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Schweinfurt
"SOS Kugellagerstadt Schweinfurt": Ist das nicht nur Panikmache, Herr Höhn?
Die IG Metall warnt vor Arbeitsplatzabbau in Schweinfurt gewarnt und hat eine Diskussion über die Zukunft ausgelöst. Nachfragen beim 1. Bevollmächtigten.
Thomas Höhn, 1. Bevollmächtigter der IG Metall in Schweinfurt, warnt eindringlich vor einem Abbau von Industriearbeitsplätzen in der Stadt.
Foto: Anand Anders | Thomas Höhn, 1. Bevollmächtigter der IG Metall in Schweinfurt, warnt eindringlich vor einem Abbau von Industriearbeitsplätzen in der Stadt.
Marcel Dinkel
 und  Oliver Schikora
 |  aktualisiert: 24.04.2024 02:48 Uhr

Die IG Metall hat in den vergangenen Wochen viel Aufsehen in Schweinfurt erregt. In mehreren Mitteilungen zeigte sich die Gewerkschaft in großer Sorge um die Zukunft des Industriestandorts Schweinfurt. Mit rund 21.500 Mitgliedern ist die IG Metall die größte Gewerkschaft in der Region Main-Rhön. Sie ist in bis zu 60 Betrieben organisiert. Thomas Höhn ist ihr Erster Bevollmächtigter.

Im Interview erklärt der 45-Jährige Volkacher, gelernte Industriemechaniker und Volkswirt, was hinter der Aufregung steckt, wie es um die Unternehmen in Schweinfurt steht und warum er neben dem Bund auch die lokale Politik in der Verantwortung für die Entwicklung der Industrie in Schweinfurt sieht.

Frage: "SOS Kugellagerstadt", so lautete die Überschrift über einer Pressemitteilung der IG Metall. Ist das nicht Panikmache?

Thomas Höhn: Natürlich ist "SOS" ein heftiges Signal. Aber wir befinden uns in der wohl heftigsten Transformation, die die Industrie je erlebt hat. Dazu kommt eine konjunkturell schwierige Situation. Eingebettet in die multiplen Krisen auf der Welt hat das Auswirkungen auf die Art und Weise, wie das Management der Firmen in Schweinfurt die Zukunft anpackt. Die Region hängt in hohem Maße davon ab, dass der historisch gewachsene industrielle Kern erhalten bleibt. Er ist es, der unseren Wohlstand über viele Jahrzehnte hinweg mit gesichert hat. Als IG Metall sind wir daher gefordert, darauf aufmerksam zu machen, damit die Region Schweinfurt ein bedeutendes Industriezentrum bleibt.

Was treibt die IG Metall um, was ist der Anlass für die Sorgen?

Höhn: Es gibt mehrere Anlässe. Nehmen wir zunächst SKF: SKF ist kein Automobilzulieferer, hat aber viel Geld für die Windkraft in die Hand genommen. Auch Schaeffler ist in dieser Zukunftsbranche aktiv. Und in beiden Betrieben, vor allem aber bei SKF, ist die Auftragslage in diesem Bereich sehr angespannt. Die Folge sind bei SKF weitreichende Programme zum Arbeitsplatzabbau. Auch wenn die Programme für die Ausscheidenden gut ausgestattet sind, so sind die Arbeitsplätze für die Region aber doch verloren.

Reden wir aus Ihrer Sicht auch bald von betriebsbedingten Kündigungen? Im Moment läuft es speziell bei SKF sozialverträglich mit Vorruhestand und Altersteilzeit.

Höhn: Ich sehe momentan nicht, dass wir insgesamt mit betriebsbedingten Kündigungen konfrontiert werden. SKF macht deutlich, dass das nicht ihr Weg ist. Das kann sich bei anderen Betrieben aber vielleicht anders darstellen. Aber auch bei SKF sind schon über 500 Arbeitsplätze nicht mehr vorhanden. Zusätzlich ist für dieses und nächstes Jahr ein personeller Überhang von weiteren 400 Beschäftigten prognostiziert. Die Lösungsstrategie des Unternehmens wird sein, die Fertigungstiefe in Schweinfurt nicht nur infrage, sondern generell neu aufzustellen. Damit einhergeht, dass Wertschöpfung in der Region Schweinfurt-Main-Rhön verloren gehen wird.

Sie hatten in einer Pressemitteilung speziell ZF angesprochen, mit der Vermutung, Neuansiedlungen von Produkten im Bereich der Elektromobilität würden nicht mehr nach Deutschland kommen. ZF-Chef Süß in Schweinfurt widerspricht vehement, noch nie hatte man so viel Produktionsfläche. Wie passt das zusammen?

Höhn: ZF kündigt selbst ein immenses Einsparprogramm von sechs Milliarden Euro an. Gleichzeitig werden vom Management Szenarien beschrieben, in denen es massive Verschiebungen der Fertigung weg aus Deutschland, hin in Niedriglohnländer - vor allem nach Osteuropa - geben wird. Während immer weniger Teile benötigt werden, die vorher in Verbrenner-Autos verbaut wurden. Diese Informationen gehören auch dazu, wenn man die künftige Lage bei ZF in Schweinfurt in den Blick nehmen will. Es ist ja schön, dass Herr Süß die Aussage revidiert, dass hier keine Neuprodukte mehr in der Elektromobilität angesiedelt werden könnten.

"Die Krisen, mit denen wir umgehen müssen, brauchen einen aktiven Staat, der Geld in die Hand nimmt und nicht mit einer Schuldenbremse das Land kaputtspart."
Thomas Höhn, Erster Bevollmächtigter der IG Metall Schweinfurt.
Damit sollte doch alles geklärt sein, oder nicht?

Höhn: Nicht ganz. Wir haben uns das ja nicht ausgedacht. Solche Aussagen sind gefallen. Und es stellt sich dabei die Frage, auf welcher Ebene die Entscheidungen getroffen werden. Viele davon trifft nämlich die Konzernebene in Friedrichshafen und bedauerlicherweise eben nicht Herr Süß in Schweinfurt. Das, was wir auf der Konzernebene mit Zahlen und Folien gezeigt bekommen, sieht einen massiven Abbau der Beschäftigtenzahlen in der Elektromobilität in Deutschland, bei gleichzeitigem Aufbau in Osteuropa vor. Wenn ein extremer Kostendruck mit dieser Planung einhergeht, wird der ZF-Standort Schweinfurt große Probleme bekommen, Ansiedelungen von Neuprodukten zu erhalten. Das alles passt nicht mit dem Bild zusammen, das von ZF in die Öffentlichkeit transportiert wird. Es ist richtig, dass ZF hier aktuell viel investiert hat. Aber was ist in zwei, drei Jahren? Was passiert mit den nachfolgenden Generationen? Diese Antworten bleibt ZF schuldig.

Sind die 350 Millionen Euro, die ZF in den vergangenen fünf Jahren in die neue Produktion hier investiert hat, nicht ein klares Bekenntnis für den Standort Schweinfurt?

Höhn: Die 350 Millionen sind definitiv ein Bekenntnis zum Standort Schweinfurt. Das wird aber nicht ausreichen. Der Standort Schweinfurt lebt von Forschung und Entwicklung und Produktion. Das ist gut. Investitionen in Forschung und Entwicklung eines Elektromotors bedeuten aber nicht automatisch, dass dieser auch langfristig in Schweinfurt produziert wird. Die Frage, wo der Elektromotor hergestellt werden wird, beantwortet ZF unserer Ansicht nach intransparent.

Sie befürchten also eine Verlegung ins Ausland?

Höhn: Die Zahlen deuten daraufhin. Dazu kommt, dass ZF, aber auch Schaeffler immer wieder die hohen Kosten für Forschung und Entwicklung anmahnen. Aus Sicht von ZF sind dadurch die Wettbewerbsbedingungen massiv gefährdet. Die Ableitung aus dieser Analyse ist, auch hier einzusparen, und Forschung und Entwicklung nach Osteuropa zu verlagern. Das, gepaart mit dem generellen Infragestellen des Standorts Deutschland, macht die Situation aus meiner Sicht extrem heikel. Die 2000 Stellen, die der ZF-Konzern in Schweinfurt abbauen will, werden in besonderem Maße den Bereich der Division E betreffen, zu der auch die Elektromobilität gehört. Von den rund 9000 Beschäftigten im Hauptwerk des ZF-Standorts sind über 60 Prozent in diesem Feld tätig.

Hätten Sie sich Unterstützung von Oberbürgermeister Sebastian Remelé oder Wirtschaftsförderer Thomas Herrmann gewünscht?

Höhn: Wir stehen im konstruktiven Austausch miteinander. Vom Oberbürgermeister und dem Wirtschaftsförderer erwarte ich, dass sie sich mit dem Management an einen Tisch setzen und den von uns geforderten Industriedialog in die nächste Stufe heben. Neben Fachkräften und deren Weiterentwicklung sind auch die zur Verfügung stehenden Industrieflächen ein Thema. Es muss auch geklärt werden, wie die Energieversorgung sichergestellt werden kann. Industriearbeit ist mehr als nur die Einnahme von Gewerbe- und Einkommenssteuern. Die ganze Region, über Schweinfurt hinaus, hängt daran. Von unserem Oberbürgermeister würde ich mir deshalb wünschen, dies deutlicher in die Öffentlichkeit zu tragen und nicht nur zu verwalten, sondern auch zu gestalten.

Was kann die Politik, vor allem die lokale, eigentlich tun, wenn Großkonzerne Entscheidungen von weltweiter Auswirkung treffen?

Höhn: Die Bundespolitik ist ein Kernadressat unserer Forderungen, ohne jeden Zweifel. Die Krisen, mit denen wir umgehen müssen, brauchen einen aktiven Staat, der Geld in die Hand nimmt und nicht mit einer Schuldenbremse das Land kaputtspart. Die Kommune kann allerdings unterstützen. Es reicht nicht mehr aus, dass ein Oberbürgermeister mit einem Werkleiter spricht und so die Dinge klärt. Wenn wir es aber schaffen, die Kräfte in der Region miteinander zu bündeln, wird diese gemeinsame Stimme bis nach München, Berlin und in die Konzernzentralen hineinreichen. Gefordert sind jetzt alle politisch Verantwortlichen auf kommunaler Ebene und die Gewerkschaften. Wir brauchen Schweinfurt in der Offensive. Mit einem Stadtrat, einem Oberbürgermeister, der sich mit den Kollegen und dem Management an einen Tisch setzt, um zu klären, was es braucht, damit Schweinfurt ein bedeutendes Industriezentrum bleibt.

Wie ist die Stimmung bei den Mitarbeitenden und Betriebsräten, die Ihnen gespiegelt wird?

Höhn: Die Beschäftigten spüren, dass das Potenzial der Betriebe in der Region vorhanden ist. Die Belegschaften sind stolz auf den Standort Schweinfurt. Stolz auf die Innovationen, die ZF hier verwirklicht, stolz auf die Power, die SKF, Schaeffler und Co. ausstrahlen. Zum anderen spüre ich aber auch Frustration, weil die Arbeitsbelastung immens zugenommen hat. Die Sorge um die Zukunft des Standorts treibt viele um.

"Der Lohnkostenanteil bei ZF beträgt zwischen zwölf und 14 Prozent."
Thomas Höhn, Erster Bevollmächtigter der IG Metall Schweinfurt.
Und wie nehmen sie die Stimmung unter der Bevölkerung wahr?

Höhn: Wir haben in meinen Augen in den letzten Jahren eine Stimmungsverschlechterung hinsichtlich der Industriearbeiter in Schweinfurt erlebt. Ich bin mir ehrlich gesagt nicht sicher, ob der Handwerker, der Bäcker, die Kindergärtnerin oder die Lehrerin sich bewusst sind, was passiert, wenn die Industrie hier nach und nach verschwindet.

Bei den Leserkommentaren gibt es auch massive Kritik an der Gewerkschaft und ihren Lohnforderungen. Was sagen Sie dazu?

Höhn: Der Lohnkostenanteil bei ZF beträgt zwischen zwölf und 14 Prozent. Damit liegt der größte Kostenanteil in anderen Bereichen. Lohnforderungen von Gewerkschaften sind also kein zwingender Treiber für den Schritt in Niedriglohnländer. All das, was wir hier in Deutschland haben, hängt im Wesentlichen auch davon ab, dass Menschen in der Region Kaufkraft haben. Deshalb ist eine angemessene Entlohnung wichtig. Und Fakt ist auch: Industriearbeit ist kein Zuckerschlecken. Wir erleben einen gestiegenen Leistungsdruck bei den Ingenieuren, den Entwicklern und Vertrieblern. Die Produktion ist größtenteils in Fünf-Gruppenschichten bis ins Wochenende ausgeweitet.

 
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  • Hiltrud Erhard
    Reflexion und Selbstkritik sind Fremdwörter für den Herrn und seiner "Gefolgschaft"!

    Keinerlei Einsicht und Lösungsorientiertheit im eingenen Stall!

    So werden nicht nur die Betriebe ruiniert sondern auch die Gesellschaft!
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    • Antworten