Freitag, 25. Juni 2021: Über diesen Tag können in und um Würzburg viele Menschen noch genau sagen, wo sie am späten Nachmittag gewesen sind. Kurz nach 17 Uhr hatte ein 31-jähriger Mann aus Somalia in der Würzburger Innenstadt mit einem Messer drei Frauen im Alter von 24, 49 und 82 Jahren getötet. Weitere sechs Personen, darunter ein elfjähriges Mädchen, wurden schwer verletzt.
Die Nachricht von der Messerattacke am Barbarossaplatz verbreitete sich damals rasend schnell. Neun Menschen aus Würzburg erzählen, wie die Nachricht zu ihnen kam und wie sie den Abend des 25. Juni 2021 erlebt haben.
Anna Barufke (22), Studentin: Ich war mit Freunden zum Essen verabredet
An dem Tag war ich mit Freunden zum Essen verabredet. Wir hatten uns wegen Corona lange nicht gesehen und uns darauf gefreut. Eine Freundin, die auch zum Essen kommen wollte, arbeitete im Rettungsdienst. Ich war gerade auf dem Weg in die Stadt, als sie in unsere WhatsApp-Gruppe schrieb, dass sie in Bereitschaft versetzt worden sei und dass wir besser nicht in die Stadt gehen sollten. Da war aber noch nicht klar, was passiert war.
Als ich es dann erfuhr und auch ein Video auf Twitter sah, hatte ich schon ein beklemmendes Gefühl, dass so etwas hier in Würzburg geschehen ist. Wir haben uns dann noch in unserer WhatsApp-Gruppe ausgetauscht. Freundinnen berichteten, dass in der Innenstadt die Hölle los ist. Ich bin an dem Abend zu Hause geblieben und habe die Berichte im Internet und im Fernsehen verfolgt.
In mir kam auch die Erinnerung an das Axt-Attentat 2016 hoch. Es macht ja schon einen Unterschied, wenn so etwas Schlimmes in der eigenen Stadt passiert – und jetzt zum zweiten Mal. Das ist so ein Moment, wo man denkt: Auch in einer völlig alltäglichen Situation kann einem so etwas Furchtbares passieren! Die Menschen, die es getroffen hat, waren doch einfach nur zum Einkaufen in der Stadt gewesen.
Milena Zekavie-Salzgeber (61), Küchenhilfe: Ich habe alles hautnah mitbekommen
Ich war im Woolworth an diesem Tag, in diesem Moment. Ich war auf der Suche nach einer neuen Gießkanne. Eine Frau lag auf einmal auf dem Boden und hob ihre Hände schützend über sich, der Täter war über ihr. Ich habe alles mitbekommen. Ich wollte fliehen, doch die Seitentüre war verschlossen, ich hatte noch nie so viel Angst in meinem Leben.
Ich hämmerte gegen das Glas, habe an der Tür gezogen und dagegen gedrückt. Dann war auf einmal alles schwarz. Mein Körper entwickelte eine Schockstarre, ich konnte mich nicht mehr bewegen. An den Großteil kann ich mich nicht mehr erinnern. Nur noch daran, dass mir auf einmal eine Frau ganz in weiß gekleidet einen Weg nach außen zeigte. Später habe ich erfahren, dass niemand außer mir diese Frau gesehen hat, seitdem nenne ich sie meinen Engel.
Bis heute habe ich mit den Folgen zu kämpfen. Ich habe Konzentrationsprobleme, manchmal verbrenne ich das Essen auf dem Herd oder vergesse, wie man das Bett richtig macht. Und ich werde wohl nie wieder den Woolworth in Würzburg betreten können.
Christian Schuchardt (53), Oberbürgermeister: Die Erinnerung an das Axt-Attentat schoss mir durch den Kopf
Ich hatte mich am späteren Nachmittag gerade auf die Eröffnung des Christopher Street Day vorbereitet, die am Abend sein sollte. Dann klingelte das Telefon, am anderen Ende die Rettungsleitstelle der Feuerwehr: In der Innenstadt gibt es eine Amok-Lage. Es sei noch nicht klar, was passiert ist, aber es seien Menschen zu Schaden gekommen. Ich habe mich erkundigt, wo sich die Einsatzleitung befindet und bin dann sofort zum Residenzplatz gefahren.
In diesen Momenten schoss mir die Erinnerung an das Axt-Attentat von Heidingsfeld 2016 durch den Kopf: Wieder so eine Tat in Würzburg! Zugleich war mir klar, dass ich jetzt schnell an Informationen kommen musste, um überlegen zu können, was veranlasst werden muss. Auf dem Weg zum Tatort beschäftigte mich auch, welche Bilder mich dort möglicherweise erwarten. Ich dachte an die Menschen, die Opfer der Attacke geworden waren. Vor Ort am Barbarossaplatz erfuhr ich dann auch, dass sich mutige Menschen dem Attentäter in den Weg gestellt hatten.
Lara Meißner (31), Redakteurin: Keine 150 Meter entfernt ging der Sommerabend unwissend weiter
Kurz vor 17 Uhr ging ich mit meiner Mutter und meiner Tochter in der Eichhornstraße in die dm-Drogerie, Kinderpflaster kaufen. Zwei Teenies hielten die Kassenschlange mehrere Minuten auf, sodass wir um 17.06 Uhr zahlten und den Laden verließen – zeitgleich, genau um 17.06 Uhr, schoss der Polizist dem Angreifer ins Bein. Ich habe bei Google-Maps nachgemessen: 132 Meter waren wir entfernt – und mitbekommen haben wir gar nichts.
Wir blieben kurz in der oberen Eichhornstraße und schlenderten dann zum Vierröhrenbrunnen, Kaffee trinken und Eis essen. Die Stadt war voll, die Stimmung gut. Ich sah zwei Polizistinnen die Domstraße rauf rennen und hab mich kurz gewundert.
Gegen 18.30 Uhr überquerten wir auf der Höhe der Semmelstraße die Theaterstraße – die war voll mit Rettungswagen. Erst jetzt wurde mir klar, dass etwas passiert sein musste. Ich schaute das erste Mal seit Stunden aufs Handy und war entsetzt. Noch heute schaudert es mich beim Gedanken, wie nah wir der Attacke waren und wie gleichzeitig unbedarft wir den Sommerabend genossen haben, während keine 200 Meter entfernt Menschen gestorben sind. Den Kassenzettel mit der Uhrzeit 17.06 Uhr habe ich bis heute aufgehoben.
Mona Dinkel (29), Studentin: Ich wollte Kuchen in der Konditorei kaufen
Der Messerangriff 2021 tritt mir immer dann in Erinnerung, wenn ich in die Kaiserstraße einbiege und das Kaufhaus Woolworth sehe. An jenem Tag wollte ich mir nach einer langen Autofahrt die Füße vertreten und Kuchen in der gegenüberliegenden Konditorei Kiess kaufen. Beim Einbiegen in die Juliuspromenade, erhielt ich einen Anruf. Eine Freundin warnte mich vor einem mit Messer bewaffneten Mann am Barbarossaplatz und forderte mich auf, nachhause zu gehen. Als ich dann noch die Polizeisirenen hörte, entschloss ich mich umzukehren.
Am Abend erfuhr ich genauer von dem tragischen Vorfall und war bestürzt von der Brutalität und Abgeklärtheit, mit welcher der Täter seine Opfer angegriffen hatte. An diesen Abend wurden zunehmend Videos online gestellt, die den Täter im Kampf mit Passanten zeigten. Mich beeindruckte die Zivilcourage dieser Menschen nachhaltig, die sich dem Täter mutig mit Stühlen und Rucksäcken bewaffnet in den Weg stellten, um Schlimmeres zu verhindern.
Heinz Fieseler (72), Schausteller: Erst aus den Nachrichten habe ich davon erfahren
Ich war an dem Tag nicht in Würzburg, sondern mit dem Fahrzeug unterwegs und habe es aus den Nachrichten im Autoradio erfahren. Ich habe mir nur gedacht: "So eine Sauerei". Anrufen konnte ich niemanden, weil ich ja gefahren bin. Ich habe mir dann aber schon Gedanken drüber gemacht, wie so etwas passieren kann. Wenn man das hört, ausgerechnet in Würzburg. An so etwas denkt ja niemand, dass sowas geschehen kann. Und dann ist es es doch passiert.
Cornelia Wagner (52), WVV-Pressereferentin: Die Nachricht aus Würzburg erreichte mich in Kroatien
Die Nachricht, dass "in Würzburg etwas Schreckliches passiert" sein musste, erreichte mich 1370 Kilometer weit weg, in Südkroatien in der Nähe von Dubrovnik. Wir standen gerade an der Hotelrezeption. Während wir eincheckten, erhielt ich die WhatsApp-Nachricht eines Freundes, mit eben dieser Nachricht. Genaueres wusste er in diesem Moment noch nicht, nur vage Vermutungen über eine "Schießerei am Barbarossaplatz". Der erste Gedanke: Hoffentlich ist niemand betroffen, den ich kenne! Also versicherte ich mich erst einmal, dass Freunde und Familie sicher waren. Später erfuhren wir aus den Medien immer mehr schreckliche Details...
Es war ein merkwürdiges Gefühl, das Schreckliche aus der Ferne mitzuverfolgen. Trotz der Distanz wurde man doch ständig damit konfrontiert: Bilder im Fernsehen, Titelseiten von deutschen Zeitungen am Kiosk, persönliche Gespräche und immer wieder schockierte Menschen, wenn man erzählte, dass man aus Würzburg kam. Das Attentat war irgendwie unwirklich, abstrakt, nicht greifbar, aber dennoch immer präsent.
Der Moment, in dem mir das ganze Grauen bewusst wurde, kam bei meiner Rückkehr nach Würzburg. Wir fuhren spätabends vom Bahnhof mit der Straßenbahn nach Hause, vorbei am Barbarossaplatz. Als ich das Lichtermehr der Kerzen sah, überkam mich ein Schaudern.
Torsten Schleicher (53), Redakteur: Im Supermarkt klingelte das Handy
Der späte Nachmittag verhieß einen sonnigen Start ins Wochenende, vorher wollte ich noch ein paar Einkäufe erledigen. Von der Main-Post-Lokalredaktion in der Schönthalstraße fuhr ich zum Supermarkt in der Schweinfurter Straße. Am Berliner Ring raste ein Polizeiauto mit Blaulicht in Richtung Bahnhof. 'Wahrscheinlich ein Unfall', dachte ich mir.
Im Supermarkt war ich gerade dabei, den Wagen vollzupacken, als das Handy klingelte. "Weißt du schon, was an der Juliuspromenade passiert ist?", fragte mich eine Kollegin. An ihrem Tonfall merkte ich, dass es etwas Schlimmes sein musste, und tatsächlich hatte sie erste bestürzende Informationen.
Noch während sie sprach, steuerte ich meinen Einkaufswagen im Eiltempo zur Kasse. Danach ging es zurück in die Redaktion. Es gab eine erste Telefonschalte, viele weitere sollten folgen. Mit Kolleginnen und Kollegen war ich kurz darauf in der Stadt unterwegs, permanent schickten wir Fotos und kurze Texte in unseren Liveticker.
Am frühen Abend dann die Anfrage vom TV-Kanal ZDFheute live: Ob nicht jemand von der Main-Post kurz über das Geschehen berichten könnte? Eine Viertelstunde später wurde mein Handy zur TV-Kamera, von der Theaterstraße aus erzählte ich dem ZDF-Moderator, was ich wusste. Danach ging es zurück zur Redaktion. Irgendwann, weit nach Mitternacht, saß ich zu Hause im Wohnzimmer. Und realisierte langsam, was in meiner Stadt eigentlich geschehen war.
Siegbert Schneider (69) Rentner: Ich bin mit der Straßenbahn vorbei gefahren
Ich war in der Straßenbahn gesessen, die daran vorbeigefahren ist. Ich habe gesehen, wie dieser Mensch, über den ich nichts sagen kann, von den Leuten verfolgt wurde, die verhindern wollten, dass noch mehr passiert. Ich war froh, als ich sah, dass die Polizei kam. Ich hatte nämlich Angst, dass da noch mehr passieren würde, was nicht gut gewesen wäre.
Ich habe auch gleich meine Frau angerufen und ihr gesagt, da ist etwas Schreckliches geschehen. Mir selbst ist nichts passiert, mir geht es gut, weil ich da nicht gelaufen bin, sondern in der Straßenbahn saß. Eigentlich wollte ich nämlich an der Haltestelle Juliuspromenade aussteigen, bin dann aber doch bis zum Bahnhof weitergefahren – und das war im Nachhinein wohl mein Glück.
Wo sind die Politiker die Werbeträchtig Ihre Kränze niederlegen?
Aber die Opfer waren ja nur Frauen
und der Täter nur ein Psycho und kein Nazi
Armes Deutschland
Mein aufrichtiges Mitleid gilt den Opfern und Hinterbliebenen