Kurz vor dem Landesdelegiertentag des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands am kommenden Freitag in Würzburg redet BLLV-Vizepräsident Tomi Neckov Klartext.
Der Pädagoge, der lange eine Schweinfurter Mittelschule geleitet hat, benennt die drängendsten Probleme bayerischer Grund- und Mittelschulen.
Tomi Neckov: Für Piazolo gelten auch Stellen als besetzt, auf denen die vielen nicht qualifizierten Aushilfskräfte unterrichten. Wir rechnen das anders. Wir haben definitiv an allen Ecken und Enden Lehrermangel.
Neckov: Der Mangel macht viele Lehrkräfte kaputt. Wir haben einen hohen Krankenstand. Wir haben nachweislich seit dem Pandemie-Beginn 2020 mehr als doppelt so viele Lehrkräfte, die nur begrenzt dienstfähig sind. Und außerdem doppelt so viele Menschen, die wegen Dienstunfähigkeit ausscheiden.
Weil die Belastung so hoch ist, würden gerne mehr Kolleginnen und Kollegen Teilzeit arbeiten, dürfen dies aber nur begrenzt: Zwar ist familienpolitische Teilzeit nach wie vor erlaubt. Wer aber aufgrund von Überforderung etwa mit 60 Jahren auf 20 Wochenarbeitsstunden reduzieren will, darf dies nicht. Mindestens 24 Wochenarbeitsstunden sind Pflicht.
Neckov: Absolut nicht. Wir wissen, dass immer mehr junge Leute während oder nach dem Referendariat aussteigen aus der Lehrerkarriere. "Das halte ich nicht mein Leben lang durch", sagen sie. Sie suchen sich dann Stellen mit flexibleren Arbeitszeiten und geringerer Belastung.
Neckov: Ganz klares Nein. Wir können mit dem vorhandenen Personal die Kinder und Jugendlichen nicht so fördern, wie sie das bräuchten. Nehmen wir als Beispiel die Friedrich-Rückert-Grundschule in der Schweinfurter Stadtmitte, die einen extrem hohen Migrationsanteil hat: Da gibt es unter den 23 Kindern einer Grundschulklasse höchstens fünf Kinder, die mit der deutschen Sprache aufgewachsen sind und Deutsch sprechen.
Daneben sitzen aber komplette Sprachanfänger. Dazu kommen auch in höheren Grundschulklassen Neuzugezogene, denen das Alphabet komplett fremd ist und die noch keine Schriftsprache erworben haben. Um allen diesen Kindern mit unterschiedlichen Bedürfnissen gerecht zu werden, müsste man die Klasse teilen – am besten in mehrere Gruppen. Eine einzige Lehrkraft, selbst wenn sie noch so gut ist und differenziert unterrichtet, kann nicht alle diese Kinder individuell fördern.
Neckov: Wir können die Inklusion aktuell nicht mehr stemmen. Immer mehr Kinder haben sonderpädagogischen Förderbedarf, weil sie verhaltensauffällig sind, oft aufgrund von Kriegs- oder Fluchterfahrungen. Aber viele Förderzentren (früher: Förderschulen) sind komplett überlaufen und können diese Kinder nicht aufnehmen.
In Schweinfurt etwa werden Kinder vom Förderzentrum abgewiesen, weil nicht genügend Plätze da sind. Und wo landen diese Kinder? Dann doch wieder in der Grundschule oder der Mittelschule. Ich kenne Grundschulklassen in Unterfranken, da sitzen im Unterricht neben drei Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf drei Schulbegleiter – weil die Kinder alleine nicht unterrichtet werden könnten. Mehr Inklusionskinder, immer mehr Kinder ohne Deutschkenntnisse und zu wenige Lehrkräfte: Das kann nicht gutgehen.
Neckov: Nein, das ist kaum noch zu schaffen. Das zeigt ja auch die IQB-Studie (Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen) von 2022, die nachweist, dass die Kinder in der Grundschule aktuell wesentlich schlechtere Kenntnisse in Deutsch und Mathematik haben als noch vor einigen Jahren.
Das zeigt uns auch, dass Lernrückstände aus der Pandemie da sind, und das zieht sich dann durch: Wenn die Kinder später auf weiterführende Schulen wechseln, nehmen sie Lücken mit, wie es sie früher nicht in dem Maß gab. Das heißt, dass die Lehrpläne nicht mehr zur aktuellen Schulsituation passen. Viele Lehrkräfte sind gezwungen, Teile des Stoffs wegzulassen, weil es nicht anders geht.
Neckov: Nein, das ist auch noch ein großes Thema. Aber das muss man differenziert sehen. Manche Kinder, vor allem jene mit Unterstützung durch ihre Eltern, sind ja gut durchgekommen durch die Pandemie. Kinder ohne Unterstützung haben sich deutlich schwerer getan; deshalb gibt es weiterhin die Unterstützung durch die Brückenbau-Programme. In der Realität werden diese Beschäftigten auch zur Vertretung herangezogen, weil niemand mehr da ist, der den Unterricht auffangen kann. Auch diese Förderung fällt dann weg.
Neckov: Wir haben Lehrkräftemangel, allein schon aufgrund der demografischen Entwicklung. Wir brauchen neue, gute Leute –und dafür müsste der Lehrerberuf attraktiver werden. Aber es ist das Gegenteil davon passiert, weil die Staatsregierung uns ja zusätzlich belastet hat, etwa durchs immer noch geltende Piazolo-Paket mit Arbeitszeitkonto an der Grundschule oder Einschränkungen der Teilzeit. Und auch das Image des Lehrerberufs ist im Moment schlecht; der Beruf entspricht nicht unbedingt dem, was junge Leute wollen. Deshalb ist es schwer, Lehrkräfte zu finden.
Und die kultusministeriellen Maßnahmen, um Leute von außerhalb in die Schule zu locken, funktionieren nur teilweise: Die Quereinsteiger geben sich viel Mühe; es gibt einige, die das auch gut machen, aber viele halten es nicht durch. Im Schnelldurchlauf Lehrer werden geht eben nicht. Daher brauchen wir dringend mehr grundständig ausgebildete Lehrkräfte. Die 3000-Euro-Prämie, mit der die Staatsregierung Leute in Mangelregionen wie den Untermain locken will, ist eine gute Idee. Aber letztlich verschiebt sich dadurch der Lehrermangel von der einen in die andere Region.