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WÜRZBURG
Würzburger Geschichten: Film ab!
Noch etwas Puder, bevor die Kamera läuft: Hilde Müller-Tamm (90) wird von Mitarbeiter Matthias Kirchhoff für die Zeitzeugen-Aufnahme vorbereitet.
Foto: Thomas Obermeier | Noch etwas Puder, bevor die Kamera läuft: Hilde Müller-Tamm (90) wird von Mitarbeiter Matthias Kirchhoff für die Zeitzeugen-Aufnahme vorbereitet.
Andreas Jungbauer
 |  aktualisiert: 07.04.2020 11:23 Uhr

Kiliani geht an diesem Wochenende in seinen Endspurt. Wenn der frisch gebackene Rentner Horst Wirthmann (63) über den Platz schlendert oder darüber spricht, dann tut er es mit viel Nostalgie: Die rasanten, technisch hochgerüsteten Fahrgeschäfte von heute sind so gar nicht mehr vergleichbar mit dem Volksfest Anfang der 70er Jahre.

Ein Schreckensmoment auf Kiliani

Noch während der Schulzeit an den Nachmittagen, während seiner Schriftsetzerlehre dann am Feierabend verdiente er sich als Jugendlicher auf Kiliani ein paar Euro dazu – als Helfer beim Wallbach-Kinderkarussell, damals das größte transportable Karussell Deutschlands. Wirthmann hat schöne Erinnerungen an diese Zeit, aber auch an einen Schreckensmoment.

Erzählt hat er ihn dieser Tage vor der Kamera. Er war einer von 40 Zeitzeugen, die für das große Würzburg-Film-Projekt der Main-Postüber ihre Erlebnisse und Erinnerungen aus dem 20. Jahrhundert berichtet haben.

40 Zeitzeugen in drei Tagen aufgenommen

Drei Tage lang war das dreiköpfige Team der Marburger Filmfirma „art & weise“ für die Aufnahmen nach Würzburg gekommen. Mit dem Gartenpavillon des Juliusspitals erhielt man ein herrliches, repräsentatives Ambiente, um die Geschichte und Geschichten festzuhalten.

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Im 20- bis 60-Minuten-Takt gaben sich die eingeladenen Zeitzeugen die Klinke in die Hand. Erst im Vorraum etwas Smalltalk zum Aufwärmen, dann noch etwas das Gesicht gepudert – und wenn das „Studio“ frei wird, „der Nächste bitte...“. Das Licht wird eingerichtet, die Kamera justiert, das Mikro zurecht gedreht, Akku geprüft, dann ein kurzer Tontest inklusive Lockerungsübung, damit sich die Aufregung legt: „Was haben Sie denn heute gefrühstückt?“

Jede Menge Erinnerungen an das 20.Jahrhundert

Wichtig ist die Antwort darauf nicht – was zählt, sind die dann folgenden Erzählungen über das alte, unzerstörte Würzburg. Über den Bombenangriff vom 16. März 1945. Über den entbehrungsreichen Alltag in den Nachkriegsjahren. Über eine Bischofsweihe in der Ruinenstadt. Über den Wochenmarkt und den Weinbau, über das Zweitliga-Stadtderby 1977/78 und Würzburgs erste Landesgartenschau 1990. Über den Fasching in Würzburg und natürlich – über Kiliani.

Es muss Anfang der 70er Jahre gewesen sein, als Horst Wirthmann als junger Helfer am Kinderkarussell plötzlich Rauch aus der Geisterbahn aufsteigen sieht. Wie sich später herausstellt, hatte jemand aus der Riesenrad-Gondel eine Zigarettenkippe auf das benachbarte Dach der Geisterbahn geworfen. Rasch brannte es, Feuerwehr und Sanitäter rückten an.

„Man kann von Glück reden, dass keine Leute verletzt wurden“, erinnert sich der in Rimpar lebende Rentner, der nebenbei noch eine Mobildisco betreibt. Er ist selbst ganz fasziniert, als er auf einem Laptop alte Amateur-Aufnahmen von dem Geisterbahnbrand sieht.

Über 150 Filmspulen für die Würzburg-DVD

Ein anderer Main-Post-Leser hatte die Filmspule für die Würzburg-DVD eingereicht. Es war eine von über 150 Spulen, Kassetten und DVDs, die nach einem Aufruf der Main-Post für die Produktion dieses einzigartigen historischen Würzburg-Porträts abgegeben wurden.

In Kooperation mit regionalen Zeitungsverlagen hat „art & weise“ schon für 15 andere deutschen Städte insgesamt 27 solcher DVDs produziert. Aber noch nirgends wurde so viel altes und spannendes Filmmaterial gesammelt und zur Verfügung gestellt wie in Würzburg.

Leser haben sich sehr aktiv beteiligt

Eine Erklärung: „Die Menschen hier scheinen sich sehr stark mit ihrer Stadt zu identifizieren. Gerade bei den Älteren dürfte dies auch an der bewegten Geschichte mit Zerstörung und Wiederaufbau liegen“, ist Bernd Nebeling, Geschäftsführer von „art & weise“überzeugt. Ferner sei das große Echo bei den Lesern auch ein Indiz für die gute Verankerung und das große Vertrauen, das die Main-Post als Medienhaus in der Bevölkerung genieße.

In den drei Tagen Fließband-Arbeit wurden laut Nebeling als Rohmaterial an die 15 Stunden Zeitzeugenberichte zu den verschiedensten Würzburg-Themen aufgenommen. Nun machen sich die Filmleute an das Sortieren, Auswählen, Schneiden, so dass am Ende ein Konzentrat von etwa 140 Minuten an Interviews für die DVD übrig bleibt.

Angesichts der Fülle von Filmmaterial und Zeitzeugen in Würzburg werden auf jeden Fall zwei DVDs mit Längen von jeweils 90 bis 120 Minuten produziert. Ob sie einzeln oder als Doppel-DVD auf den Markt kommen, steht noch nicht fest.

Zeitzeugin schwärmt vom alten Würzburg

Eine, die dann gewiss als Zeitzeugin in dem Film zu erleben ist, ist Hilde Müller-Tamm. Auch sie hatte sich auf den Aufruf der Main-Post hin gemeldet – und die 90-jährige Dame ist ein sprudelnder Quell des alten Würzburg, erzählt in einer bemerkenswerten Klarheit und Intensität, gespickt mit vielen Details.

Und ab und zu muss sie auch ein Tränchen unterdrücken, wird ihre Stimme leise und nachdenklich – dann, wenn sie in wohlgewählten Worten von der malerischen Schönheit des alten, untergegangenen Würzburg schwärmt.

„Es war ein Gesamtkunstwerk“, sagt die Seniorin und erinnert sich noch an den Sommer 1944, als sie von der Festung aus auf die Perle am Main hinunterschaute und sie eine „unerklärliche Wehmut“ erfasste – als hätte man eine Vorahnung der kommenden Zerstörung gehabt. Aber ihr ist auch bewusst, dass der Verlust auch zu einer Verklärung des alten Würzburg geführt hat.

Erinnerungen und Emotionen

Sie erinnert sich – verfolgt vom „Würzburger Hof“ aus – an einen Besuch Hitlers („Er soll enttäuscht gewesen sein, weil die Leute nicht genug gejubelt haben“) und an den ersten Amerikaner, den sie beim Einzug in die Stadt 1945 sah: „Dieses markante Gesicht... Es war ein irrsinniges Glück, es war der Himmel auf Erden.“

Emotionen, das eigene Erleben in der Stadt – das macht dieses Filmprojekt zu einem besonderen Werk. Und Produzent Bernd Nebeling ist mehr als zufrieden mit den Würzburgern. Sie erzählen freimütig, sehr persönlich, manche sind kaum einzubremsen.

Wie sich das Leben nach dem Krieg veränderte

Auch das lokale Wirtschaftsleben spielt eine Rolle in dem Film. Die Produktion in der Würzburger Hofbräu zum Beispiel. Bierbrauer Berthold Franz plaudert zusammen mit seiner langjährigen Verwaltungskollegin Erika Öhrlein aus dem Nähkästchen bzw. aus dem Sudhaus.

Irmgard Schreck hat von der anderen Straßenseite aus beobachtet, wie die Deutsche Bank – das Buchnersche Palais am Eingang zur Kaiserstraße – abgerissen und der C&A aufgebaut wurde. Oder Georg Götz, der langjährige Vorsitzende des Main-Franken-Kreises, der sich an den Aufbau des Brunowerks und den Wohnungsbau erinnert.

Das Überleben in der Brandnacht des 16.März 1945

Er schildert auch eindringlich die Bombardierung Würzburgs am 16. März 1945: Seine Mutter zieht ihn aus dem Feuer, als eine Brandbombe sogar das Gartenhaus der Familie am Steinberg trifft. Götz ist ein wandelndes Würzburger Lexikon und hat die amüsanten Episoden des Stadtlebens nicht vergessen.

So die Anfänge des Häcker- bzw. „Weinbrunnens“ am oberen Markt: Die Figur trägt einen Mostbartel in der Hand – und tatsächlich floss daraus echter Wein, mittels einer eigenen Zuleitung aus einem Fass in der Tiefgarage. Schon bei der Einweihung unter Oberbürgermeister Klaus Zeitler 1977 soll dies reichlich genutzt worden sein. Die guten alten Zeiten sind aber auch hier dahin: „Dafür gibt es aus Hygiene-Gründen leider keine Genehmigung mehr“, bedauert Georg Götz, der sich schon sehr auf das filmische Würzburg-Porträt freut.

Bis Anfang November soll es fertiggestellt sein. Nach einer Premierenfeier und einigen weiteren Vorstellungen im Programmkino Central geht die DVD dann vor Weihnachten in den Verkauf.

Konzentriert bei der Arbeit: Filmproduzent Bernd Nebeling (rechts) und Kameramann Matthias Bosseck bei den Zeitzeugen-Aufnahmen im Gartenpavillon des Juliusspitals. 40 Interviewpartner erzählten über das Leben im Würzburg des 20. Jahrhunderts – so auch Erika Öhrlein (links), die drei Jahrzehnte bei der Würzburger Hofbräu verbrachte.Foto: Thomas Obermeier
Foto: Thomas Obermeier | Konzentriert bei der Arbeit: Filmproduzent Bernd Nebeling (rechts) und Kameramann Matthias Bosseck bei den Zeitzeugen-Aufnahmen im Gartenpavillon des Juliusspitals.
 
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Kommentare
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  • wurschtel
    Ich freue mich schon heute auf die DVD und hoffe, dass ich auch eine erhalte. Ich darf den Verkaufsstart nicht verpassen.!! Ich habe den Bombenangriff in Grombuehl erlebt. Weiterhin viel Erfolg wünscht Euch Ingrid
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