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Lülsfeld
"Schuldig ist er für alle": In Lülsfeld herrscht nach dem Urteil gegen den Guru von "Go&Change" Erleichterung
Kai K. ist verurteilt. Die Menschen im kleinen Ort im Landkreis Schweinfurt hoffen, dass der Name Lülsfeld endlich aus den Schlagzeilen kommt. Es gibt aber Befürchtungen.
Das ehemalige Klostergebäude in Lülsfeld (Lkr. Schweinfurt) ist der Sitz der Gemeinschaft 'Go&Change'. Nach der Verurteilung des Gurus Kai K. wünschen sich die Menschen im Ort, dass der Name der Gemeinde aus den Schlagzeilen kommt.
Foto: René Ruprecht | Das ehemalige Klostergebäude in Lülsfeld (Lkr. Schweinfurt) ist der Sitz der Gemeinschaft "Go&Change". Nach der Verurteilung des Gurus Kai K.
Christine Jeske
 und  Stefan Pfister
 |  aktualisiert: 18.11.2024 02:32 Uhr

Es ist grau und kühl an diesem Morgen. Stille liegt über dem 450-Seelen-Dorf Lülsfeld am Tag nach dem aufsehenerregenden Urteil. Auf den Gehwegen warten die Mülltonnen auf ihre Leerung, auch im Hof des ehemaligen Klosters.

Dass hinter seinen Mauern Straftaten begangen wurden, steht seit Dienstag für das Landgericht Schweinfurt fest. Die Kammer hat Kai K., den Kopf der in Lülsfeld lebenden Gemeinschaft "Go&Change", wegen Vergewaltigung, eines sexuellen Übergriffs und Körperverletzungen zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt und dazu die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet.

Weltanschauungsbeauftragter: Vorwürfe haben sich bestätigt

Auch wenn die Verteidigung gegen das Urteil Revision eingelegt hat: Der Ort, dessen Name so oft in einem Atemzug mit den Vorwürfen genannt wurde, hat jetzt ein Stück Gewissheit. Schon vor den Taten im Mai 2023 hatte es im Dorf Berichte über Psychoterror, Sex-Exzesse und Drogenkonsum gegeben.

Todesfälle im Umfeld der Gemeinschaft kamen hinzu, unter anderem der Drogentod eines "Go&Change"-Mitglieds aus der Schweiz. Reto Giacopuzzi, ein Freund des Mannes, spricht nach dem Urteil jetzt von "etwas Genugtuung". Eine Angehörige eines "Go&Change"-Mitglieds sagt, beim Gedanken an die Taten "läuft es mir kalt den Rücken herunter". Für sie sei nun gesichert, dass Kai K. "ein verurteilter Straftäter ist, eine Psychose hat und Drogen konsumiert".

Auch für den Weltanschauungsbeauftragten des Bistums Würzburg, Dr. Jürgen Lohmayer, haben sich Vorwürfe wie Psychodruck, Drogenkonsum, Verschwörungsdenken und sexualisierte Gewalt "auf erschreckend eindrucksvolle Weise bestätigt".

Die Menschen in Lülsfeld: Immer wieder mit "Go&Change" konfrontiert

Doch wie blicken die Menschen in Lülsfeld nun auf die Gemeinschaft? Gut ein halbes Dutzend von ihnen ist bereit, nach dem Urteil mit der Redaktion zu sprechen. Alle sind erleichtert, dass der neun Monate andauernde Prozess beendet ist. Altbürgermeister Wolfgang Anger, in dessen Amtszeit der Verkauf des Klostergebäudes durch die Erlöserschwestern 2017 fiel, ist froh über das Urteil: "Endlich ist es vorbei!"

Lülsfelds amtierender Bürgermeister Thomas Heinrichs (links) und der frühere Rathauschef Wolfgang Anger - hier bei der Verleihung des Ehrentitels 'Altbürgermeister' 2022 - sind froh, dass der Prozess 'endlich vorbei' ist.
Foto: Matthias Wiener (Archivfoto) | Lülsfelds amtierender Bürgermeister Thomas Heinrichs (links) und der frühere Rathauschef Wolfgang Anger - hier bei der Verleihung des Ehrentitels "Altbürgermeister" 2022 - sind froh, dass der Prozess "endlich vorbei" ...

Sein Nachfolger Thomas Heinrichs sagt: "Es ist nicht schön, wenn eine Ortschaft immer wieder in diesem Zusammenhang genannt wird." Niemand wolle solche Straftaten in seinem Ort haben. Gerade von Auswärtigen sei er auf den Prozess angesprochen worden, berichtet der Bürgermeister: "Du musst dich immer wieder rechtfertigen."

"Du musst dich immer rechtfertigen."
Lülsfelds Bürgermeister Thomas Heinrichs

Ähnliche Erfahrungen haben auch andere gemacht, teils seit Jahren. Ein Lülsfelder aus dem Sportverein, bei dem früher einige "Go&Change"-Mitglieder Fußball spielten, ist überzeugt, dass der Ruf der Gemeinde gelitten hat. Schlimmer sei aber die Erkenntnis, was hier alles passiert ist: Vergewaltigung, ein toter Familienvater, zwei tote Kinder. Er selbst sei Papa, "das ist sehr belastend".

Vorsitzender des Feuerwehrvereins: Vorfälle belasten viele Menschen im Ort

Harald Zinser, der Vorsitzende des Feuerwehrvereins, wählt sehr deutliche Worte. Er spricht von  "Sauerei" der Anwälte, die den Prozess in die Länge gezogen hätten, und nennt das Strafmaß "viel zu milde". Altbürgermeister Robert Schemmel, der von 1996 bis 2008 Rathauschef war, weiß aus Gesprächen, dass viele Lülsfelder mit einer längeren Freiheitsstrafe gerechnet hätten. "Schuldig ist er für alle hier im Ort", ergänzt Zinser. Viele seien schockiert von den Ereignissen.

Auch bei der Feuerwehr und in der Musikkapelle waren "Klosteraner" eine Zeitlang aktiv. Verbindungen zu "Go&Change" gibt es nach Auskunft der meisten Gesprächspartner aber spätestens seit der Razzia und der Festnahme von Kai K. im Frühsommer 2023 nicht mehr. Kontakt zu Kai K. habe nie jemand gehabt. Über die anderen aus der Gemeinschaft will man nichts Negatives sagen. Sie seien freundlich gewesen, hätten sich anfangs im Ort eingebracht. 

Bürgermeister: Zehn Personen sind im früheren Kloster gemeldet

Das mächtige Klostergebäude am Ortsrand ist weiterhin bewohnt. Darauf deuten nicht nur die vollen Mülltonnen hin. Bürgermeister Heinrichs bestätigt, dass etwas knapp zehn Menschen aktuell dort gemeldet sind.

Am Rande des 450-Einwohner-Dorfes im Landkreis befindet sich das weitläufige Klosteranwesen, das früher den Erlöserschwestern gehörte (rechts oben).
Foto:  René Ruprecht | Am Rande des 450-Einwohner-Dorfes im Landkreis befindet sich das weitläufige Klosteranwesen, das früher den Erlöserschwestern gehörte (rechts oben).

Im Moment, so scheint es, haben die meisten Lülsfelder kein Interesse an einem Aufeinanderzugehen mit der Gemeinschaft. Aus dem Sportverein heißt es, dass für viele klar sei: "Die müssten auf den Ort zugehen und uns zeigen: Wir können auch anders." Es sei einfach zu viel vorgefallen, um gleich zur Normalität überzugehen.

Rückkehr von Kai K. wäre für viele im Ort ein Schreckensszenario

Nicht nur im Dorf fragt man sich, wie es nun weitergeht. "Treten die Anhänger in Kais Fußstapfen? Gibt es Nachdenklichkeit?", überlegt die Angehörige eines "Go&Change"-Mitglieds nach dem Urteil. Reto Giacopuzzi wünscht sich, dass "die Truppe um 'Go&Change' nun erwacht" und sich eventuell einsichtig zeige. "Da hege ich allerdings ganz wenig Hoffnung."

In Lülsfeld bleibt eine Sorge: Was ist, wenn der Guru früher oder später zurückkommt? Es wäre für viele ein Schreckensszenario. Mehrfach wird die Befürchtung geäußert, dass "alles wieder von vorne" beginnen könnte. Für unrealistisch hält Altbürgermeister Wolfgang Anger das nicht: "Wenn man sieht, wie die Gruppe beim Prozess hinter ihm stand, glaube ich, dass sie von ihm erwartet, dass er zurückkehrt."

 
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