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Kitzingen
Ein Weg aus der Depression: So hat ein 41-jähriger Kitzinger nach langem Leiden einen Neustart geschafft
Nicolas Doster hat nach einem Zusammenbruch sein Leben komplett geändert. Wie ist er Burnout und Depression entkommen? Und was hatte seine Kindheit damit zu tun?
Es geht weiter, er geht weiter: Dreieinhalb Jahre nach seinem Zusammenbruch geht es Nicolas Doster heute gut.
Foto: Diana Fuchs | Es geht weiter, er geht weiter: Dreieinhalb Jahre nach seinem Zusammenbruch geht es Nicolas Doster heute gut.
Diana Fuchs
 |  aktualisiert: 11.09.2023 02:45 Uhr

Nichts ging mehr, gar nichts. Ende Januar 2020 brach er zusammen. Er lag im Bett und schaffte es einfach nicht mehr aufzustehen. "Ich war komplett verloren", beschreibt Nicolas Doster den Tiefpunkt seines Lebens. Heute, dreieinhalb Jahre später, hat der 41-jährige Kitzinger seine Depression im Griff – und möchte Menschen aus ähnlicher Lage heraushelfen.

Offen erzählt der Kitzinger von der Erkrankung, die sein Leben geprägt hat. Viele Jahre lang hatte Nicolas schon depressive Phasen, ohne es zu wissen. Einmal – da war er Ende 20 – , musste der leidenschaftliche Fußballer ein Spiel in Albertshofen, wo er damals wohnte, absagen. "In mir war einfach null Energie." Dass er an einer Depression litt, hätte er damals selbst nie geglaubt. "Ich habe irgendeinen Nährstoffmangel oder sowas vermutet."

"Gefühle konnte ich nie richtig zuordnen"

Bis zur richtigen Diagnose war es ein langer, steiler Weg. Nur ein einziger Mensch – eine Freundin – fühlte ihm in dieser Zeit auf den Zahn.  "Ich hatte, wie so viele Erkrankte, eine Maske aufgesetzt. Wenn jemand gefragt hat, wie es mir geht, habe ich signalisiert: 'Alles okay, lass’ mich in Ruhe, frag’ nicht weiter.'"

Heute blickt Doster reflektiert auf sein Leben. "Als Kind hatte ich nicht die Möglichkeit, mich normal zu entwickeln. Gefühle konnte ich nie richtig zuordnen." Als Nicolas 13 war, erlitt sein Vater einen Herzinfarkt und starb. "Der Boden unter meinen Füßen war plötzlich weg."

Bei den Freunden der coole Sunnyboy, war er innerlich zerrissen

Der Teenager rutschte in der Schule ab, wechselte von der Real- auf die Haupt- und dann in die Wirtschaftsschule. "Ich fand keinen Halt im Leben." Es gab Phasen, in denen er nicht zur Schule ging. Bei Freunden gab er den coolen Sunnyboy. "Ich war innerlich zerrissen. Heute sage ich: Es war toxisches Harmoniestreben in mir."

Nicolas Doster wurde Fachinformatiker. Ab 2006 übernahm er immer mehr Verantwortung in der Firma seines künftigen Schwiegervaters. "Ich habe mich da reingearbeitet, die Software geschrieben und war stolz auf die Verantwortung, die man mir übertragen hat." Doch 2012 starb der Schwiegervater – ein Jahr, nachdem dessen Enkelin, Nicolas’ Tochter, geboren worden war. "Wieder ein Trauma."

"Manchmal bin ich gespielt beschwingt ins Büro gelaufen, habe die Mitarbeiter freudig begrüßt - doch kaum war die Tür hinter mir zu, habe ich mich auf den Stuhl gesetzt und geweint."
Nikolas Doster

So, wie er es beim Schwiegervater gesehen hatte, führte Nicolas die Firma weiter: "Ich habe von früh bis spät gearbeitet." Die Abstände zwischen seinen Erschöpfungszuständen wurden kürzer. "Erst hat es Jahre bis zum nächsten Ausfall gedauert, dann Monate, dann nur noch Wochen. Und am Ende bloß ein paar Tage. Gleichzeitig wurden die Phasen totaler Ermattung länger."

Als Unternehmer immer wieder auszufallen, ist ein Problem. "Ich habe mich geschämt und angefangen, meinen Zustand zu verstecken. 2018 und 2019 bin ich manchmal gespielt beschwingt ins Büro gelaufen, habe die Mitarbeiter freudig begrüßt – doch kaum war die Tür hinter mir zu, habe ich mich auf den Stuhl gesetzt und geweint. Ich fühlte mich schwer wie Blei, konnte mich auf nichts konzentrieren."

Blickt wieder zuversichtlich in die Zukunft: Nicolas Doster hat seine Krankheit in den Griff bekommen. 
Foto: Diana Fuchs | Blickt wieder zuversichtlich in die Zukunft: Nicolas Doster hat seine Krankheit in den Griff bekommen. 

Nicolas Doster ging zum Hausarzt. Der riet ihm, mehr Sport zu treiben. "Ich hab’ alles Mögliche ausprobiert, aber mein Zustand hat sich immer nur verschlimmert." Migräne, Allergien, Entzündungen, Infekte kamen obendrauf. Anfang 2020 kam der totale Zusammenbruch. Ambulante Therapieversuche schlugen fehl. Ein Psychiater verschrieb Medikamente, "doch die schlugen nicht an". Da wurde Nicolas klar: "Jetzt hilft nur noch ein stationärer Aufenthalt." In der Klinik lernte er: "Man darf authentisch sein!"

Geheilt ist er nicht, hat aber die Symptome im Griff

Er beschloss, die Wurzeln seiner Krankheit freizulegen. "Dafür musste ich mich zum Beispiel intensiv mit meiner Vergangenheit befassen. Am Ende habe ich die Zusammenhänge erkannt und mir selbst, aber auch den Menschen, die mich geprägt haben, vergeben." Er machte die Erfahrung: "Sobald man seine Schutzmasken ablegt, wird das Leben leichter."

Endlich hatte Nicolas Dosters Krankheit einen Namen: Posttraumatische Belastungsstörung und Dysthymie, eine chronische und hochfunktionale depressive Verstimmung, bei der man sich anhaltend traurig-bedrückt fühlt und keine Freude, keinen Elan spürt. "Ich bin davon nicht geheilt, die Symptome kommen immer wieder durch. Aber ich kann heute sofort darauf reagieren und habe die Krankheit im Griff."

Depressionen, sagt Nicolas Doster, "sind etwas Multifaktorielles, nicht einfach nur Stress". Zwar gebe es eine genetische Veranlagung dafür, aber der 41-Jährige glaubt auch, dass Kinder, die einen Erkrankten in der Familie haben, dessen Denk- und Verhaltensmuster automatisch adaptieren. "Sie lernen zum Beispiel: Stress zu haben, ist gut." Der größte Risikofaktor ist für ihn jedoch: "nicht man selbst zu sein – und vielleicht gar nicht zu wissen, wer man tief drin genau ist."

Er ändert sein Leben auf mehreren Ebenen

Obwohl zum Beispiel die Deutsche Depressionshilfe Betroffenen rät, in der Erkrankung keine weitreichenden Entscheidungen zu treffen, weil man während der akuten Phase alles durch eine schwarze Brille sieht, sagt Doster: "Ich musste mein Leben auf mehreren Ebenen radikal ändern." Der Wandel bedeutete auch das Ende seiner Ehe. "Und zum 1. Januar 2024 gebe ich alle Verantwortlichkeiten in der Firma ab. Mein Coaching-Business ist mein beruflicher Neustart."

Nicolas Doster möchte seine Erfahrungen mit Depression und Burnout weitergeben und Menschen Mut machen. Er sieht sich dabei nicht als Ersatz für einen Therapeuten, sondern als Vernetzer, "der eine Lücke füllt" zwischen Ärzten, Krankenkassen und Therapeuten. "Eigenständig therapieren darf man als Coach nicht, dessen bin ich mir bewusst."

Der Kitzinger bedauert, dass es für den Titel "Coach" keine unabhängige, einheitliche Prüfung gibt, sondern dass sich im Prinzip jeder so nennen kann. Er selbst hat drei Zertifizierungen durchlaufen: ein Jahr lang ließ er sich zum Live- und Transformations-Coach ausbilden, zudem hat er je eine praktische und theoretische Prüfung als Business-Coach und Seminarleiter absolviert. 

Doster möchte Betroffenen helfen, "sich selbst besser kennenzulernen und das Zusammenspiel zwischen Körper und Geist zu verstehen". Groß angelegte Wirksamkeitsstudien – das muss betont werden – gibt es dafür nicht. Nicolas Doster baut auf die Erfahrung, die er gemacht hat: "Jeder muss seinen eigenen Weg zur Heilung finden. Nichts ändert sich, bis man sich selbst ändert – dann ändert sich alles."

Selbsthilfegruppe gründen

Alle Betroffenen und Angehörigen lädt Nicolas Doster am Mittwoch, 13. September, ab 18.30 Uhr in der Buchbrunner Straße 7b, 97318 Kitzingen, zu einem Infoabend über Depression und Burnout und zur Gründung einer Selbsthilfegruppe ein. Wer sich über Doster informieren möchte: Es gibt einen Podcast „Lasst uns über Depressionen sprechen“, der über die Homepage www.nicolasdoster.de verlinkt ist. Auf der Homepage kann man sich auch zum Infoabend anmelden. 
Quelle: ldk

Hinweis: Aus datenschutzrechtlichen Gründen wurde der Artikel in einer Passage verändert.

 
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