Es gibt Themen, da sinkt die Laune bei manchen SPD-Kommunalpolitikern gegen null. Eines ist die Zukunft des Stadtarchivs und des Rückertbaus am Martin-Luther-Platz. Bei den Haushaltsberatungen gab es deswegen eine längere Auseinandersetzung zwischen SPD-Stadtrat Peter Hofmann und Oberbürgermeister Sebastian Remelé (CSU).
Der Grund: Der Linken-Fraktionschef Frank Firsching brachte mit seinem von der SPD ausdrücklich unterstützten Antrag, das Archiv endlich vollständig zu digitalisieren und technisch ins 21. Jahrhundert zu befördern, ein Thema aufs Tapet, das noch deutlich größere Dimension hat.
Denn im Sommer 2020 hatten die SPD-Stadträte Julia Stürmer-Hawlitschek und Peter Hofmann einen detailliert ausgearbeiteten Antrag zur Zukunft des Rückertbaus, in dem sich das Archiv befindet, sowie ein bisher nicht vorhandenes archivpädagogische Konzept und die vorzeitige Ausschreibung der Archivleitung gestellt. Der jetzige Leiter Uwe Müller geht 2022 in Ruhestand.
Die Reaktion der Verwaltung auf den Antrag: Schweigen. Über ein Jahr lang, was Peter Hofmann nun auf die Palme brachte, den OB aber sichtlich irritierte. Nach der Geschäftsordnung des Stadtrates muss bei einem Antrag innerhalb von drei Monaten eine Antwort erfolgen. "So geht das nicht weiter", so Hofmann, "bei manchen Anträgen scheint der Verwaltung die Frist zur Behandlung völlig egal zu sein. Sollen wir das der Rechtsaufsicht vorlegen?"
Hofmann war hörbar erbost über den Umgang der Verwaltung mit dem Thema, zumal es auch um die Zukunft des Rückertbaus ging, der im Wahlkampf 2020 eine Rolle spielte, als der OB die Idee einbrachte, das Friederike-Schäfer-Heim auf dem Martin-Luther-Platz neu zu bauen und den Rückertbau dafür abzureißen. Davon ist jetzt, auch aus Kostengründen, keine Rede mehr.
Geplant war stattdessen, den Martin-Luther-Platz im Zuge des Neubaus des Kulturforums zu einem kulturellen Zentrum auszubauen und den Leopoldina-Saal im Rückertbau für Veranstaltungen herzurichten. "Aber wir hängen weiter in der Luft, mit dem Rückertbau eiert man herum und die Stelle des Archivleiters wurde einfach ausgeschrieben, ohne über das archivpädagogische Konzept zu sprechen", schimpfte Hofmann.
Diese Philippika sorgte auch für verschnupfte Reaktionen auf Seiten der Verwaltung. Der OB betonte, die Verwaltung habe die Fraktionssprecher darüber informiert, dass der Rückertbau derzeit nicht angegangen werden könne – aus Kosten- wie aus Zeitgründen, da die Verwaltung mit den beschlossenen laufenden Großprojekten ausgelastet sei. Der Leopoldina-Saal bleibe, so der OB, aus Brandschutzgründen dauerhaft für Veranstaltungen gesperrt, was bisher nicht bekannt war.
Baureferent Ralf Brettin war ebenfalls verwundert über den Vorwurf und betonte, man könne derzeit für ein solches Millionenprojekt keine Planung erstellen, solange die Theatersanierung, der Neubau der Grundschule in Bellevue und die Landesgartenschau abzuarbeiten seien. Peter Hofmanns Anmerkung, es hätte ihm gereicht, wenn die Verwaltung in den vergangenen eineinviertel Jahren einmal kurz auf die SPD zugegangen und genau das dargelegt hätte, nahm der Baureferent aber wohlwollend zur Kenntnis. Im Dezember werde man noch ausführlich zum Rückertbau informieren.
Über das eigentliche Thema von Frank Firschings Antrag, die Digitalisierung des Archivs, wurde natürlich auch gesprochen. Der Linken-Fraktionschef hatte von einer Erzählung eines Praktikanten bei ihm im Büro berichtet, der schon in anderen Archiven gearbeitet und sich über die mangelhafte Digitalisierung gewundert habe. "Das ist der Zustand aus den 1990er-Jahren", so Firsching, dessen Fraktionskollegin Andrea Greber kürzlich das Archiv besuchte und den Eindruck bestätigte.
Man wolle nicht den Archivleiter angreifen, sondern eine Möglichkeit bieten, das "Gedächtnis der Stadt" mit neuer Technik und viel mehr digitalisierten Dokumenten auf den Stand der Zeit zu heben, wofür die Linke 100 000 Euro beantragte.
Ein Ansinnen, das beim Archivleiter selbst offenbar nicht als unbedingt notwendig gesehen wird. Kulturamtsleiterin Andrea Brandl verlas die Einschätzung von Uwe Müller, der vorschlug, sein Nachfolger solle das Thema gezielt vorantreiben. Digitalisierung sei zum einen sehr personalintensiv, zum anderen sei der Grad der Digitalisierung der Dokumente im Stadtarchiv durchaus "beachtlich".
Bisher seien 72 234 Datensätze online zugänglich, darunter über 26 000 Handschriften, über 20 000 Bilder, 163 historische Ratsprotokolle oder 3774 Zeitungen. Die Digitalisierung der 84 Bände umfassenden Ratsprotokolle aus der Zeit der freien Reichsstadt laufe derzeit. Frank Firsching war verwundert über die Ausführungen: "Man könnte sich über die Unterstützung freuen oder man geht in Abwehrhaltung." Wichtig sei nicht die Zahl der bereits digitalisierten Datensätze, sondern der Grad der Digitalisierung und der liege gerade mal bei zehn bis 15 Prozent aller Dokumente.
CSU-Fraktionschef Stefan Funk erklärte, das Archiv sei an einer Weggabelung und es sei klar, dass es sich "anders präsentieren muss als vor 20 Jahren." Es sei aber besser, abzuwarten bis der neue Leiter oder die neue Leiterin da seien und nicht jetzt schon ein Konzept "aufzudrücken." Wenn klar sei, in welche Richtung es gehen soll, werde es kein Problem sein, die Mittel bereit zu stellen, denn "ein Archiv kann leben."
Schlussendlich wurde der Antrag der Linken mit der schwarz-grünen Mehrheit abgelehnt. Auch der Antrag von Peter Hofmann, kurzfristig zwei Werkstudenten für eine schnellere Digitalisierung einzustellen, wurde abgelehnt.
Immerhin, er hat einen Bildschirm.
Da kann man ja noch hoffen, dass bald das ganze Archiv in dieser modernen Technik digitalisiert wird.
Ich finde die Entscheidung gut abzuwarten, bis der neue Leiter da ist.