zurück
Landkreis Kitzingen
Not im Klassenzimmer: Im Landkreis Kitzingen fehlen Lehrerinnen und Lehrer
Wenn Corona und Ukraine-Krieg auf jahrelangen Lehrermangel treffen, geht in der Schule nichts mehr. Dabei gäbe es Lösungen sagt die Volkacher Lehrerin Sabine Huppmann vom BLLV.
Lehrerin Sabine Huppmann im Pausenhof der Volkacher Grund- und Mittelschule. Die Vorsitzende des BLLV-Kreisverbandes Kitzingen beklagt den Lehrermangel in Bayern.
Foto: Julia Lucia | Lehrerin Sabine Huppmann im Pausenhof der Volkacher Grund- und Mittelschule. Die Vorsitzende des BLLV-Kreisverbandes Kitzingen beklagt den Lehrermangel in Bayern.
Julia Lucia
 |  aktualisiert: 15.07.2024 10:04 Uhr

Wer seit über 20 Jahren an der Schule unterrichtet, der hat schon einiges erlebt. Doch was in den vergangenen zwei Jahren abgelaufen ist, das konnte sich nicht einmal Sabine Huppmann vorstellen. Sie ist Lehrerin einer dritten Klasse an der Grundschule Volkach und Vorsitzende des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands (BLLV) des Kreisverbands Kitzingen. "Es war noch nie so frustrierend wie seit Corona", sagt sie. "Aber die Pandemie ist ja ab Mai in den Schulen beendet", fügt sie sarkastisch hinzu.

Corona habe den Schulen wieder einmal gezeigt, dass Lehrerinnen und Lehrer fehlen. Das betreffe alle Schulen, aber besonders die Grund- und Mittelschulen, sagt Huppmann. Selbst wenn man wolle, könne man keine Lehrer einstellen. "Der Markt ist erschöpft", sagt sie. Die mobile Reserve, etwa 25 Lehrerinnen und Lehrer im Landkreis Kitzingen, gebe es nur noch auf dem Papier, da sie nicht mehr nur kurz als Vertretung bleiben. Auch weil schwangere Kolleginnen in Corona-Zeiten sofort zu Hause bleiben mussten. Schlug dann Covid-19 an der Schule zu, lag es an der Kreativität des Schulleiters, die Stunden der kranken Lehrerkräfte irgendwie zu besetzen.

"Der Laden läuft, weil viele Lehrer mehr als ihre Pflicht tun."
Schulrat Florian Viering

Das führe dann dazu, dass wie in Volkach zwei Jugendliche, die ein Bundesfreiwilligenjahr absolvieren, vertretungsweise als Klassenleiter vor den Kindern stehen. "Wir sind froh, dass wir sie haben. Sie machen einen tollen Job", sagt Huppmann. "Aber das kann doch nicht die Lösung sein." Auch sogenannte Drittkräfte und Unterstützungslehrer stopfen die Löcher. An den Mittelschulen darf seit diesem Schuljahr auch ohne Lehramtsstudium unterrichtet werden. "Aber ist das der Anspruch, den Bayern hat?", fragt sich Huppmann. Im Moment stehe alles vor Klassen, was irgendwie verfügbar sei, kritisiert Huppmann die Personalpolitik des Kultusministeriums: "Weder inhaltlich noch pädagogisch ist das gut."

Florian Viering ist Schulrat in Kitzingen.
Foto: Schulamt | Florian Viering ist Schulrat in Kitzingen.

Immerhin bei der mobilen Reserve hat der Kitzinger Schulrat Florian Viering gute Nachrichten. Da tut sich gerade einiges. Normalerweise bekommen die Schulämter zu Schuljahresanfang ihre Lehrkräfte fürs Jahr zugeteilt. Aber, das sieht Viering wie Huppmann, da der Markt wie leer gefegt war, dürfen Schulämter auch unter dem Jahr Lehrer einstellen. Und das hat das Kitzinger Schulamt gemacht, allerdings keine grundständig ausgebildeten Grund- und Mittellehrkräfte. "Das sind schulartfremde Lehrer oder Studierende nach dem ersten Staatsexamen", erklärt Viering. Damit entspanne sich die Lage etwas. "Aber wir sehen die Not natürlich", sagt Viering. Er gibt zu: "Der Laden läuft, weil viele Lehrer mehr als ihre Pflicht tun."

Und wie soll es nach Corona weitergehen? Sowohl Huppmann als auch Viering sehen die ganze Schulfamilie, also auch die Sekretärinnen, schon jetzt als hoch belastet und die nächste Krise ist längst da: die Beschulung der ukrainischen Kinder. Allein um diese zu unterrichten, würden bundesweit 21.000 Lehrerinnen und Lehrer benötigt, sagt Huppmann. Doch wer soll das machen? Der Verband Bildung und Erziehung (VBE), Dachverband des BLLV, rechnet damit, dass bis zum Jahr 2035 in Deutschland etwa 158.000 Lehrerinnen und Lehrer fehlen. Laut Kultusministerkonferenz dagegen mangelt es nur an knapp 24.000 Lehrkräfte. Doch auch den Ministerinnen und Ministern ist klar: Es gibt zu wenige Lehrerinnen und Lehrer.

Lehrkräften an der Grund- und Mittelschule fehlt die Wertschätzung

Kurzfristig wird es aber keine Lösung für diese Situation geben. Das weiß auch Sabine Huppmann. Immer weniger Abiturientinnen und Abiturienten wollen Lehramt studieren, für die Grund- und Mittelschule schon gleich gar nicht. Ein Grund: die ungleiche Besoldung. Wer am Gymnasium oder der Realschule unterrichtet, bekommt mehr Gehalt als ein Lehrer an Grund- oder Mittelschule. Deswegen fordert nicht nur der BLLV, dass alle Lehrerinnen und Lehrer gleich bezahlt werden sollten.

"Vielleicht sollten wir die Kinder wirklich rigoros nach Hause schicken, wenn kein Lehrer da ist."
Lehrerin Sabine Huppmann

Zumindest was Grundschullehrinnen und -lehrer angeht, ist Viering optimistisch. Da es keine Zugangsbeschränkungen mehr an der Uni gibt, haben sich deutlich mehr für ein Lehramtsstudium in diesem Bereich eingeschrieben. Aber bei den Mittelschullehrkräften sieht Viering, selbst Mittelschullehrer, düstere Zeiten. "Der Landkreis Kitzingen ist noch gut aufgestellt; bayernweit herrscht schon jetzt großer Mangel", sagt er. Mittelfristig seien die Zahlen stark rückläufig, was auch an dem ihm unverständlich schlechten Ruf der Mittelschulen liege.

Auch Eltern können in München Druck machen

Aber mit mehr Geld allein ist es nicht getan. Viering möchte das Image der Mittelschule aufgebessert sehen. Huppmann fordert allgemein: "Der Beruf muss attraktiver werden." Ansehen und Wertschätzung der Arbeit an Grund- und Mittelschulen müssen wachsen. Daneben schlägt Huppmann auch flexiblere Arbeitszeitmodelle vor. "Und wenn man nicht als Einzelkämpfer vor der Klasse steht, ist es auch vielleicht auch ein Ansporn, sich für den Lehrberuf zu entscheiden", macht sie Werbung für multiprofessionelle Teams. Dabei arbeiten etwa Sonderpädagogen, Sozialarbeiter, Psychologen oder Schulbegleiter mit dem Lehrer zusammen, um die immer größer werdende Heterogenität in den Klassen auszugleichen. "In keiner Klasse würde sich ein zweiter Lehrer langweilen."

Huppmann ist lange genug im Geschäft, um zu wissen, dass sie als Lehrerin aus Volkach im fernen München nicht gehört wird. Doch steter Tropfen höhlt den Stein und nicht nur Verbände können auf die Probleme aufmerksam machen. Druck auf die Regierung könnten auch die Eltern ausüben. "Vielleicht sollten wir die Kinder wirklich rigoros nach Hause schicken, wenn kein Lehrer da ist", überlegt die Lehrerin. Dann würden Eltern und deren Arbeitgeber spüren, wie Spitz auf Knopf die Personalsituation in den bayerischen Schulen ist.

Nächstes Jahr sind Landtagswahlen. "Auch Eltern sind Wähler", sagt Huppmann und hofft, wie jedes Mal, dass sich danach in der bayerischen Schulpolitik etwas ändert. Denn ihr Motto lautet: "Glückliche Lehrer – glückliche Kinder".

 
Themen & Autoren / Autorinnen
Volkach
Julia Lucia
Coronazeiten
Grundschule Volkach
Lehramtsstudium
Mittelschullehrerinnen und -lehrer
Schulräte
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top