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Würzburg
Krieg, Corona, Klimawandel: Was machen schlechte Nachrichten mit uns und wie meistern wir Krisen, Prof. Deckert?
"Nur in der Katastrophe zu leben, macht krank", warnt Jürgen Deckert. Im Interview erklärt der Würzburger Psychiater, wie man am besten mit Negativschlagzeilen umgeht.
Krisenhafte Ereignisse haben sich in den vergangenen Jahren summiert. Wie das stresst und was man selbst tun kann, sagt Prof. Jürgen Deckert, Direktor der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie der Universität Würzburg.
Foto: Thomas Obermeier | Krisenhafte Ereignisse haben sich in den vergangenen Jahren summiert. Wie das stresst und was man selbst tun kann, sagt Prof.
Susanne Schmitt
 |  aktualisiert: 15.07.2024 13:45 Uhr

Erst die Corona-Pandemie, dann die Kriege in der Ukraine und in Gaza. Dazu Inflation, Wirtschaftskrise und der Klimawandel. Krisen und negative Ereignisse beherrschen die Nachrichten, rund um die Uhr werden wir mit Schreckensmeldungen konfrontiert. "Das verursacht Stress", sagt Prof. Jürgen Deckert, Leiter der Klinik für Psychiatrie am Uniklinikum Würzburg. Wichtig sei es, den richtigen Umgang damit zu lernen – und den Fokus gezielt auf Positives zu richten. Im Interview spricht Deckert über ein kollektiv verlorenes Sicherheitsgefühl, die Illusion absoluter Kontrolle - und nennt den klugen Rat eines Kalenderspruchs.

Frage: Herr Prof. Deckert, manchmal hat man das Gefühl, eine Schreckensnachricht jagt die nächste. Was macht das mit uns und unserer Psyche?

Prof. Jürgen Deckert: Kurz gesagt: Das verursacht Stress. Wir alle kennen Stress im Alltag, durch berufliche Überlastung, familiäre Konflikte oder einschneidende Lebensereignisse. Stress kann aber auch durch Ereignisse ausgelöst werden, die den Einzelnen nicht unmittelbar betreffen, die aber das persönliche Sicherheitsgefühl reduzieren.

Können Sie das konkret an einem Beispiel erklären?

Deckert: Nehmen wir den Klimawandel: Hier gibt es wissenschaftliche Untersuchungen, dass Extremwetterereignisse und Naturkatastrophen direkt mit einer Erhöhung von Depressionen und Angsterkrankungen zusammenhängen. Solche Ereignisse empfinden wir als Stress und sie können, wenn sie als sehr dramatisch erlebt werden, sogar posttraumatische Belastungsstörungen hervorrufen. Am besten mit Daten belegt ist der Zusammenhang zwischen steigenden Temperaturen und einer Zunahme an Suizidversuchen.

Bei manchen Menschen kann die stetige Berichterstattung über globale Krisen also dazu führen, dass sie quasi ständig im Angst-Modus leben?

Deckert: Es gibt Patienten, die das so beschreiben. Dieses Gefühl tritt vor allem in akuten Krisen auf, wie etwa zu Beginn der Corona-Pandemie oder des Ukrainekriegs. Manche Menschen sitzen dann wie gebannt vor dem Fernseher und es ist für sie so, als würden sie das Gezeigte selbst erleben. Die Ereignisse im Fernsehen werden Teil der eigenen Realität. Sie können sich nicht distanzieren.

Trifft das seit der Pandemie mehr Menschen?

Deckert: Vor allem zu Beginn der Pandemie haben die Nachrichten und Bilder aus Bergamo sicher bei vielen Menschen ein Bedrohungserleben ins Wohnzimmer gebracht. Durch die Medien und Social Media mussten wir uns ständig mit der Krise auseinandersetzen, sie war überall. Das war eine Belastung. Darüber hinaus haben die Pandemie-Maßnahmen eine große Rolle gespielt, die soziale Isolation hat zu Überlastungen geführt und das wirkt bis heute nach. Angst und Depressionen haben seitdem zugenommen.

Aber warum? Krisen gab es doch früher auch …

Deckert: Die Pandemie und auch der Krieg waren vor allem für jüngere Menschen Dinge, die sie bisher nicht so erlebt hatten. Sie wurden oft zum ersten Mal mit solchen Erfahrungen konfrontiert. Und in den vergangenen Jahren haben sich solche krisenhaften Ereignisse summiert. Meine Generation ist in dem Wissen aufgewachsen, dass russische Panzer an der Grenze im Osten stehen. Krieg war ein Szenario, mit dem man sich gedanklich auseinandergesetzt hat und es gab noch die Wehrpflicht. Heute betrifft das die meisten Menschen in der Realität nicht mehr, sie wurden davon überrascht, dass die Russen Krieg in der Ukraine führen und wie sie Krieg führen. Jüngere kannten das bisher nicht. Krieg war immer weit weg, nicht in Europa. Jetzt ist all das Teil unserer Realität und das ist ein Stressfaktor. Das Sicherheitsgefühl ist weg.

Angsterkrankungen und Depressionen haben durch die Corona-Pandemie zugenommen (Symbolbild).
Foto: Fabian Sommer, dpa | Angsterkrankungen und Depressionen haben durch die Corona-Pandemie zugenommen (Symbolbild).
Und warum empfindet der eine Katastrophenmeldungen als Bedrohung und der andere nicht?

Deckert: Da spielen verschiedene Faktoren eine Rolle, wie eben die Zeit, in der man aufwächst, aber auch die Sozialisation und die individuelle Biografie. Wenn Menschen im Leben die Erfahrung machen, dass sie für Probleme meist eine Lösung finden, dann gehen sie mit diesem Selbstbewusstsein in Krisen. Ihre Herangehensweise ist also positiv, sie denken, das wird schon funktionieren. Umgekehrt gibt es Menschen, die die Erfahrung gemacht haben, dass sie eine Situation nicht im Griff hatten. Wenn diese Personen in eine Krise oder Schwierigkeiten geraten und dazu noch etwas Schlimmes oder Unvorhergesehenes eintritt, dann bricht für sie alles zusammen. Solche Menschen können mit Krisen schlechter umgehen.

"Es gibt Krisen, die jeden aus der Bahn werfen."
Prof. Jürgen Deckert, Direktor der Psychiatrie an der Uniklinik Würzburg
Weil ihnen die vielbeschriebene Resilienz fehlt?

Deckert: Resilienz meint nichts anderes als Selbstwirksamkeitserleben. Es gibt Menschen, die mehr Ressourcen haben, etwa, weil ihre Eltern und ihr Umfeld sie gut auf Krisen vorbereitet haben. Aber man muss ehrlich sagen: Es gibt Krisen, die jeden aus der Bahn werfen. Auch Resilienz schützt nicht vor extremen Traumata.

Müssen wir in Deutschland also generell lernen, besser mit Krisen umzugehen?

Deckert: Aus meiner Sicht geht es in Zukunft genau darum. Das ist eine Aufgabe, die beginnt im Elternhaus und in der Schule: Man muss Kindern altersgerecht Kompetenzen vermittelt, wie sie mit Konflikten, unerwarteten Situationen, mit Negativem und mit Krisen umgehen. Man muss ihre Selbstwirksamkeit fördern.

Bildung kann helfen, Resilienz aufzubauen, sagt Prof. Jürgen Deckert: 'Es ist sinnvoll, sich zu informieren, mit dem Ziel, Wissen zu erwerben, was man tun kann.'
Foto: Thomas Obermeier | Bildung kann helfen, Resilienz aufzubauen, sagt Prof. Jürgen Deckert: "Es ist sinnvoll, sich zu informieren, mit dem Ziel, Wissen zu erwerben, was man tun kann."
Und wie?

Deckert: Erziehung und Bildung können Resilienz aufbauen. Und es ist wichtig, dass man sich bewusst macht, dass Krisen und Bedrohungen, dass Tod und Krankheit zum Leben dazugehören. Vor allem aber muss man den Anspruch aufgeben, alles kontrollieren zu können. Manche Menschen versuchen das, aber das ist eine Illusion. Es muss dann gar nichts Schlimmes passieren, um diese Illusion einstürzen zu lassen. Allein schon der Versuch ständiger Kontrolle verursacht Stress.

Sie sagen, Bildung fördert Resilienz. Ist es also sinnvoll, sich gut zu informieren, etwa über den Klimawandel oder den Krieg? Oder sind zu viele negative Nachrichten erdrückend?

Deckert: Es kommt auf das richtige Maß und die Herangehensweise an. Niemand muss 24 Stunden die Nachrichten zum Ukrainekrieg verfolgen. Um informiert zu sein, reicht es, ein oder zweimal am Tag Nachrichten zu sehen. Denn es gibt auch abseits der Medien eine Realität, einen Beruf, eine Familie, Hobbys und all diese Dinge lebt man trotz Krisen. Darüber hinaus kann man beeinflussen, wie man an Nachrichten herangeht.

"Muss man den Anspruch aufgeben, alles kontrollieren zu können."
Prof. Jürgen Deckert über die innere Haltung und Resilienz
Was meinen Sie damit?

Deckert: Es gibt einen Kalenderspruch, der ungefähr lautet: Herr, gib mir die Weisheit zwischen dem zu unterscheiden, was ich ändern kann, und dem, was ich nicht ändern kann. Gib mir dann die Kraft, das auszuhalten, was ich nicht ändern kann – und Ideen, wie ich das ändern kann, das ich ändern kann. Genau das ist es. Es ist sinnvoll, sich zu informieren, mit dem Ziel, Wissen zu erwerben, was man tun kann – und nicht mit dem Ziel sich zu vergegenwärtigen, was kann schlimmstenfalls passieren. Anders gesagt: Ziel sollte es sein, ins Handeln zu kommen und aktiv zu werden und nicht zum Opfer.

Und wenn man nichts tun kann, weil man eben gegen Putin nichts ausrichten kann?

Deckert: Erstmal würde ich diese Aussage so nicht akzeptieren. Wir Europäer tun ja schon etwas. Und darüber hinaus braucht man ein Stück Gelassenheit, die Kraft, Unabänderliches auszuhalten und ins Leben zu integrieren. Wir haben Patienten, die in der Angst leben, krank zu werden und zu sterben. Jeden Tag. Und nichts anderes sehen. Aber das bringt nichts. Nicht alles liegt in unserer Hand. Das ist Teil der menschlichen Lebensbedingungen. In der Therapie ist es ein Ansatz, sich eigene Stärken und Fähigkeiten bewusst zu machen und das zu unterstützen. Und den Fokus gezielt auf Positives im Leben zu richten. Nur in der Katastrophe zu leben, macht krank.

Ist es wichtig, dass wir alle das in Zukunft lernen? Sprich, dass wir eine Art Unterricht im Umgang mit Krisen und Katastrophen bekommen?

Deckert: Es ist wichtig, dass man vorbereitet ist. An der Uni hatten wir im Sommersemester innerhalb der Vorlesung Psychiatrie zum ersten Mal einen Schwerpunkt zu globaler psychischer Gesundheit. So sollen künftige Psychologen und Psychiater das Handwerkszeug bekommen, um Menschen im Umgang mit globalen Krisen wie Krieg und Klimawandel zu unterstützen. In Israel weiß jedes Kind, wie es sich bei einem Bombenangriff verhält. Uns fehlt häufig das Wissen, was wir im Katastrophenfall zu tun haben. Aber genau dieses Wissen reduziert die Angst. Und das brauchen wir.

 
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Kommentare
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  • Daniela Mahler
    Wenn man die letzten Jahre Revue passieren lässt, zeigt es doch relativ klar, was das mit vielen Menschen gemacht hat. Die Urängste wurden bei vielen angetriggert, man musste sich erstmals in seinem Leben mit Krankheit, Tod, Vernichtung (Corona, Krieg) auseinandersetzen. Bei einigen ist da ein früh erlernter Überlebensmodus aktiviert worden, der sein (Seelen)Heil bei vermeintlich Überverantwortlichen sucht. Und bei manchen gingen diese nicht endend werdende Ängste um Leib und Leben soweit, dass sie sich eine Errettung eines großen Retters ersehnten. Der kindliche Schrei nach der Mama, wenn man das so flapsig ausdrücken möchte. Wir Menschen müssen wohl noch lernen, ein gewisses Maß Eigenverantwortung zu übernehmen, uns gesund abgrenzen von Dingen, die wir nicht ändern können und vor allem wieder Vertrauen in uns selbst finden um mit unseren tief schlummernden Ängsten zurecht zu kommen.
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  • Martin Deeg
    Der Mann widerspricht sich selbst und entlarvt dabei die Mängel des eigenen Systems.

    Man soll zwar nicht „ständig“ in der „Katastrophe“ leben, weil das krank macht: ein völlig sinnloser Satz für jemanden, der mittendrin ist und eine Krise tatsächlich erlebt.

    Gleichzeitig soll man „Wissen“ anhäufen, um im „Katastrophenfall“ gewappnet zu sein und Angst zu „reduzieren“.

    Das mag bei „Bombenangriffen“ funktionieren, bei den allgegenwärtigen gesellschaftlichen Problemen hierzulande - Einsamkeit, soziale Isolation, Armut, Ausgrenzung - funktioniert das nicht.

    Hinzu kommt, dass es Teile der Politik zur ihrer Existenzgrundlage gemacht haben, Panik zu schüren, mit Ängsten „Politik“ zu machen, Menschen bei jeder Gelegenheit zu manipulieren und „Feindbilder“ zu präsentieren, die vermeintlich die „Schuld“ tragen….
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  • Jochen Freihold
    Herr Deeg hat seinerseits nicht verstanden, dqass es Professor Deckert um Resilienz, um vorbeugende Krisenbewältigung in deren zeitlichem und psychosozialem Vorfeld geht. Das ist doch das eigentliche Problem vieler Menschen, dass sie innerlich nicht vorbereitet sind auf Schicksalsschläge jeglicher Art. Daran sollten alle, jeder für sich, arbeiten. Nicht wenn e s zu spät oder nicht individuell zu bewältigen ist. So vielmehr lautet die Botschaft.

    Nicht zu vergessen, die starke Kraft, die uns christlicher Glaube zu spenden imstande ist. Das ist nicht Sache der Politik, vielmehr starker Persönlichkeiten mit Vorbildcharakter. Meistens auch positiv vermittelt über die Medien.
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  • Martin Deeg
    Ach? Dann wissen Sie sicher auch, dass Resilienz vor allem dadurch entsteht, indem Menschen frühzeitig sichere Bindungen erfahren, worauf sie aufbauen können und Selbstwirksamkeit erfahren. Sowas hat man oder nicht - natürlich kann man auch später "korrigieren", die einmal versäumte "Vorbereitung" in den prägenden Jahren lässt sich jedoch nicht nachholen.

    Religion mag im Einzelfall hilfreich sein, regelhaft jedoch dient sie zur Verdrängung und Verantwortungsabwehr. Religion basiert auf "Unterwerfung" und ist im Prinzip nur eine der Spielarten der Sehnsucht nach dem "Retter", dem starken Führer und einem, der sagt wo´s langgeht....
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  • Martin Deeg
    ....Sie sprechen von "Schicksalsschlägen" - oftmals geht es aber nicht um unabwendbares - wie das Wort impliziert - "Schicksal" oder "höhere Gewalt" sondern schlichtweg um menschengemachtes, sinnloses Unheil, das keinesfalls "schicksalhaft" ist.
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