
Körper und Psyche hängen zusammen – aber wie? Bewegen sich psychisch kranke Menschen anders als Gesunde? Genau diese Frage stellt Professor Sebastian Walther. Der 47-jährige Mediziner ist seit Oktober neuer Direktor der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie am Universitätsklinikum Würzburg. Im Gespräch erklärt Walther, wann motorische Störungen ein Warnzeichen sind, wie seine Forschung psychische Erkrankungen greifbar macht - und warum er Patientinnen und Patienten oft zu mehr Aktivität rät.
Prof. Sebastian Walther: Vereinfacht kann man sich das so vorstellen. Bei manchen Menschen führen psychische Erkrankungen dazu, dass sich die Planung und Steuerung von Bewegungen im Gehirn verändert. Von außen lässt sich das zum Beispiel dadurch erkennen, dass Betroffene langsamer sind, weniger Gesten nutzen, nicht so dynamisch laufen oder sich der Gesichtsausdruck verändert.
Walther: Bei Schizophrenie gibt es Patienten, die kaum Gesten nutzen und deutlich weniger Armbewegungen als andere Menschen ausführen. Messungen zeigen, dass es sogar gut 50 Prozent weniger Bewegungen als bei Gesunden im gleichen Alter und ähnlichen Situationen sind. Ein zweites Beispiel sind Menschen mit Depressionen: Sie bewegen sich insgesamt weit weniger als gesunde Vergleichspersonen. Interessant ist, dass die Bewegungsmenge wieder zunimmt, wenn es den Patienten besser geht.
Walther: Nein. Bei psychosomatischen Erkrankungen wirken sich bestimmte psychische auf körperliche Prozesse aus. Beispielsweise bekommt man Magen- oder Rückenschmerzen, wenn man große Sorgen hat. Die Mechanismen dabei sind wahrscheinlich die gleichen wie bei motorischen Auffälligkeiten – aber die Konsequenzen sind andere.
Walther: Noch nicht so viel. In den letzten 20 Jahren hat sich die Forschung sehr auf die Kognition konzentriert - also darauf, wie Menschen denken. Das kann man allerdings nur schlecht vergleichen, das ist abstrakt. Bewegungen hingegen sind konkret und messbar. Wir können sie mit Sensoren, ähnlich wie Fitness-Uhren, kontinuierlich über einen langen Zeitraum oder mittels Videos für einige Minuten aufzeichnen und untersuchen, wie Auffälligkeiten mit Veränderungen im Gehirn zusammenhängen. So haben wir zum Beispiel gesehen, dass bestimmte Regionen in der Gehirnrinde, die für die Planung von Handlungen und die Organisation von Bewegungen zuständig sind, bei depressiven Personen, die sich sehr wenig bewegen, verändert sind.

Walther: Allein aus dem Bewegungsprofil einer Person kann ich nicht mit Sicherheit sagen, ob die Person krank oder gesund ist. Aber wenn wir Gruppen von Patienten und Kontrollpersonen vergleichen, sieht man eindeutige Unterschiede.
Walther: Richtig. Wir haben auch Patienten mit Depression, die jeden Tag joggen gehen können, weil sich ihre Symptome in anderen Bereichen äußern.
Walther: Viele Menschen denken, dass psychische Erkrankungen kein Substrat haben, nichts, was man im Gehirn sehen kann. Das gilt aber wie gesagt für unsere Forschung nicht: Bewegungen sind gut messbar und auch die Veränderungen im Gehirn lassen sich dokumentieren. Damit macht es die Erkrankungen greifbar.
Walther: Nehmen wir erneut das Beispiel von Menschen, die sich aufgrund einer Depression sehr wenig bewegen und Veränderungen in der Gehirnrinde zeigen: Wir haben bei diesen Patienten versucht, die veränderte Region im Gehirn, die relativ nah unter der Schädeldecke liegt, mit transkranieller Magnetstimulation, also mit Magnetimpulsen, anzuregen oder zu hemmen. So kann man vorübergehend die Hirnaktivität an einer wichtigen Stelle verändern und das führt dazu, dass sich die Personen anders verhalten.
Walther: Das wissen wir noch nicht. Betroffenen geht es insgesamt besser, weil ein wichtiger Teil der Symptomatik weg ist, eben zum Beispiel die Verlangsamung, und sie wieder mehr Aufgaben im Alltag erledigen können.
Walther: Das kommt auf die Erkrankung an. Es gibt Erkrankungen, bei denen Veränderungen der Motorik sehr früh auftreten, teils schon vor anderen Symptomen, zum Beispiel bei Schizophrenie. Hier könnte man sie als Warnsystem nutzen. Bei anderen Erkrankungen, etwa bei schweren Depressionen, sind die Bewegungsauffälligkeiten nur da, wenn die Symptome sehr schwer sind.
Walther: Das lässt sich pauschal nicht sagen. Aber wir raten Menschen, die ein Risiko für Depressionen haben, sich körperlich aktiv zu verhalten und möglichst die allgemeinen Bewegungsempfehlungen von mindestens zwei Stunden Sport pro Woche zu befolgen. Wir wissen, dass das einen gewissen Schutz bietet.
Walther: Das Risiko, wenn man körperlich erkrankt ist, auch psychische Probleme zu bekommen, ist sicher erhöht. Aber es ist keine Eins-zu-Eins-Beziehung, man kann nicht sagen: Weil man ein verletztes Bein hat, erkrankt man nächste Woche an Depressionen. Ich würde aber körperlich eingeschränkten Menschen empfehlen, sich andere Aktivitäten zu suchen, in Gruppen oder kreativ zu werden.