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Würzburg
Corona: Würzburger Gesundheitsamt bereits am Limit?
Der Corona-Hotspot in Unterfranken ist die Region Würzburg. Stößt dort das Gesundheitsamt deshalb an seine Grenzen? Ein Fall in Reichenberg lässt das vermuten.
Symbolfoto Corona
Foto: Wolfgang Kumm, dpa | Symbolfoto Corona
Angelika Kleinhenz
 |  aktualisiert: 27.04.2023 09:40 Uhr

Die Corona-Pandemie bringt die Gesundheitsämter an ihre Belastungsgrenze. Dies zeigt ein Fall in der Gemeinde Reichenberg im Landkreis Würzburg. Seit vergangenen Samstag ist klar: Auch eine Person, die sich ehrenamtlich als Wahlhelfer am 15. März engagiert hatte, ist mit dem Coronavirus infiziert. Unklar ist, ob die Person am Tag der Kommunalwahl bereits das Virus in sich trug und ob sie andere an diesem Tag angesteckt hat. Klar ist: Sie hatte am Wahltag mit vielen Menschen Kontakt. Mit einigen auch engeren.

Dem Bürgermeister der Gemeinde Reichenberg, Stefan Hemmerich, war klar: "Jetzt ist schnelles Handeln gefordert." Noch am Samstag habe er deshalb mit dem Leiter des Würzburger Gesundheitsamtes, Johann Löw, telefoniert. Dieser habe ihm mitgeteilt, dass es derzeit nicht mehr möglich sei, Kontaktketten weiter zu verfolgen oder Tests durchzuführen. Die Kapazitäten seien erschöpft. Der Bürgermeister solle nichts unternehmen und niemanden informieren. Erst bei weiteren Personen mit Symptomen könne man reagieren.

Bürgermeister warnt am Sonntag 30 Kontaktpersonen per Telefon

Ein Schock für den Bürgermeister. Einerseits habe er "volles Verständnis für die Notsituation und die Überlastung der Gesundheitsämter". Andererseits, so Hemmerich, wenn man jetzt aufhöre, Infektionsketten nachzugehen, habe man in kürzester Zeit ein Vielfaches an Infizierten. "Es ist doch wichtig, Betroffene möglichst schnell zu informieren, damit sie sich richtig verhalten. Sonst tragen sie das Virus unwissend in Beruf oder Familienkreis weiter, vielleicht sogar an Menschen aus Risikogruppen." So holte sich Hemmerich gleich am nächsten Tag die telefonische Erlaubnis des Amtsleiters, Kontaktpersonen selbst ermitteln und informieren zu dürfen. Er telefonierte am Sonntag mit rund 30 Menschen, die Kontakt mit der infizierten Person hatten. "Ich habe sie sozusagen selbst in Quarantäne geschickt", so der Bürgermeister.

Dieser Fall steht im Gegensatz zur täglichen Pressemitteilung des Würzburger Gesundheitsamtes an die örtlichen Medien, in der die Zahlen der bestätigten Neu-Infektionen des jeweiligen Tages genannt werden. Dort heißt es, das Gesundheitsamt ermittele "wie gewohnt routiniert" die Kontaktpersonen und mögliche Infektionsketten. Die Redaktion hatte das Gesundheitsamt um eine Stellungnahme gebeten. Eine Sprecherin des Amtes teilte am Mittwoch mit, man wisse um den Reichenberger Fall und werde die Kontaktpersonen noch ermitteln. Dies sei bislang aufgrund der personellen Auslastung des Amtes aber noch nicht geschehen. Hilfreich wäre, wenn sich Menschen, deren Testergebnis positiv ausfällt, im Vorfeld des Gesprächs mit dem Mitarbeiter des Gesundheitsamts selbst eine Liste der Menschen erstellen, mit denen sie engeren Kontakt hatten.

Gesundheitsamt wird personell aufgestockt

Seit Montag wird das Würzburger Gesundheitsamt personell aufgestockt, sowohl in der Verwaltung, als auch bei den Ärzten. Mitarbeiter arbeiteten seit Ende Februar an ihrer Belastungsgrenze, teils bis zu 14 Stunden am Tag, heißt es in einer Pressemitteilung. Zwischen fünf und 50 Namen würden dem Ermittler-Team pro Telefonat mit einem neuen bestätigten Covid-19-Fall genannt. Ein Teil davon wird als "Kontaktperson der Kategorie I" eingestuft. Laut Definition des Robert-Koch-Instituts sind dies Menschen aus demselben Haushalt oder medizinisches Personal. Denn sie tragen ein höheres Infektionsrisiko. Diese Personen werden telefonisch informiert. Die Angerufenen seien "dankbar für die Klarheit", auch wenn sie sich anschließend 14 Tage in häusliche Quarantäne begeben müssten, so das Amt.

Dass es offenbar längst nicht mehr in jedem Fall so läuft, zeigt der Reichenberger Fall. Die Gemeinde mit ihren fünf Ortsteilen hat jetzt beschlossen, am kommenden Sonntag keine ehrenamtlichen Wahlhelfer mehr einzusetzen. Die Briefwahl wird komplett von Verwaltungspersonal und deren Ehepartnern ausgezählt.

In fünf Tagen doppelt so viele bestätigte Corona-Fälle
In Unterfranken hat sich die Zahl der bestätigten Coronafälle innerhalb von fünf Tagen fast verdoppelt. Hatten sich bis vergangenen Freitagabend nachweislich 358 Menschen mit dem Coronavirus infiziert, waren es am Mittwochabend bereits 684. In Stadt und Landkreis Würzburg stieg die Zahl der bestätigten Neu-Infektionen im gleichen Zeitraum von 166 auf 297. Elf Menschen sind im Würzburger Seniorenheim St. Nikolaus am Coronavirus gestorben.
Bayernweit schnellte die Zahl in fünf Tagen von 3107 auf 7289 nach oben; deutschlandweit von 14 000 auf 31 554. Ohne Gegenmaßnahmen, so viele Experten, wäre unser Gesundheitssystem bald schon überlastet. Denn ein Infizierter steckt im Schnitt drei weitere Menschen an.
In ganz Deutschland gibt es 28 000 Intensivbetten. In Bayern sind es nach einer Schätzung der Bayerischen Krankenhausgesellschaft etwa 4000. Weitere Intensiv- und Beatmungsstationen werden gerade eingerichtet.
In unterfränkischen Krankenhäusern werden derzeit mehr als 40 Corona-Erkrankte stationär behandelt, die meisten von ihnen in Würzburg und Aschaffenburg. Mindestens 14 Menschen liegen auf der Intensivstation.
 
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  • J. L.
    @MainPost Ich hätte mir hier mehr ECHTE und vor allem auch KRITISCHE Berichterstattung gewünscht:

    1. Ist das Gesundheitsamt komplett überfordert oder nicht? Kann diese Behörde Ihre Aufgaben noch erfüllen? ect.

    2. Gilt das auch bei der Reichenberger Wahl: Denn Wahlhelfer sind verpflichtend vorgesehen – deshalb kann dieses Amt im Zweifel auch nur aus triftigen Gründen abgelehnt werden. Wenn nun nur mit Amtspersonal und (abhängigen) Angehörigen gearbeitet wurde ist diese Wahl u.U. anfechtbar bzw. das Verfahren unzulässig.
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  • L. S.
    So ich melde mich jetzt mal an jemand der sich aus einer staatlichen Verwaltungsbehörde an ein Gesundheitsamt abordnen hat lassen. Ja heute erster Tag und wir sind zu dritt und haben 7 Stunden Zeit abgesessen und dann heimgegangen weil die zuständigen Personen nicht in der Lage sind Arbeit zu nennen oder abzugeben. Jetzt wird sich des Morgen nochmal angeschaut und dann geht es zurück an die alte Behörde weil Zeit totschlagen ist nicht des womit ich mein Geld verdienen möchte
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  • W. S.
    Mich hat dass Verhalten des Gesundheitsamts total entsetzt. Wer weiß wie oft dieser Satz schon zu jemanden gesagt wurde - wo sich dran gehalten hat.
    Zum Glück war der Bürgermeister von Reichenberg mutig und hat dass nicht so stehen lassen.
    Ich frage mich, ob dass der Leiter des Gesundheitsamts einfach so von sich aus gesagt hat - oder eine Order von weiter oben dazu bekam sich so zu verhalten.
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  • H. G.
    allein schon diese meine heutige erfahrung zeigt meiner ansicht nach überdeutlich die komplette überforderung des würzburger gesundheitsamtes und ich vermute, dass es zahlreiche ähnliche fälle gibt. 3/3
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  • H. G.
    ... das rki hat aber seine empfehlungen gestern dahingehend aktualisiert, dass risikopatienten mit symptomen einer akuten atemwegserkrankung nun auch dann getestet werden sollen, wenn sie keinen kontakt mit einem bestätigten fall hatten oder sich in risikogebieten aufgehalten haben.
    nachdem ich von dieser aktualisierung erfuhr, wählte ich also heute vormittag die nummer der corona-hotline des würzburger gesundheitsamtes in der annahme, dort einen termin für einen test vereinbaren zu können, wurde aber von der person am anderen ende der leitung mit der aussage abgefertigt, ihr sei nichts über eine änderung der empfehlungen des rki bekannt, ohne kontakte zu einem bestätigten fall oder aufenthalt in einem risikogebiet, würde in würzburg nicht getestet. perplex über diese uninformiertheit wusste ich darauf erstmal nichts zu erwidern, woraufhin die gesundheitsamtsmitarbeiterin das gespräch direkt beendete. 2/3
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  • H. G.
    nein, das würzburger gesundheitsamt ist nicht /am/ limit - es ist ganz offenbar schon deutlich drüber. wie ich zu dieser einschätzung komme? ich habe als unter immunsuprimierender medikation stehende rheumapatientin mit vorgeschädigter lunge (bleibende vernarbungen im lungengewebe durch starke lungenentzündung vor einigen jahren) ein erhöhtes risiko im falle einer sarscov2 infektion schwer zu erkranken. seit ende vergangener woche habe ich symptome eines atemwegsinfekts einschließlich husten, der sich in den letzten tagen verschlimmert hat. da ich keinen direkten kontakt zu einem bestätigten covid19 hatte und mich auch in den letzten wochen nicht in einem risikogebiet aufgehalten habe, erfüllte ich bisher nicht die vom robert koch institut aufgestellten empfehlungen für eine testung.
    das rki hat aber seine empfehlungen gestern dahingehend aktualisiert, dass ... 1/3
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  • J. L.
    Zitate müssen belegt werden. Gerne auch an redaktion.wuerzburg@mainpost.de wenden.
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  • Veraltete Benutzerkennung
    Die Kommentarfunktion steht erst zur Verfügung, nachdem Sie Ihre E-Mail-Adresse bestätigt haben.
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  • J. N.
    "Der Bürgermeister solle nichts unternehmen und niemanden informieren."
    Das war jetzt nicht Herrn Löw's Ernst, oder anscheinend doch???

    Irgendwie erinnert mich das an diverse Beast-Horror-Streifen, in denen die Stadtoberen sich weigern, die Strände zu sperren, und deswegen immer weiter ahnungslose Badegäste gefressen werden...

    Im Fall Reichenberg allerdings mit vertauschten Rollen: hier hat der Bürgermeister die Strände gesperrt.
    Die einzig richtige Entscheidung.
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  • C. L.
    Laut Infektionsschutzgesetz hat Herr Löw anscheinend eine Straftat begangen.
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  • K. K.
    DAS WÄRE JA SCHON DIE ZWEITE"Entgleisung" von Herrn Dr. LÖW. Sollte hier nicht überlegt werden ob der gute Mann nicht überfordert ist mit so Aussagen um sich zu schlagen. Es sollte darüber schnell Nachgedacht werden in in den "wohlverdienten" Ruhestand zu versetzen. Ich denke er ist mit dieser Lage sichtlich überfordert. Solche Aussagen zu treffen? Das ist nicht wohl überlegt, sondern vertuscht hier das Gesundheitsamt? Wo ist die Aufsichtsbehörde für diese Behörde, denen müssten ja die Ohren klingeln.
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  • A. L.
    Das Verhalten des Gesundheitsamtsleiters zeugt nicht nur von Inkompetenz sondern auch von bodenloser IGNORANZ, dass die Situation vertuscht werden sollte! "Nichts sagen und nichts unternehmen".
    Der Mann war schon mit der Situation im Heim St. Nikolaus überfordert, und jetzt noch sowas. Er ist wahrscheinlich von den Tests nicht überzeugt, das hat man schon zwischen den Zeilen der Berichterstattung über das Bürgerspital gelesen.

    ER GEHÖRT SOFORT AUS SEINEM AMT ENTFERNT!

    Kompliment an den Bürgermeister, der hat wenigstens gehandelt und die Situation erkannt.
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  • C. L.
    Essfeld ist ein weiterer Hotspot seit Wahlsonntag.
    Ich frage mich, wie einerseits der Söder einen auf Allmächtigen macht und andererseits die Wahlen so durchgezogen hat.
    Das fragen sich mittlerweile sehr viele Wahlhelfer.
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  • P. K.
    Was mich übrigens immer noch wundert wie lässig die etwa 25000 Grippetoten allein in D im Winter 2017/18 übergangen wurden.
    Da hat das RKI einfach geschätzt weil bei Grippe oft eine andere Todesursache in die Sterbeurkunde eingetragen wird. Da hat dann halt das Herz der eh schon klapprigen Oma versagt. Das gibt keine Schereriein mit dem Gesundheitsamt. Besondere Hygiene, Besuchsverbot usw. im Altenheim oder Krankenhaus, nicht nötig. Immer rein mit verseuchten Besuchern.
    10000 bis 20000 Tote im Jahr in D durch Krankenhausinfektionen mit resistenten Bakterien schätzt das RKI. Auch egal, die Leute sind ja bereits im Krankenhaus und bestens versorgt.

    War, bzw. ist das Gesundheitsamt in diesen Fällen auch überlastet oder wird das einfach verpennt?
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