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Würzburg
Würzburger Soziologe: So hat die Corona-Pandemie unser Zusammenleben verändert
Wir halten Abstand, sehen uns nur digital, verkrachen uns wegen der Impfung. Seit zwei Jahren fordert Corona die Gesellschaft. Warum Soziologe Andreas Göbel dennoch zuversichtlich ist.
Folgen der Corona-Pandemie: Der Würzburger Soziologe Andreas Göbel macht vor allem die Sozialen Medien für Spaltungstendenzen in der Gesellschaft verantwortlich.
Foto: Fabian Gebert | Folgen der Corona-Pandemie: Der Würzburger Soziologe Andreas Göbel macht vor allem die Sozialen Medien für Spaltungstendenzen in der Gesellschaft verantwortlich.
Andreas Jungbauer
 |  aktualisiert: 10.05.2023 10:00 Uhr

Die Pandemie belastet die Menschen seit zwei Jahren, nicht nur gesundheitlich. Auch unser Zusammenleben ist davon berührt und überschattet von der permanenten Infektionsgefahr. Was bedeutet das für die Gesellschaft, für die Gemeinschaft? Gelingt uns der Weg zurück in die Normalität? Ein Gespräch mit Prof. Andreas Göbel, Inhaber des Lehrstuhls für Allgemeine Soziologie an der Universität Würzburg.

Nach zwei Jahren Pandemie: Wo hat sie uns am meisten verändert?

Prof. Andreas Göbel: Es war eine harte Zeit auf vielen Ebenen. Man denke an die Kontaktarmut, wir konnten Freunde nicht treffen, viele Familien waren innerhäusig überlastet. Ich glaube aber nicht, dass diese Einschränkungen die Gesellschaft strukturell verändern. Uns fehlen gewisse Dinge, aber sie werden wiederkehren.

Das klingt optimistisch.

Göbel: Das sollten wir auch sein. Wo ich den größten Einschnitt sehe, ist im Bereich der Arbeitswelt mit der starken Verlagerung ins Homeoffice. Da wird viel restrukturiert – was für einige teils erhebliche Vorteile hat, etwa für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Aber solche Strukturveränderungen sind immer Gewinn und Verlust zugleich.

Ist es ein Verlust, wenn Menschen nur noch über Bildschirmkacheln miteinander reden?

Göbel: Ja, definitiv. Der Arbeitsplatz lebt ja nicht nur von den Aufgaben, die dort zu verrichten sind, sondern auch von dem, was wir in der Soziologie informelle Kommunikation nennen – also die Begegnung am Kaffeeautomaten und das Gespräch zwischen Tür und Angel. Das hat nicht nur für die individuelle Seele etwas Positives, sondern ist auch eine wichtige Dimension des Arbeitslebens insgesamt. Unternehmen leben davon, dass Leute sich auf kurzem Weg mal schnell untereinander verständigen können – was über Zoom nicht so einfach möglich ist. Ich glaube, dies wird Unternehmen, Einrichtungen, Verwaltungen erheblich verändern.

Was ist es, das auf der Strecke bleibt?

Göbel: Die Vereinsamungstendenzen im Homeoffice sind nicht zu unterschätzen, vor allem bei Alleinstehenden. Bei Familien wiederum wird leicht mal die Arbeit gestört. Was verloren geht, ist eine große Errungenschaft der modernen Gesellschaft: die Trennung von Wohnung und Arbeitsplatz. Ich habe den Eindruck, dass dies gerade allzu eilfertig aufgegeben wird. Jetzt, wo Corona-Einschränkungen aufgehoben werden, führt man vielfach noch flexible Arbeits- und Homeoffice-Modelle ein. Die Trennung der Orte ist auch Trennung der Sachdimensionen. Ich glaube, deren Verschmierung tut uns allen nicht gut. Job ist Job, Freizeit ist Freizeit.

Und im Zusammenleben der Menschen? Hat uns die Pandemie die Unbeschwertheit genommen?

Göbel: Das war schon relativ früh in der Pandemie zu beobachten. Ich erinnere mich, wie wir uns das enge Zusammenstehen an der Supermarktkasse oder Käsetheke abgewöhnen mussten. Nach zwei, drei Monaten griff dann eine gewisse Reserviertheit oder Ängstlichkeit um sich, wenn einem Leute zu nahe kamen. Diese Ängstlichkeiten sind akut noch vorhanden – ich glaube aber, dass sie mittelfristig wieder verschwinden werden. Die Sehnsucht nach selbstverständlicher Nähe, sei es in Konzerten oder Fußballstadien, ist groß.

Soziologe Andreas Göbel ist zuversichtlich, dass sich das Zusammenleben der Menschen nach der Pandemie wieder normalisiert.
Foto: Fabian Gebert | Soziologe Andreas Göbel ist zuversichtlich, dass sich das Zusammenleben der Menschen nach der Pandemie wieder normalisiert.
Ein versöhnlicher Gedanke. Aber wie ist es über das Körperliche hinaus mit unserer Haltung? Wie findet eine Zweiklassen-Gesellschaft von Geimpften und nicht Geimpften wieder zusammen?

Göbel: Ich habe Zweifel, ob dieses Auseinanderdriften ursächlich mit Corona zu tun hat oder ob wir Spaltungstendenzen nicht auch auf vielen anderen Ebenen beobachten. Das, was wir aktuell als "Spaltung" der Gesellschaft diskutieren, hat vielmehr mit der Etablierung von Social Media und damit Teilöffentlichkeiten zu tun. Es gibt nicht mehr die eine homogene Öffentlichkeit, die maßgeblich von Medien mitbestimmt wird. Stattdessen entstehen viele kleine Gegenöffentlichkeiten zu den unterschiedlichsten Themen, auch zu Corona oder zur Klimakrise. Dadurch wächst der Eindruck, dass eine Gesellschaft nicht an einem Strang zieht. Aber ehrlich: Ich weiß nicht, ob das jemals anders war.

Meinen Sie mit Teilöffentlichkeiten die Filterblasen, die uns in der eigenen Meinung bestärken und andere Ansichten ausblenden?

Göbel: Exakt. Aber haben Menschen nicht auch schon früher ihresgleichen gesucht? Ich habe manchmal den Eindruck, als seien Social-Media-Foren nichts anderes als erweiterte Stammtische. Das waren geschützte Räume, die jetzt durch Social Media deutlich erweitert sind. Also ich glaube nicht, dass die Leute früher in ihren Einstellungen homogener waren. Nur lassen sie sich jetzt leichter zu Meinungsgruppen zusammenbringen.

Man könnte auch von Parallelwelten sprechen. Weil uns der jeweils andere Blick auf die Dinge verloren geht.

Göbel: Das will ich gar nicht ausschließen. Ich bin nur extrem zurückhaltend bei Thesen nach dem Motto "Früher war alles besser". War früher wirklich alles diskursiver und kontroverser? Waren wir früher toleranter gegenüber anderen Meinungen? Haben sie angehört, mit unseren eigenen abgeglichen und diese dann verändert? Ich bin da sehr zögerlich. Wir hatten in Deutschland immer einen gewissen Prozentsatz der Bevölkerung mit ultrakonservativen bis rechtsextremen, faschistoiden oder fremdenfeindlichen Einstellungen. Die waren nie weg. Nur finden sie jetzt Plattformen, sich stärker zu artikulieren – nämlich über die Sozialen Medien. Was vorher eher verdeckt war, wird jetzt sichtbar.

Haben Sie eine Erklärung für den Hass, den wir in der Auseinandersetzung um Corona-Maßnahmen oder die Impfpflicht erleben?

Göbel: Nein, den kann ich nicht wirklich gut erklären. Aber die Bereitschaft, das Gewaltmonopol des Staates nicht anzuerkennen, ist ganz offenbar gewachsen. Aber auch hier stellt sich die Frage, ob das nur mit Corona zu tun hat oder ob sich die Einstellung gegenüber der Demokratie verändert.

Geht es bei den Protesten mehr gegen den Staat, gegen das "System" inklusive der Medien, als gegen die Impfung?

Göbel: Den Eindruck kann man gewinnen. Wobei ich gar nicht verstehe, worum es bei der Attacke gegen das "System" eigentlich geht. Natürlich bedeutet Corona eine erhebliche Einschränkung unserer Lebensqualität. Und für viele eine wirtschaftliche Herausforderung. Aber in keiner Weise ist doch eine angebliche "Corona-Diktatur" zu erkennen. Die eine oder andere Entscheidung der Politik nervt. Oder auch das föderale Durcheinander der Länder. Aber deshalb die Systemfrage zu stellen, ist absurd. Im übrigen sind die Motive der Impfgegner höchst verschieden. Mal ist es Angst, mal eine homöopathische Orientierung, mal steckt eine politische Aussage dahinter.

Wie gravierend sind die Verletzungen, die zwischen Befürwortern und Gegnern der Impfung entstanden sind?  Teils ja innerhalb von Familien - wie ist da Heilung möglich?

Göbel: Ich glaube, dass Narben zurückbleiben. Normalerweise kann man in Partner- oder Freundschaften drohende Kontroversen latent, also im Hintergrund halten. Man vermeidet sie. Dass er die CDU wählt, sie aber die SPD, wird dann nur alle vier Jahre zu einem konfliktgeladenen Thema. Das hält man aus. Aber Corona ist ein Phänomen, das niemand im Moment latent halten kann. Es ist da, es ist präsent. Man hat ja den Eindruck, in vielen Situation regelrecht daraufhin abgescannt zu werden, ob man Impfgegner ist oder nicht. Und wo dann Keile in Beziehungen gehauen werden, kommt es zu Verwundungen. Für ein strukturelles Phänomen halte ich aber auch dies nicht.

Das Vermeiden der Kontroverse ist die eine Strategie. Eine andere wäre, wieder mehr auf das Verbindende und Gemeinsame zu schauen...

Göbel: Ja, aber das ist erst dann wieder besser möglich, wenn die Relevanz dieses Themas verschwindet. Momentan sind wir noch alle belegt, okkupiert davon. In jeder banalen Alltagssituation müssen wir uns damit auseinandersetzen, bei jedem Gang in die Innenstadt oder in den Supermarkt. Wenn das mal wieder in den Hintergrund gerät und keine Relevanz mehr in unserem täglichen Handeln hat – dann funktionieren auch Versöhnungsstrategien.

Hat diese Pandemie eigentlich irgendetwas "Positives"? Irgendeinen Gewinn?

Göbel: Nein. Tut mir leid, wenn ich das so defätistisch sage. Intensiver zusammenhalten? Das haben wir nicht lernen müssen, das hatten wir nie verlernt. Demokratische Kultur? Auch da haben wir nicht dazugelernt.

Etwas Demut gegenüber Naturkräften vielleicht?

Göbel: Das wäre schön. Ich würde mir wünschen, Ihnen zustimmen zu können. Aber: Ich glaube es nicht.

Der Soziologe und die Gesellschaft

Prof. Andreas Göbel (Jhg. 1961) studierte Philosophie, Neuere Deutsche Literaturwissenschaft und Linguistik an der Ruhr-Universität in Bochum und ist seit 2011 Inhaber des Lehrstuhls für Allgemeine Soziologie an der Uni Würzburg. Als Studiendekan leitete er drei Jahre lang die Fakultät für Humanwissenschaft mit.
Die Soziologie erforscht die Mechanismen menschlichen Zusammenlebens und die Grundlagen sozialen Handelns. Dabei geht die Forschung – anders als die Psychologie – über das Individuum hinaus. Der Soziologe interessiert sich für soziale Strukturen in Gruppen, Organisationen und Netzwerken, in Gesellschaft und Staat. Dabei beschäftigt er sich mit Fragen von Identität und Interaktion, Rollen und Beziehungen, Macht und Herrschaft.
ori
 
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