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Würzburg
Bofinger: Warum Corona unsere Wirtschaft mitten ins Herz trifft
Der renommierte Würzburger Volkswirt über die Phasen der Corona-Krise, wie es danach weiter gehen könnte - und warum Euro-Bonds die Europäische Union retten können.
Der Würzburger Volkswirtschaftsprofessor Peter Bofinger. 
Foto: Tobias Schwarz, afp | Der Würzburger Volkswirtschaftsprofessor Peter Bofinger. 
Folker Quack
 |  aktualisiert: 15.07.2024 09:34 Uhr

Der Würzburger Professor für Volkswirtschaftslehre, Peter Bofinger, gehörte von 2004 bis 2019 dem Sachverständigenrat der Bundesregierung, den so genannten fünf Wirtschaftsweisen, an. Schon zu Beginn der Corona-Krise warnte der 65-jährige Ökonom davor, dass durch den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Stillstand neue riesige Schulden im Wirtschaftssystem aufgebaut werden. Welche wirtschaftlichen Folgen erwartet er durch die Pandemie?  

Frage: Herr Professor Bofinger, mit milliardenschweren Rettungspaketen ist Deutschland bislang  wirtschaftlich ganz gut durch die Corona-Krise gekommen. Fehlt uns dieses Geld nach der Krise für Investitionen, weil der Staat dann wieder sparen muss?

Peter Bofinger: Rein rechtlich ist es genau so, wie Sie es sagen.  Die Schuldenbremse verpflichtet Bund und Länder die Haushalte auszugleichen. Der Bund darf ein Defizit von 0,35 Prozent machen. In der jetzigen Notsituation darf man diese Grenzen überschreiten. Aber man muss einen Tilgungsplan vorlegen, wie man die Schulden über die nächsten zehn oder 20 Jahre wieder zurück bezahlt. Das heißt, dass wir nach der Krise keine schwarze Null, sondern ein dickes schwarzes Plus in den Haushalten erzielen müssen, um die Schulden wieder abzutragen. Das schränkt die Möglichkeiten für Investitionen zum Beispiel in Infrastruktur, neue Technologien, oder den Klimaschutz enorm ein.   

Was kann man dagegen tun? 

Bofinger: Versuchen, diese Regeln zu ändern. Ich würde vorschlagen, die Tilgung auszusetzen oder über 100 Jahre zu strecken. Wir hatten eine vergleichbare Situation nach der Deutschen Einheit. Da hat man dann einfach den Schuldenstand auf einem höheren Stand belassen. Unsere Schuldenstandsquote betrug vor der Coronakrise knapp 60 Prozent, wenn sie jetzt auf 80 Prozent hoch ginge, lägen wir international immer noch in einem soliden Bereich.   

Verschulden wir uns damit nicht auf Kosten der nächsten Generation? 

Bofinger: Ich weiß nicht, ob die junge oder kommende Generation so glücklich wäre, wenn wir ihr sagen: Ihr habt zwar eine schlechte Infrastruktur, wir haben nichts für das Klima getan und in der Bildung seid ihr auch zurück, aber dafür habt ihr weniger Schulden.

Trotz aller Hilfen, Restaurants und Reisebranche liegen am Boden und werden sich so schnell nicht erholen. Wir werden nach der Krise im Restaurant keine zwei Schnitzel essen und auch nicht zweimal in den Sommerurlaub fahren. Droht hier eine große Pleitewelle, die nur der Staat verhindern kann?

Bofinger: Wir müssen drei Phasen unterscheiden. Die erste ist der Lockdown mit enormen Einschränkungen. Da gehen wir allmählich raus. Die zweite Phase, die man so schön als "new normal" bezeichnet, ist die, in der wir das Virus noch nicht im Griff haben. Dann kommt die dritte Phase, in der wir Impfstoffe haben und damit das Virus unter Kontrolle. Dann haben wir wieder normale Verhältnisse. Das Problem der jetzigen "New-normal-Phase" ist die enorme Unsicherheit: in der Gastronomie, im Einzelhandel, auch in der Produktion. Die Aufwände sind einfach viel größer, die Umsätze viel geringer. Wenn kein Wunder passiert, dauert diese Phase mindestens noch bis Weihnachten.   

Wird danach vieles teurer?

Bofinger: Wichtig ist jetzt erst mal, dass unsere Unternehmen und vor allem die kleineren das "New-normal" überleben und wir keine massive Insolvenzwelle bekommen. Da genügen Kredite nicht, weil sich damit die Verschuldung der Unternehmen weiter aufbaut. 

Was bereitet Ihnen die größten Sorgen?

Bofinger: Mir bereiten der Mittelstand, also Einzelhandel, Gastronomie, die Hotels, die Reisebüros, aber auch die Zulieferer der Automobilindustrie und die vielen Selbstständigen die größten Sorgen. Sie sind das Herz, der Kern unserer Wirtschaft und können ihre Fixkosten nur bedingt reduzieren.    

"Ich finde es erstaunlich, welche Kapazität unser digitales Netz hat."
Professor Peter Bofinger
Noch nie fanden so viele Meetings über digitale Kanäle statt, arbeiteten so viele Menschen im Homeoffice, werden so viele Schüler und Studenten digital unterrichtet. Könnte das einen Schub für die Digitalisierung geben?

Bofinger: Ich finde spannend, wie gut das funktioniert. Was haben wir nicht über den Breitbandausbau und den Stand der Digitalisierung in Deutschland geklagt. Wenn man überlegt, wie flächendeckend und intensiv aktuell digitale Medien genutzt werden, verwundert doch, dass wir dort weniger Staus haben, ganz anders als normalerweise im Berufsverkehr auf unseren Autobahnen. Ich finde es erstaunlich, welche enorme Kapazität unser digitales Netz hat.  

Brauchen wir die umstrittenenEurobonds, um auch schwer betroffene Länder wie Italien über die Krise zu bekommen?

Bofinger: Ich kann mir ein Modell vorstellen, bei dem auf der europäischen Ebene ein Fonds errichtet wird, der Geld aufnimmt und dies zu gleichen Teilen an alle Mitgliedstaaten gibt. Für diesen Fonds haftet man dann gemeinsam. Dies könnte man so ausgestalten, dass diese Fonds so lange laufen, dass praktisch nur für die Zinsen gehaftet wird. Auf jeden Fall kann man nicht von europäischer Solidarität sprechen und dann den am meisten betroffenen Ländern nur Kredite anbieten.  Wir haben sowohl ökonomisch als auch politisch das allergrößte Interesse, dass Italien nach der Pandemie kein politisches und ökonomisches Trümmerfeld wird. 

Sehen Sie die Europäische Union wegen der Corona-Krise in Gefahr?

Bofinger: Die Gefahr sehe ich. In vielen Ländern Europas gibt es europakritische Gruppierungen. Wenn die Wirtschaft in Südeuropa nicht wieder auf die Beine kommt, wenn die Arbeitslosigkeit steigt, werden diese Gruppierungen fragen: Wo war denn Europa in der Not?  

 
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