Quak, Quak" kommt es aus dem Eimer. Vorsichtig schiebt Martin Müller das Laub zur Seite. Zwei kleine Kröten sitzen wie erstarrt am Boden. Müller hebt sie heraus und begutachtet sie: "Es könnten Erdkröten sein." Hundertprozentig weiß er das nicht. Martin Müller ist kein Biologe, er ist Wasserbauer. Doch seit kein Wasser mehr im Ellertshäuser See ist, hat der 62-Jährige ganz neue Aufgaben bekommen. Aktuell sammelt er Amphibien ein und bringt sie zum Ablaichen in die Biotopbucht.
Kröten, Molche und Frösche sind jetzt auf Wanderschaft. Tausende ziehen zu ihren Laichgewässern. In ganz Bayern sind freiwillige Helfer unterwegs, um sie sicher über gefährliche Straßen zu bringen. Auch am Ellertshäuser See werden jedes Jahr entlang der Kreisstraße die Amphibien eingesammelt und am Nordufer wieder ausgesetzt. Heuer ist aber alles etwas anders, weil kein Wasser im See ist. Es wurde im Herbst abgelassen. Das Wasserwirtschaftsamt Bad Kissingen als Betreiber will die technischen Einrichtungen sanieren.
Das Naturschutzgesetz fordert bei solchen Eingriffen in den Naturhaushalt ein Konzept für ein möglichst naturverträgliches Vorgehen. Darin ist auch der Umgang mit den Amphibien festgelegt. Die im Wasser lebenden Frösche und Muscheln wurden bereits beim Absenken des Pegels eingesammelt und in den Vorsee umgesiedelt. Der zwei Hektar große See unterhalb von Ebertshausen, der für die Rückhaltung von Schweb- und Nährstoffen da ist, wurde dafür um einen dreiviertel Meter höher aufgestaut. Mehr Wasser bedeutet mehr Sauerstoff und damit mehr Wasserqualität für die zusätzlichen Bewohner.
Krötenrettung ist richtig aufwändig
Richtig aufwändig aber ist jetzt die Krötenrettung. Was entlang der Kreisstraße eingesammelt wird, kommt nun ebenfalls in den Vorsee. An der Seemeisterstelle stehen Transportbehälter bereit, um die Kröten sozusagen im Sammeltaxi an den ein Kilometer entfernten Ablaichort zu fahren.
Die Untere Naturschutzbehörde hat außerdem angeordnet, dass auch der südliche Uferbereich entlang des Rundwanderwegs nach Amphibien abgesucht werden muss. Hier droht den Tieren zwar keine Gefahr überfahren zu werden, aber auf dem Trockenen zu landen. Denn Amphibien wollen immer zurück zu dem Gewässer, in dem sie geboren wurden. Sie wollen ihren Nachwuchs dort in die Welt setzen, wo sie selbst schon als kleine Kröte gute Lebensbedingungen hatten. Selbst wenn es da kein Wasser mehr gibt.
Das Wasserwirtschaftsamt Bad Kissingen hat bereits im Februar einen gut 600 Meter langen Krötenzaun entlang des Südufers aufgestellt. Er ist etwa kniehoch, so dass die Kröten nicht drüber hüpfen und in das leere Becken gelangen können. Alle 50 Meter ist ein Eimer in den Boden eingegraben. Wenn die Frösche, Molche und Kröten an den Zaun stoßen und nicht weiter kommen, plumpsen sie früher oder später in die Eimer. Frühmorgens und spätabends sind dann Mitarbeiter des Wasserwirtschaftsamtes und andere freiwillige Helferinnen und Helfer unterwegs, um sie einzusammeln.
Ökobucht ist Rückzugsort für die Amphibien
Alle Tiere am Südufer werden in die Ökobucht gebracht, die als erstes hergerichtet wurde, um einen Rückzugsort für die Wander-Amphibien zu haben. Quer durch die Bucht wurde ein Absperrdamm zum Hauptsee gebaut und der Bereich dahinter mit dem Wasser aus dem Bach "Warmer Lochgraben" geflutet. Etwa ein Hektar Seefläche, rund 50.000 Kubikmeter Wasser, steht den Amphibien dort zum Ablaichen zur Verfügung.
Jeden Morgen um 7.30 Uhr läuft Martin Müller nun den Krötenzaun ab und schaut in die Eimer. Normalerweise würde er um diese Zeit den Pegelstand des Seewassers kontrollieren, Messungen am Steg vornehmen, den Sauerstoffgehalt des Wassers überprüfen oder die technischen Anlagen warten. Jetzt freut er sich über jede Kröte, die er in den Eimern findet. Der Kälteeinbruch hatte die Wanderschaft der Amphibien gestoppt. "Bis Anfang der Woche war so gut wie nix los", erzählt Müller. Doch seit Gründonnerstag hat er alle Hände voll zu tun.
300 Tiere am Gründonnerstagmorgen eingesammelt
Seit die Temperaturen gestiegen sind, wimmelt es nur so von Kröten rund um den See. Denn sobald sie auch nachts über die Fünf-Grad-Marke klettern und es im besten Fall noch feucht ist, geht es los. Dann machen sich Kröten, Frösche und Molche nach der Dämmerung auf den Weg zu ihrem Laichplatz.
Am Gründonnerstagmorgen sammelte Müller rund 300 Tiere ein. Manche waren noch gar nicht bis zum Zaun gelangt, sondern saßen auf dem Uferweg. Morgendliche Spaziergänger sollten deshalb mit wachen Augen dort laufen. Die Erdkröten sind im braunen Laub auf dem Boden kaum zu erkennen.
Müller macht die Arbeit sichtlich Spaß. Manchmal hilft sein junger Kollege Jonathan Hasenauer mit. Er arbeitet in der Kissinger Behörde im Fachbereich Wasserbau und wurde kurzfristig zum Krötenbeauftragten ernannt hat. Hasenauer koordiniert den Einsatz der Helferinnen und Helfer und erfasst stichprobenartig die Arten und die Anzahl der Tiere. Dabei hilft ihm ein Handzettel der Unteren Naturschutzbehörde, auf dem die verschiedenen Frösche und Kröten farbig abgebildet sind. Neun von 21 in Deutschland beheimateten Amphibien gelten laut der Roten Liste als bedroht. Der Klimawandel mit zunehmend heißen und trockenen Sommern macht sich auch hier bemerkbar.
Der Biber hat sich an den Vorsee verlagert
Dass der Artenschutz auch im abgelassenen Ellertshäuser See gewährleistet ist, war deshalb für Gerhard Weniger, den Naturschutzbeauftragten am Landratsamt Schweinfurt, ein wichtiges Anliegen. Mit dem Krötenzaun am Südufer und der Wiederherstellung der Ökobucht ist er zufrieden. "Damit haben wir das Bestmögliche für die Amphibien getan." Auch der Biber komme gut zurecht, er hat sich nach dem Ablassen des Wassers an den Vorsee verlagert und ist dort sehr aktiv.
Doch nicht nur Amphibien laichen im Ellertshäuser See, auch manche Insekten legen ihre Eier im Wasser ab und sitzen nun genauso auf dem Trockenen. "Mobile Arten kommen besser mit der Situation zurecht", meint Weniger. Sie können ja problemlos ihr Quartier wechseln. Auch die Wasservögel werden sich wohl eigenständig eine neue Bleibe suchen. In der Altenmünsterer Bucht hat der Haubentaucher gebrütet. Möglich, dass er nun in die Ökobucht umzieht.
Bis Anfang Mai werden die ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer rund um den Ellertshäuser See unterwegs sein, um die Kröten einzusammeln. Und auch Martin Müller wird täglich seine Runde drehen. Neulich hatte er sogar ein Pärchen im Eimer: ein Krötenweibchen mit einem Krötenmännchen huckepack. Es kann sogar passieren, dass eine Erdkrötendame bis zu zehn Männchen auf dem Rücken spazieren trägt. Am Ellertshäuser See hat der Wasserbauer Martin Müller so etwas aber noch nicht gesehen.