„Welten trennen das alte Würzburg vom heutigen. Das alte Würzburg war ein Gesamtkunstwerk. Es war eine Einheit, einfach nur schön.“ Die das sagt, stand als junge Frau am Käppele, blickte auf die Stadt am Main „und mein Herz war glücklich.“
Heute ist Hilde Müller-Tamm 90 Jahre alt und sie spricht diese ersten Worte wie eine Überschrift in einem Film, der Würzburg in einer bisher nicht gekannten Weise zeigt.
Die erste von drei DVDs führt die Zuschauer in die Jahre 1929 bis 1956. Erst vor wenigen Wochen erschienen, wurde bereits eine zweite Auflage produziert. Die Resonanz ist überwältigend. Nicht nur ältere Menschen bedanken sich, dass mit der Kombination aus historischen Filmaufnahmen und Erzählungen von Zeitzeugen der Lebensalltag im 20. Jahrhundert festgehalten wurde – ein Alltag voll kindlicher Unbekümmertheit, dem Trauma der Kriegszerstörung und dem Wiederaufbau in den 50er Jahren.
Würzburg: Rekord bei eingereichtem Filmmaterial und Zeitzeugen
Der Film ist eine Koproduktion der Mediengruppe Main-Post und der Filmfirma „art & weise“. Fast 50 Leserinnen und Leser waren einem Main-Post-Aufruf zu Jahresbeginn gefolgt und hatten aus Privatbesitz über 160 alte Filmspulen, Videokassetten und DVDs zur Verfügung gestellt. Mit ihren Würzburg-Aufnahmen – ergänzt um Material aus Archiven der Stadt, Diözese und des Bayerischen Rundfunks – ist ein einzigartiges Stadtporträt entstanden.
Gemeinsam mit Zeitungsverlagen hat „art & weise“ für 15 deutsche Städte solche DVDs produziert. Nirgends wurde so viel altes und spannendes Filmmaterial eingereicht wie in Würzburg. Mögliche Erklärung für Produzent Bernd Nebeling: „Die Menschen hier scheinen sich stark mit ihrer Stadt zu identifizieren.
Gerade bei den Älteren dürfte dies auch an der bewegten Geschichte mit Zerstörung und Wiederaufbau liegen.“ Weit über 40 Stunden Rohmaterial hat Nebeling für die Würzburg-DVD gesichtet, über zehn Stunden davon wurden digitalisiert.
Zeitzeugen-Erzählungen sind sehr persönlich und berührend
Ebenfalls Rekord: 42 Zeitzeugen berichten vor der Kamera über das Erlebte. Sie tun es persönlich, eindringlich, detailreich – auch dort, wo es weh tut, etwa bei den Schilderungen der Bombennacht des 16. März 1945.
Zuvor aber zeigt der Film das alte, unzerstörte und unbeschwerte Würzburg mit Aufnahmen von der Alten Mainbrücke, der Festung, der Domstraße, dem Alten Kranen. Kleine Mädchen bringen mit Leiterwägelchen die Wäsche zum Waschschiff am Main. Flussaufwärts wird Sand verkauft, Pferdegespanne transportieren ihn. Turner kullern mit Rhönrädern durch die Domstraße. Lydia Weiß (92) erinnert sich an die Juliuspromenade, wo sie aufgewachsen ist: „Für uns Kinder war das paradiesisch schön.
“ Fast südländisches Flair soll Würzburg gehabt haben, „und es war eine elegante Stadt“, erzählt Ilse Schiborr, erste Würzburger Schönheitskönigin nach dem Krieg.
Zu dieser Stadt gehörten aber auch die Hakenkreuzfahnen am Rathaus, „Jungmädel“ im Gleichschritt und mit Hitlergruß, die Deportation von Würzburger Juden in die Vernichtungslager. Auch darauf geht der Film ein und Historiker Roland Flade gibt darin zu bedenken: „Die Filmaufnahmen können auch täuschen. Sie wirken teilweise romantisch, in Wirklichkeit aber herrschte der Horror.“
Einmarsch der Amerikaner in Gemeinden außerhalb Würzburgs erlebt
Dann der alliierte Bombenangriff vom 16. März 1945 mit über 4000 Toten. Zeitzeugen aus dem Film haben ihn mittendrin erlebt – und teilweise nur knapp überlebt. Es sind Berichte, die auch heute noch unter die Haut gehen. Luftaufnahmen zeigen das Ausmaß der Zerstörung, Flug über eine Ruinenstadt. Wer konnte, war in der Brandnacht geflohen.
Den Einmarsch der Amerikaner haben die meisten Zeitzeugen außerhalb Würzburgs erlebt. Und so nimmt der Film auch Episoden aus unterfränkischen Gemeinden wie Geroldshausen, Giebelstadt, Hammelburg oder Köhler auf, wo Ado Schlier (82) den US-Soldaten begegnete: „Das waren keine Menschenfresser, sondern nette Leute. Es kamen keine Feinde, sondern Befreier.“
Die Nachkriegszeit und die Suche nach Normalität: Der Film zeigt die Bischofsweihe von Julius Döpfner 1948, die Rückführung der Kiliansreliquien aus Gerolzhofen 1949 und natürlich: Tatkräftige Frauen und Männer, die den Schutt aus der Stadt räumen – und Würzburg wiederaufbauten.
Infos DVD „Würzburg, die Jahre 1929 - 1956“:
„Bewegende Geschichte in bewegten Bildern“ – so lautet der Untertitel zu dem Film „Würzburg, die Jahre 1929 - 1956“, der kürzlich als DVD erschienen
ist. Die erste Auflage war in nur drei Wochen vergriffen. Mittlerweile gibt es die DVD in der zweiten Auflage zum Preis von 19,95 Euro in allen Geschäftsstellen der Main-Post (in Würzburg in der Plattnerstraße, Montag bis Freitag 9 bis 17 Uhr, Samstag 10 bis 14 Uhr) sowie übers Internet: http://shop.mainpost.de
Der Film hat eine Länge von 93 Minuten, auf der DVD ergänzt um einige Extra-Erzählungen von Zeitzeugen, einem „Making Of“-Kurzfilm zur Entstehung der Produktion und dem Trailer für den zweiten Teil (Jahre 1956 - 1970), der im Februar 2018 erscheinen soll. Die dritte DVD (1970 - 1990) ist für den Sommer geplant und endet – passend zur Landesgartenschau (LGS) 2018 – mit der ersten Würzburger LGS am Festungsberg im Jahr 1990. aj
Gabriele rottmann-heidenreich
....zumindest Eines der von Ihnen als "zu wenig" kritisierten Auswahlkriterien hat m.M.n. eine ganz einfache Erklärung - Zitat: "...weshalb so wenig "kleine" Leute zu Wort kommen...": Damals hatten wohl nur die besser Situierten eine Filmkamera um die Lebensumstände in ihrem Umfeld in bewegten Bildern festzuhalten.
Für diese Dokumentation wurden ausschließlich Aufnahmen von Privatpersonen gesucht und nicht von Historikern oder Geschichtsforschern.
Für die Erlebnisse des "kleinen Mannes" in diesen Zeiten gibt es genug andere Bücher und Publikationen, nur eben ohne eigenes Filmmaterial dieser Menschen.
So ein Zusammenschnitt privater Filmaufnahmen kann auch deshalb schon nicht objektiv sein.
Aber ist nicht auch die subjektive Wahrnehmung und Erfahrung der Zeitzeugen berichtenswert (zumal im Vorwort und beim Aufruf zur Suche nach solchen Filmdokumenten direkt auf diesen Sachverhalt hingewiesen wird).
MfG
...Ich habe mir jedenfalls diese DVD in der Plattnerstr. geholt und bin berührt von diesem Dokument der Zeitgeschichte!
Als Nachkriegsjahrgang kann ich zwar über die Zerstörung Würzburg nichts selbst erlebtes berichten, aber gerade an die "Wiederaufbauphase" der Stadt in den 50er und 60er Jahren habe ich noch sehr starke Erinnerungen. So kenne ich z.B. die Kaiserstraße noch mit zum größten Teil Ruinen oder "Erdgeschoßhäusern".
Das die Zeitzeugen z.T. in einer - für jetzige Verhältnisse - ziemlich unverständlichen Ehrfurcht vom guten und schönen alten Würzburg sprechen liegt sicherlich am Lebensalter. Negative Dinge werden möglichst verdrängt und wo das nicht geht wird die Zeit vor dem Negativereignis besonders verklärt.
Ich werde mir jedenfalls auch die Folge-DVDs nach Erscheinen zulegen.
Bleiben Sie gesund
MfG