Arbeiten zuhause, Fernsehen statt Fitnessstudio, stundenlange Online-Meetings: Corona hat viele Menschen inaktiv, vielleicht sogar ein bisschen faul werden lassen. Wir sitzen viel zu viel und im Vergleich zu vor der Pandemie noch länger – vor allem junge Erwachsene. Unser Körper aber ist für ewiges Sitzen nicht ausgelegt, warnt Dr. Birgit Sperlich. Die Würzburger Sportwissenschaftlerin hat an der Studie "Wie gesund lebt Deutschland?" der Deutschen Krankenversicherung (DKV) mitgearbeitet. Wie aber kommt man nach Corona wieder in Bewegung?
Ein Gespräch über Motivations-Tricks, Gefahren im Homeoffice und Zauberformeln beim Schrittzählen.
Dr. Birgit Sperlich: Zunächst einmal muss man sagen: Eine Stunde mehr Sitzen pro Tag – das ist wirklich viel. Ob es ein Pandemie-Effekt ist oder ein allgemeiner gesellschaftlicher Trend, lässt sich ehrlicherweise noch nicht beantworten. Insgesamt aber decken sich unsere Daten mit nationalen und internationalen Erhebungen, längere Sitzzeiten konnten überall beobachtet werden.
Sperlich: Beim Sitzen macht die Dosis das Gift. Evolutionsbedingt brauchen die unterschiedlichen Systeme im Körper und die Psyche Bewegung. Wir haben verschiedene Stoffwechselmechanismen, die nicht gut funktionieren, wenn wir permanent inaktiv sind. Studien zeigen uns, dass gerade das Risiko zur Entwicklung von zivilisationsbedingten Erkrankungen wie Diabetes oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen mit hohen Sitzzeiten steigt. Junge Erwachsene sitzen beispielsweise im Schnitt 10,5 Stunden, Menschen im Homeoffice sogar über 11 Stunden. Das ist richtig viel – und das kann zu gesundheitlichen Problemen führen. Unser Körper braucht Bewegungspausen. Es geht nicht nur darum, einmal am Tag 30 Minuten Joggen oder Spazieren zu gehen – sondern immer wieder zwischendurch den Stoffwechsel zu aktivieren.
Sperlich: Das will ich so nicht sagen. Aber wir brauchen neue Strukturen, um Bewegung auch da zur Selbstverständlichkeit werden zu lassen. Zuhause entfallen kleine Büro-Bewegungsmöglichkeiten wie die Gespräche auf dem Gang oder der Weg zum Konferenzraum. Hierfür gilt es, Alternativen zu suchen. In neueren Analysen haben wir zudem herausgefunden, dass Menschen mit geringen Bewegungszeiten in der Freizeit auch ein erhöhtes Risiko für lange Sitzzeiten im Homeoffice haben. Da müssen wir wirklich Alarm schlagen.
Sperlich: Es ist wichtig, Routinen zu schaffen und Bewegungszeiten klar einzuplanen. Vor dem Arbeitsbeginn könnte man zum Beispiel eine Runde um den Block gehen oder eine Viertelstunde mit dem Rad fahren. Im Homeoffice schafft das auch eine gewisse Distanz zur Arbeit, es simuliert quasi die örtliche Trennung zwischen Beruf und Privatleben. Eine gute Faustformel könnte auch die 40-15-5-Regel sein. Das heißt, dass man pro Stunde Arbeitszeit maximal 40 Minuten sitzt, 15 Minuten steht und fünf Minuten Bewegungszeit einplant. Leichter umzusetzen ist das mit "Wenn . . . dann"-Sätzen: wenn das Telefon klingelt stehe ich auf, wenn ich eine Aufgabe abschließe, dann schließe ich eine Bewegungsübung an oder laufe kurz die Treppe hinauf und herunter.
Sperlich: Die Weltgesundheitsorganisation rät dazu, sich pro Woche mindestens 150 bis 300 Minuten in einer mindestens moderaten Aktivität zu bewegen. Das meint beispielsweise Spazierengehen. Um einen zusätzlichen gesundheitlichen Nutzen zu haben, sollten es mehr als 300 Minuten pro Woche sein. Nichtsdestotrotz ist das Credo: Jeder Schritt zählt. Die neusten Daten zeigen, dass acht Stunden Sitzen mit etwa einer Stunde täglicher Bewegungszeit ausgeglichen werden können. Dabei muss es nicht die Art von Sport sein, bei der man richtig ins Schwitzen kommt – auch kleine Bewegungen helfen.
Sperlich: Erstens: Man muss sich Routinen schaffen. Dafür sollte man Aktivitäten und Zeiten aussuchen, die wirklich zu einem passen, und sich dann einen festen Plan machen. Es hilft wenig, vage zu sagen, ich gehe jetzt zwei Mal pro Woche ein bisschen spazieren – besser ist ein fester Termin. Im besten Fall verabredet man sich dazu. Allgemein gilt: sich zum Sport zu einem festen Termin zu verabreden, das ist ein Hauptmotivationspunkt, eine der einfachsten und besten Strategien, um den inneren Schweinehund zu überwinden. Viele Menschen raffen sich eher gemeinsam auf, als alleine. Sich selbst zu enttäuschen ist einfach, bei anderen fällt das schwerer. Sinnvoll ist es auch, sich eine Bewegungsart zu suchen, die einem liegt und die man gerne macht.
Sperlich: Zweitens sollte man sich realistische Ziele setzen, die man selbst auch wirklich erreichen kann. Unterstützend bei der Kontrolle können zum Beispiel Schrittzähler oder Wearables sein. Drittens muss man muss seine persönlichen Barrieren kennen. Das kann Unlust sein, fehlende Zeit, ausbleibende Unterstützung vom Partner oder der Familie, Arbeitsdruck. Wenn man diese Hindernisse kennt, kann man schon vorab überlegen, wie man sie umschifft.
Sperlich: Spazierengehen ist prima. Wenn man das regelmäßig in moderatem Tempo macht, reicht es weitestgehend aus, um gesund zu bleiben – um fit zu werden allerdings nicht. Hier muss man differenzieren: Ist das Ziel Gesundheit oder Leistungsfähigkeit beziehungsweise Fitness? Für Letzteres wäre eine höhere Trainingsintensität sinnvoll, wobei dies auch immer vom Fitness-Ausgangsniveau anhängt.
Sperlich: Es ist eine gute Faustformel. Zu Schritten gibt es viele epidemiologische Studien und man sieht, dass Menschen, die 7500 bis 8000 Schritte pro Tag gehen, bereits einen positiven gesundheitlichen Effekt erreichen und ihr Risiko für viele Erkrankungen senken. 10.000 sind zunächst eventuell für viele Menschen schwer zu erreichen. Dann kann es ein langfristiges Ziel sein, aber auch kleine Steigerungen bei den persönlichen Tageszahlen bringen schon etwas.
Sperlich: Auf jeden Fall, Yoga kombiniert Beweglichkeit, Kraft und das zur Ruhe kommen. Die Aktivität muss einfach zu einem persönlich passen. Und sie muss Spaß machen.