Die Panne bei den Corona-Tests für Urlaubsrückkehrer in Bayern hat bundesweit für Aufsehen gesorgt. 44.000 Rückkehrer waren gar nicht oder extrem spät über ihre Testergebnisse informiert worden - darunter auch 949 Corona-Positive. Für den pensionierten Hygieneinspektor Oskar Weinig aus Höchberg (Lkr. Würzburg) kamen die Ereignisse nicht überraschend. "Die Datenpanne wäre vermeidbar gewesen", sagt der ehemalige Vorsitzende des Bundesverbandes der Hygieneinspektoren. Bereits Ende der 1990er Jahre forderte der 68-Jährige eine Reorganisation der Gesundheitsämter und mahnte immer wieder moderne Informationstechnik an, zuletzt in einem Anfang 2020 erschienen Fachartikel. Ein Gespräch über Strukturen in deutschen Gesundheitsämtern, den Wildwuchs an Software-Lösungen und Datenerfassung "aus der Steinzeit".
Frage: Wäre das bayerische Test-Debakel vermeidbar gewesen?
Oskar Weinig: Ja, die Datenpanne wäre vermeidbar gewesen: mit einem entsprechend modernen Software-Programm. Beispielsweise hätte man die Ausweise von Reiserückkehrern an den Grenzen leicht per elektronischer Datenverarbeitung erfassen können. Das ist aber nicht passiert, die Daten wurden händisch aufgenommen – und das in unserer Zeit.
Hinken die Ämter im Gesundheitswesen mit ihrer Software dem Stand der Technik hinterher?
Weinig: Ja. Mit den Programmen, die derzeit in den örtlichen Gesundheitsämtern genutzt werden, kann man so komplexe Aufgaben wie die Aufnahme der Adressen und Daten nicht bewältigen. Das Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) arbeitet zwar seit Jahren an Lösungen, aber nur an selbstgestrickten, die nicht dem heutigen Stand der Informationstechnik entsprechen.
Ist denn wenigstens die Software des LGL mit der Software der Gesundheitsämter kompatibel?
Weinig: Nein, jedes Gesundheitsamt hat seine eigene Lösung. Und auch die Schnittstelle zur Regierung ist sehr beschränkt. Meines Erachtens kann die Regierung deshalb aus diesen Daten auch nur wenig Konkretes herausfiltern.
Erklärt das auch die zeitlichen Verzögerungen bei der Meldung der Covid-19-Neuinfektionen von den Gesundheitsämtern über die Regierung und das LGL ans Robert Koch-Institut (RKI)?
Weinig: Nein. Es gibt eine eigene Software für die Übermittlung der Fallzahlen ans RKI. Das grundsätzliche Problem, das ich sehe, besteht bei der Erfassung der Daten. Dafür gäbe es zwar gute Software-Lösungen bayerischer Firmen, doch die wurden nie angeschafft. Dadurch könnte man wesentliche Fehler reduzieren.
Bei der Testpanne in Bayern wurde als Rechtfertigung für die verzögerte Benachrichtigung der Betroffenen unter anderem das Problem mit angeblich falschen Mail-Adressen genannt.
Weinig: Wenn es so war, spielt das eigentlich keine Rolle. Denn wenn ich die Postadressen der Getesteten über den Ausweis elektronisch erfasst hätte, könnte ich, selbst wenn die Mail-Adresse nicht stimmen sollte, die Infizierten trotzdem innerhalb eines Tages schriftlich benachrichtigen.
Warum gibt es denn immer noch diese veralteten Systeme bei den Gesundheitsämtern?
Weinig: Derzeit finanziert jedes Landratsamt seine Software über Ausgleichsmittel vom Freistaat. Würde eine einheitliche Software angeschafft, nach Vorgaben aus dem Ministerium, müsste dieses auch dafür zahlen. Aus meiner Sicht ist das der wesentliche Grund, warum dieser Wildwuchs an Software-Lösungen überhaupt entstanden ist.
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Es gibt also keine miteinander vernetzten Datenbanken zwischen Gesundheitsämtern, Landesamt für Gesundheit und den Regionalregierungen?
Weinig: Die gibt es, aber eben nur zur Übermittlung von Daten – nicht, um diese Daten zu erfassen oder zu bearbeiten.
Das ist wahrscheinlich nicht nur in der Corona-Pandemie ein Problem?
Weinig: Ganz genau. Wir haben im Trinkwasserbereich ein Software-System, das nur dafür geeignet ist, Daten aus Laboren an die Gesundheitsämter zu übertragen. Flächendeckend Daten analysieren kann es aber nicht. Einige Jahresberichte basieren in Bayern immer noch auf Excel-Tabellen. Ein Beispiel: Ein Gesundheitsamt aus der Region fasst die Daten von Trinkwasserproben zusammen und gibt sie an die Regierung von Unterfranken. Die Regierung wiederum fasst die Daten von allen örtlichen Gesundheitsämtern zusammen und gibt sie ans LGL. Von dort geht eine bayerische Zusammenfassung ans Bundesumweltamt. Das ist Steinzeit!
Vor solchen Missständen bei der Datenverarbeitung – egal ob in Bezug auf Corona oder Trinkwasserhygiene – haben Sie schon vor Jahren gewarnt.
Weinig: Ja, ich habe auf das Problem schon 1996 hingewiesen. Trotzdem wurde eine Software zur Datenübermittlung eingeführt, die keinerlei regionale Differenzierung ermöglicht. Das war damals politisch nicht gewollt.
Hat das etwas mit der Struktur des öffentlichen Gesundheitswesens zu tun?
Weinig: Das hat ganz wesentlich damit zu tun. Die Gesundheitsämter werden von Ärzten geleitet – doch im Grunde bräuchte es einen Juristen oder Manager, der die Ressourcen, Prozesse und das Personal zeitgemäß steuern kann. Jemanden, der sich nicht bei jedem Problem beim Ministerium rückversichern muss.
Also fordern Sie eine komplette Reorganisation?
Weinig: Um die teils verkrusteten Strukturen aufzubrechen, müssten die Gesundheitsämter in Deutschland neu strukturiert werden. Etwa durch Schwerpunkt-Gesundheitsämter, die Regionen und nicht mehr einzelne Landkreise betreuen. So ließe sich zum Beispiel der Personaleinsatz besser steuern, gerade während einer Pandemie.
In Bayern wurden bereits 4000 Mitarbeiter neu an die Gesundheitsämter beordert. Künftig soll mehr Personal eingestellt werden. Was ist daran falsch?
Weinig: Das bringt aktuell natürlich etwas. Langfristig gesehen ist es jedoch eine Verschwendung von Personalmitteln. Denn was machen die Mitarbeiter, wenn die Pandemie vorbei ist? Ich muss doch eine Struktur schaffen, bei der ich ausreichend Personal für den Normalfall habe – aber im Bedarfsfall, etwa bei einer Pandemie, schnell zusätzliche Kräfte einsetzen kann.
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Warum sollte es an Schwerpunkt-Gesundheitsämtern besser laufen?
Weinig: Alles steht und fällt mit einer konsequenten Leitung und durchdachten Personalausstattung. Der medizinische Dienst muss den Ärzten vorbehalten sein, das ist richtig. Daneben sind aber auch andere Fachleute gefragt. Wenn es um die Befragung von Erkrankten geht, um Ansteckungswege und zu ergreifende Maßnahmen, braucht man beispielsweise Gesundheitswissenschaftler, die auch Datenerfassung beherrschen.
Das heißt, es gibt nicht genügend qualifiziertes Personal in den Gesundheitsämtern? Neben den Ärzten bräuchte es also mehr Gesundheitswissenschaftler und über allem eine Art Manager, der das Personal koordiniert?
Weinig: Genau. Man sollte flexibler vom Personaleinsatz sein. Wenn es in Kitzingen einen Covid-19-Ausbruch gibt, dann würde ich Personal dorthin beordern und vom Landkreis Main-Spessart oder Würzburg abziehen und umgekehrt. Das wäre ein Vorteil von Schwerpunkt-Gesundheitsämtern. Das wäre zukunftsweisend.
Also wäre Corona ein guter Anlass, diese Probleme grundlegend anzugehen.
Weinig: Ja. Die Schwächen des Systems waren auch schon bei der Schweinegrippe oder der Vogelgrippe sichtbar. Jetzt, in der Corona-Pandemie, sind sie offensichtlich.
Und passiert aus Ihrer Sicht in Bayern genug, um die Schwächen des Systems zu beseitigen?
Weinig: Nein. Die Struktur des öffentlichen Gesundheitsdienstes müsste sich radikal ändern. Durch mehr Personal allein werden die Gesundheitsämter nicht gestärkt. Das ist aber wichtig zum Schutz der Bevölkerung. Einen hundertprozentigen Schutz werden wir nie erreichen. Aber wir sollten hier in Deutschland einen relativ sicheren Gesundheitsschutz garantieren.
"In der Debatte über die Panne bei der Übermittlung von Corona-Testergebnissen hat der Bundesverband der Ärztinnen und Ärzte im öffentlichen Gesundheitsdienst die Staatsregierung in Schutz genommen.
Die Panne hätte genauso gut in jedem anderen Bundesland passieren können, sagte die Verbandsvorsitzende Teichert
der ARD. In Bayern sei das System auch deshalb zusammengebrochen,weil man dort sehr früh angefangen habe zu testen.
Probleme wie die fehlende Digitalisierung und der Personalmangel bestünden bundesweit, betonte Teichert".
Das sieht schon ganz anders aus, als der mainstream, der geradezu auf eine panne zu warten scheint/schien, linkspopulistisch zu meinen beliebt.
Aber das Bashing der Staatsregierung liegt halt ganz im Trend interessierter Kreise, was aber nicht der Mehrheit im Volk entspricht, bei weitem nicht.