in kein Formular.
    Wie ist das dann bei den Anwohnern von der Walther-von-der-Vogelweide-Straße?
    übrigens stimmt es bedenklich, wenn ein Stadtrat auf Grund seiner persönlichen Weltanschauung eine derart manipulierte Anwohnerumfrage startet, nur weil ihm
    ein Katholik nicht ins persönliche Weltbid passt.
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  • A. F.
    Da meldet sich doch glatt mal wieder einer zu Wort, der mich auf neue Gedanken bringt:

    Wie wäre es mit "Prophet-Baumann-Straße"

    Hat doch in dieser Stadt immerhin auch "viel" erreicht ...
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  • A. B.
    ... sind das vielleicht die Anwohner?
    Der Name von Bürgern einer Stadt, die ehrenwert waren, schmücken eine Straße.
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    Allein ihre Behauptung, wenn auch als "Frage" formuliert, zeigt eine undemokratische und ausgrenzende Haltung. Hatten wir alles schon mal und Sie haben daraus nichts gelernt.

    In einer Demokratie bestimmt die Mehrheit und nicht der gerade passende Mainstream.
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  • P. K.
    kam nicht gegen den Willen der Bürger an die Macht. So viel zum nachdenken über den Sinn der Bürgerbeteiligung.
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    Ich frage mich immer noch, warum man überhaupt Straßen nach irgendwelchen Personen benennen muss. Bei historischen Persönlichkeiten wie Nikolaus Kopernikus ist es ja noch ok, aber Leute, die keiner kennt? Ilse Totzke mag ja vielleicht irgendetwas geleistet haben, aber kennt niemand. Diesen Straßennamen muss man jedes Mal komplett buchstabieren. EIne Dr.-Georg-Angermaier-Straße passt in kein Formular.
    Solche Straßennamen sind eine Zumutung für die Anwohner!
    Noch dazu, wenn man lange genug sucht, wird man bei jeder Person einen schwarzen Fleck finden und dann gibt's wieder Diskussionen, ob man die Straße umbennen muss...
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    aber in drei Jahren werden die Anwohner dreimal befragt, davon zweimal offiziell schriftlich durch zwei verschiedene Oberbürgermeister....
    Und dann wischt die Mehrheit im Stadtrat diese Ergebnisse einfach weg und einer erdreistet sich auch noch zu behaupten : "Votum der Anwohner sei „nicht überzeugend“"! Da können wir alle froh sein das RA Baumann nicht gleich eine
    omnipräsente Bürgerinitiative aus dem Tunn.. äh Boden gestampft hat.
    Insgesamt ein jämmerliches Beispiel gelebter Bürgerbeteiligung.
    Die Grünen waren wenigstens so ehrlich offen zuzugeben, das der Bürgerwille ihnen am Ars... vorbeigeht und das man Bürger lieber erst gar nicht fragt.
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