Es ertönt ein Lockruf nach "Bayerisch Sibirien". In einem Fernsehbeitrag des Bayerischen Rundfunks von 1964 über "Lehrerabwanderung in Unterfranken" wurden die Grenzgebiete der Region so bezeichnet. Noch immer sind im nördlichen Unterfranken viele Schulen chronisch unterbesetzt, besonders in den Landkreisen Rhön-Grabfeld und Bad Kissingen, aber auch in Miltenberg sowie in Stadt und Landkreis Aschaffenburg herrscht hoher Lehrkräftebedarf. Das bayerische Kultusministerium hat für diese besonders betroffenen Gebiete deshalb eine Regionalprämie ausgeschrieben - und versucht, Lehrerinnen und Lehrer mit Geld anzuwerben.
Zum Schuljahr 2023/24 soll eine Einmalzahlung von 3000 Euro Lehrkräfte aus anderen Bundesländern an unterbesetzte Schulen in Bayern locken. Die Zahlung können auch Lehramtsabsolventen erhalten, die nach dem zweiten Staatsexamen in eine sogenannte Prämienregion versetzt werden.
Abwerbung aus anderen Bundesländern: 3000 Euro für zwei Jahre Unterricht in einer "Prämienregion"
Allerdings ist die Regionalprämie mit einigen Bedingungen verbunden. Die Lehrerinnen und Lehrer müssen mindestens zwei Jahre in der Prämienregion arbeiten - und zwar mit mindestens der Hälfte der Unterrichtspflichtzeit. Das ist die Zahl an Unterrichtsstunden, die vollzeitbeschäftigte Lehrkräfte in einer Schulwoche regelmäßig erteilen müssen. Wer vor Ablauf der zwei Jahre den Schuldienst in der Prämienregion quittiert, muss die 3000 Euro zurückzahlen.
Der Beschluss des Ministerrats gilt zunächst bis 2025. Laut Kultusministerium sind für die Regionalprämie 1,5 Millionen Euro pro Kalenderjahr vorgesehen, für das laufende Jahr sei diese Summe bereits weitgehend verplant. Das Geld wird in der Regel vier Monate nach Diensteintritt ausbezahlt. Für die ersten Neuangestellten gibt es die 3000 Euro also ab Januar 2024.
Kritik an der Regionalprämie: Falscher Anreiz
Beim Unterfränkischen Lehrer- und Lehrerinnenverband (ULLV) sieht man die Prämie "aus solidarischen Gründen" kritisch, sagt der Vorsitzende Helmut Schmid. Innerhalb des eigenen Systems um Lehrkräfte zu werben sei eine Sache, sie aber einem anderen Bundesland "wegzunehmen" eine komplett andere. Immerhin beträfe der Lehrermangel ganz Deutschland.
Als "echte Prämie" wäre es eine Chance, sagt der Verbandsvorsitzende. Doch er sieht eine Diskrepanz zwischen politischem Beschluss und tatsächlicher Ausführung. Man bekomme die Einmalzahlung nämlich nur bei der Neueinstellung in den bayerischen Staatsdienst.
Als Lehramtsabsolvent in Bayern bewirbt man sich für Regierungsbezirke. Der Staat entscheidet dann, in welchen Regierungsbezirk man kommt - und an welche Stelle dort genau. Ob man an einer "Prämienschule" landet und dann die 3000 Euro erhält, darauf haben die zukünftigen Lehrerinnen und Lehrer selbst also keinen Einfluss. Aktiv auf eine bestimmte Stelle bewerben, kann man sich als neue Lehrkraft dorthin nicht. Nur Beamte und Beamtinnen aus anderen Bundesländern, die man jetzt mit der Prämie locken will, können sich gezielt bewerben.
Laut Ministerium sind unter den 450 Neueinstellungen an Prämienstellen aktuell nur 35 Beamte und Beamtinnen aus anderen Bundesländern, also acht Prozent.
Lehrermangel in Unterfranken: Mehr als die Hälfte der offenen Stellen befristet besetzt
In ganz Bayern herrsche eine "kapitale Unterdeckung" bei der Lehrerausbildung, sagt ULLV-Chef Schmid. Selbst wenn alle in Unterfranken ausgebildeten Lehrkräfte hier im Regierungsbezirk bleiben würden, wäre der derzeitige Bedarf nicht gedeckt.
Der Ersatzbedarf - "leere" Stellen durch Pension oder Beurlaubung - in diesem Jahr belief sich auf 319 Stellen. Besetzt wurden sie laut Regierung von Unterfranken nicht einmal zur Hälfte, die Löcher wurden durch Lehrkräfte mit befristeten Arbeitsverträgen gestopft. Für die Regionalprämie in Unterfranken sieht die Regierung bis jetzt 90 Personen vor.
BLLV-Chefin Simone Fleischmann: Regionalprämie ist nur Kriseninstrument und Soforthilfe
"Diese Krise ist nicht von heute auf morgen entstanden", sagt Schmid. Genauso wenig könne auch eine Lösung des "eklatanten Lehrermangels" von heute auf morgen entstehen und wirken. Auch die Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes (BLLV), Simone Fleischmann, hält die Regionalprämie für ein Kriseninstrument, das als Soforthilfe keine komplett gleichen und fairen Bedingungen schaffen kann. Immerhin würde das Kultusministerium den Lehrermangel nicht mehr leugnen, sagt Fleischmann.
Je weiter man in Unterfranken Richtung Westen schaue, desto höher sei die Fluktuation bei Lehrkräften an Schulen, sagt ULVV-Vorsitzender Helmut Schmid. Die Idee der Prämie müsse deshalb weiter gedacht werden müsse. Lehrerinnen und Lehrer sollten sich auch aktiv auf diese Stellen bewerben können - vor allem, wenn sie dort sowieso länger als zwei Jahre bleiben wollten.
Lehrerverbände: Quereinsteiger und Aushilfen nur eine Notlösung
Seit 20 Jahren seien die Stundenpläne aufgrund des Lehrermangels auf Kante genäht, die Ansprüche ziemlich im Keller, sagt Schmid. Der Minimalanspruch sei gewesen, dass zum Schuljahr 2023/24 vor jeder Klasse immerhin eine Person stehe – das zumindest habe man geschafft.
Die leeren Plätze vor der Klasse hat man teilweise mit Quereinsteigern oder Aushilfen besetzt. Das bringe qualitative Einbußen mit sich, die die eigentlichen Lehrkräfte an den Schulen noch zusätzlich ausgleichen müssen, heißt es bei den Verbänden. "Die beste Maßnahme gegen den Lehrermangel ist, die Kernmannschaft zu stärken", sagt BLLV-Präsidentin Fleischmann. Also die Lehrerinnen und Lehrer zu unterstützen, die es schon gibt, damit der Beruf wieder an Attraktivität gewinnt.