
Horten. Es wird immer Horten heißen, egal, was mit dem Gebäude am Jägersbrunnen in Schweinfurt passiert. So geht es wahrscheinlich vielen Menschen, auch wenn das Kaufhaus schon seit fast 30 Jahren eigentlich Kaufhof heißt. Und jetzt wird Kaufhof schließen – wahrscheinlich schon Mitte Januar, nicht, wie ursprünglich geplant, Ende Januar.
Das Kaufhaus, das im Oktober 1964 unter riesigem Andrang eröffnet wurde, war für die Menschen der Region ein ganz großes Stück Welt. Und ein Grund, regelmäßig nach Schweinfurt zu fahren. Das blieb zwar noch einige Jahre so, nachdem 1996 Kaufhof das Haus übernommen hatte. Aber die Horten-Magie meiner Kindheit – ich bin Jahrgang 1965 – wurde nie wieder erreicht.
Das Parkhaus war schon ein Teil der Magie
Was hat diese Magie ausgemacht? Da war schon mal das zweistöckige Parkhaus. Tante Else, eigentlich meine Großtante, hat damals einige Zeit gebraucht, bis sie sich getraut hat, mit ihrem kleinen blauen Ford, genannt Mäxle, die steile Anfahrt hochzufahren. Bis es so weit war, hatten wir sicherheitshalber ziemlich weit draußen Richtung Industrie geparkt. Aber irgendwann traute sie es sich endlich zu, ins Parkhaus zu fahren.
Erst viele Jahre später ist mir klargeworden, was sie für eine ungewöhnliche, mutige Frau war. Sie war Jahrgang 1915, einen Führerschein und sogar ein eigenes Auto zu haben, war für Frauen ihrer Generation ungewöhnlich. Sie war Obermeisterin der Damenschneider-Innung und hatte ein Atelier in Bad Kissingen.
Stoff- und Kurzwarenabteilung war ein Anlaufpunkt
Tante Else fuhr berufsbedingt vor allem wegen der Stoff- und Kurzwarenabteilung nach Schweinfurt zum Horten. Oft war sie auf der Suche nach etwas Besonderem für eine ihrer Kundinnen. Eine Ansteckblume vielleicht oder ein Lack-Gürtel. Etwas mit echtem Großstadtflair eben.

Großstadtflair – der Begriff muss auch für meinen Kinderwagen gepasst haben, den meine Mutter damals kaufte. Natürlich auch bei Horten. Blau-weiß war er, richtig schick. Meine Mutter erinnert sich noch heute daran, was ein berlinernder Kurgast beim Spaziergang auf der Promenade in Bad Kissingen zu ihr sagte: "Dit is der Mercedes unter den Kinderwägen." So schön war der Wagen, dass ihn eine Nachbarin unbedingt als Puppenwagen haben wollte, sobald ich rausgewachsen war. Leider haben wir die Fotos von mir und dem Kinderwagen nicht gefunden. Dafür aber eines vom Dreirad, das selbstverständlich auch vom Horten in Schweinfurt war.
Die Einkaufsausflüge wurden generalstabsmäßig geplant
Das Abenteuer Kaufhaus begann aber schon lange vor dem Einfahren ins Parkhaus. Die Schweinfurt-Ausflüge unserer Familie wurden generalstabsmäßig geplant. Mein Vater, der daheim blieb, bekam Instruktionen, was er sich zum Essen machen konnte. Wir, die rein weibliche Besatzung von Mäxle, also meine Mutter, meine Oma, Tante Else und ich, nahmen belegte Brote für unterwegs mit. Schließlich galt es, eine Strecke von fast 25 Kilometern zu bewältigen. Zum Horten-Besuch gehörte zwar der Besuch im Kaufhausrestaurant, aber sicher ist sicher.
Womit wir bei einem weiteren Bestandteil der Magie wären: die Kaufhaus-Gastronomie. An das legendäre Lokal "Kupferspieß" kann ich mich nicht mehr erinnern, aber an den Nachfolger im ersten Stock, gleich hinter der Damen-Oberbekleidung. Mein Lieblingsessen war das Fischfilet, dazu gab es nämlich eine kleine Saucière mit Remouladen-Sauce auf einem Extra-Teller. Fand ich faszinierend. Genauso wie einige Jahre später die Wandlung zum Selbstbedienungs-Restaurant. Das wirkte so großstädtisch, sowas hatte man mal im Fernsehen gesehen.
Im Horten gab es so gut wie alles
In den 60er- und 70er-Jahren war ein Kaufhaus wie Horten in Schweinfurt schon so etwas wie ein Konsumtempel. Es gab so gut wie alles. Kleidung, Platten, Bücher, Schreibwaren, Schuhe, Kosmetik, Parfüm, Spielzeug, Haushaltswaren, Süßigkeiten, Wäsche, Handtücher, Tischdecken, Taschen und Koffer und und und. Sogar eine große Auswahl an Perücken gab es. Wer die wohl gekauft hat? Das frage ich mich noch immer.

Als wir Teenager waren, war das Internet noch nicht erfunden. Einfach im Netz bestellen, was man irgendwo gesehen hatte, ging nicht. Und noch etwas war anders: Man musste das Geld auch haben, wenn man welches ausgeben wollte. Kreditkarten waren noch lange kein Alltag. Geld, das es zum Geburtstag oder zu Weihnachten gegeben hatte, kam in einen Umschlag und so bald wie möglich dann mit nach Schweinfurt zum Horten.
Denn es bestand durchaus die Möglichkeit, dort die Bluse zu entdecken, die Olivia Newton John in "Grease" getragen hatte. Oder die Strümpfe mit dem Schleifchen an der Ferse, mit denen Prinzessin Diana Akzente gesetzt hatte. Und wenn es etwas nicht oder nicht in der passenden Größe gab, dann war's das halt. Irgendwie machte es das Einkaufserlebnis spannender, wenn es nicht selbstverständlich war, das zu bekommen, was man sich in den Kopf gesetzt hatte.
Das Soft-Eis war das Beste weit und breit
Meine Mutter schwärmt heute noch vom Supermarkt. An den kann ich mich nicht erinnern. Aber an das göttliche Soft-Eis, das es im Untergeschoss gab. Es war das Beste!
Fast so aufregend wie das Soft-Eis war die Entscheidung, ob man Rolltreppe oder Aufzug fährt. Beides eine faszinierende Sache. Wie hat ein Kollege jüngst so schön nostalgisch gesagt: "Im Horten bin ich das erste Mal Rolltreppe gefahren." Er ist übrigens Jahrgang 1964. Wie das Kaufhaus-Gebäude.
In den letzten Tagen gehen noch viele auf Schnäppchenjagd
Und jetzt läuft der Totalausverkauf. Viele Dinge werden direkt aus Kisten und Schachteln verkauft, etliche Regale und Ständer sind schon leer. Traurig sieht das aus. Obwohl viele Leute noch auf Schnäppchenjagd sind.
Einen meiner ersten Geldbeutel nach Erwachsenenart habe ich mir vor mehr als 40 Jahren bei Horten gekauft. Jetzt habe ich, viele Geldbeutel später, in den letzten Kaufhof-Tagen noch genau das Modell gefunden, das ich gesucht hatte. So schließt sich ein Kreis.
Apropos Kreis: In meiner Handtaschensammlung sind noch einige Kaufhof-Exemplare. Eine, gut 25 Jahre alt, durfte mit zu einem der wohl letzten Einkäufe dort. Und bei uns im Keller stehen noch Schallplatten, die aus dem Horten stammen. Eine schöne Erinnerung. Über die Frisuren auf dem Cover einer Bee-Gees-LP waren Tante und Oma damals allerdings nicht so glücklich.

Aber die Zeiten ändern sich. Häuser wie Horten oder Kaufhof sind irgendwie nicht mehr angesagt. Die Magie ist dahin. Daran ist nicht zu rütteln. Zu viel hat sich in unserer Lebensweise, unserer Gesellschaft verändert. Ansprüche, Bedürfnisse, Umstände. Es gibt neue, andere Einkaufsmöglichkeiten.
Trotzdem kann man ein bisschen wehmütig sein über diesen Zeitenwandel und das Kaufhof-Aus in Schweinfurt. Denn mit den ehemals glitzernden Warenhäusern verschwindet nun endgültig auch ein Stück meiner eigenen Kindheit. Deshalb kann für mich kein Einkaufserlebnis, egal wo in der Welt, mit dem der Familienexpedition inklusive Wegzehrung, Rolltreppenfahrt und Softeis mithalten.