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Schweinfurt
Krisenfest durch höhere Löhne? Was die Einigung im Tarifstreit zwischen IG Metall und den Arbeitgebern bedeutet
Gewerkschaft und Arbeitgeberseite waren lange weit auseinander - doch einigten sich nach vier Verhandlungsrunden. Was das Ergebnis für Beschäftigte in Unterfranken heißt.
Sieben Prozent mehr Lohn hatte die Gewerkschaft IG Metall bei den jüngsten Tarifverhandlungen gefordert. Nun gibt es einen Kompromiss.
Foto: René Ruprecht | Sieben Prozent mehr Lohn hatte die Gewerkschaft IG Metall bei den jüngsten Tarifverhandlungen gefordert. Nun gibt es einen Kompromiss.
Marcel Dinkel
 und  Michael Endres
 |  aktualisiert: 19.11.2024 02:42 Uhr

Nach einem 18-stündigen Verhandlungsmarathon haben sich die IG Metall und der bayerische Arbeitgeberverband der Metall- und Elektroindustrie in dieser Woche auf einen neuen Tarifvertrag geeinigt. Beschäftigte erhalten ab April 2025 zunächst zwei Prozent mehr Lohn, ab April 2026 rund drei Prozent mehr. Zusätzlich haben die Arbeitgeber bis Februar eine Einmalzahlung von 600 Euro für die tariflosen Monate zugesichert sowie die Anzahl an freistellbaren Tagen erhöht. Alles bei einer Laufzeit von 25 Monaten.

Wie kam die Einigung zustande? Was sagen die Tarifpartner und was bedeutet das für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Unterfranken? Ein Überblick: 

Wie blicken Gewerkschaft und Unternehmen auf den Abschluss?

Angelique Renkhoff-Mücke, Vorstandsvorsitzende der Warema Renkhoff SE in Marktheidenfeld und Verhandlungsführerin auf Arbeitgeberseite, wollte mit dem Abschluss ein Zeichen setzen: Gewerkschaft und Unternehmen seien auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten in der Lage, schnell und zuverlässig zu einem Ergebnis zu gelangen. Gerade was die moderate Lohnsteigerung im Jahr 2025 betrifft, hätten die Unternehmen jetzt eine Entlastung.

Horst Ott, Verhandlungsführer der IG Metall Bayern, blickt Richtung Politik, wenn er sagt: "Mit Geduld und Hartnäckigkeit haben wir Lösungen und Kompromisse gefunden. Dieses Signal senden wir an alle Akteure im Land, die zuletzt daran gescheitert sind."

Welche wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen hat die Einigung?

Laut IG Metall arbeiten allein in flächentarifgebundenen Betrieben der Metall- und Elektroindustrie der Landkreise Bad Kissingen, Rhön-Grabfeld und Haßberge sowie Stadt und Landkreis Schweinfurt 28.000 Beschäftigte. Auf ihren zahlreiche Kundgebungen in der Region hatte die Gewerkschaft argumentiert, dass höhere Löhne und Gehälter zu höherer Kaufkraft beitragen würden.

Laut dem Statistischen Bundesamt werden 51 Prozent des Bruttoinlandsprodukts vom privaten Konsum getragen. Marcus Klemm, Professor für VWL und Statistik an der Technischen Hochschule Würzburg-Schweinfurt (THWS), geht nicht davon aus, dass die jetzt vereinbarte Lohnerhöhung die Kaufkraft makroökonomisch wesentlich beeinflusst. Höhere Löhne müsse es dafür flächendeckend bei allen, nicht nur bei einzelnen Unternehmen in der Region geben. 

Marcus Klemm, Professor für VWL und Statistik an der Technischen Hochscule Würzburg-Schweinfurt.
Foto: Laura Günthner | Marcus Klemm, Professor für VWL und Statistik an der Technischen Hochscule Würzburg-Schweinfurt.

Der Volkswirtschaftswissenschaftler verweist mit Blick auf die Kaufkraft auf einen anderen Aspekt:  "Die Kaufkraftschwächung, die stattfindet, weil Leute komplett ihren Job verlieren, die ist viel größer als das bisschen, was man herausholen könnte, weil man ein, zwei, drei Prozentpunkte mehr Lohnwachstum erzielt", sagt Klemm. Es gehe nicht nur um Stellenabbau, sondern auch darum, dass  nicht mehr eingestellt wird: "Wenn Leute schwerer in Arbeit kommen, weil das Lohnniveau zu hoch geworden ist, dann wäre das auch eine Schwächung von Kaufkraft in der Region."

Wie lässt sich der Lohnkostenanteil in Unternehmen einordnen?

Laut Thomas Höhn, Erster Bevollmächtigter der IG Metall Schweinfurt, bewegt sich der Lohnkostenanteil in einem Unternehmen wie ZF in Schweinfurt bei 12 bis 14 Prozent. Energie- und Materialkosten würden bei den Betrieben weitaus mehr ins Gewicht fallen. Nach Angaben der Gewerkschaft liegt der durchschnittliche Lohnkostenanteil von Unternehmen in der Metall- und Elektroindustrie bei 16,1 Prozent des Umsatzes.

In Unterfranken seien die Betriebe noch vergleichsweise homogen aufgestellt, sagt VWL-Professor Marcus Klemm: "Wenn man sich das Gesamtkonstrukt Metall und Elektro anschaut, dann hat man schon wahnsinnig viel Unterschiedlichkeit in den Unternehmen", sagt er. Häufig werde eine Zahl und Forderung herausgegriffen und über einen Kamm geschoren.

Das Problem bei Tarifverhandlungen: "Welche Spielräume kann man ermöglichen, denn es geht nicht allen Unternehmen gleich." Es sei schwierig, die Zahlen konkret einzuordnen, erklärt Klemm. Für die einen scheinen die Forderungen zu hoch, für die anderen zu niedrig. 

Wirkt sich der Tarifabschluss auf den laufenden Stellenabbau in Unterfranken aus?

Mit Blick auf den laufenden Stellenabbau zahlreicher Unternehmen in der Region sagte Verhandlungsführerin Angelique Renkhoff-Mücke nach der Tarifeinigung: "Viele Dinge, die jetzt angestoßen sind, werden wir dadurch definitiv nicht heilen können." Auch die IG Metall betonte, dass sich die strukturellen Probleme der Wirtschaft dadurch nicht lösen ließen.

Den Beschäftigten dürfte die Lohnerhöhung hingegen mehr Spielraum bieten, um Maßnahmen wie Kurzarbeit mit gleichzeitigem Lohnverzicht für eine gewisse Zeit hinnehmen zu können.

 
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  • Bruno Hattel
    Das alles und noch viel mehr, bekommen wir morgen bei ZF in Schweinfurt wieder abgenommen. Stichwort: Arbeitszeitverkürzung.
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  • Erich Spiegel
    Das Knallen in der Wirtschaft sollte doch laut genug sein, um zu kapieren was aktuell passiert. Stattdessen macht die IG Metall weiter als wäre man im Jahr 1980 und nicht in 2024. Dabei wäre es wichtig dem eigenen Publikum und der Gesellschaft den Ernst der Lage klar zu machen. Mit Volkswirtschaften, die fairen Wettbewerb und Arbeitnehmerrechte respektieren kann Deutschland konkurrieren. Bei Volkswirtschaften wie China sieht es anders aus: Arbeitnehmerrechte nur auf dem Papier. 72 Std. Woche die Regel, geringer Lohn. Dazu billige Energie, Auf die Umwelt wird keine Rücksicht genommen. Technisch ist China auf Augenhöhe mit dem Westen. Alle genannten Aspekte führen dazu, dass China die gleiche Qualität zum halben Preis liefern kann. Aktuell überschwemmen chinesische Produkte Europa. Es wird höchste Zeit, dass die Politik, Gewerkschaften und Gesellschaft eine Antwort auf China finden. Dabei geht es nicht nur um Wirtschaft, sondern langfristig um das Überleben der westlichen Demokratie.
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  • Elisabeth Hofmann
    wenn der Atomstrom als quasi grüner Strom eingestuft wird, dann müsste man doch den Abfall vom KKW wie Kompost im Vorgarten einbringen können ??

    und was Frankreich betrifft, ich habe vor 2 Jahren gesehen wie einige Flüsse im Sommer nur noch als Rinnsal zu bezeichnen waren und die KKW abgeschaltet werden mussten. Tolles Vorbild

    https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/klima-nachhaltigkeit/frankreich-atomreaktor-wegen-hitzewelle-heruntergefahren-19888764.html
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  • Erich Spiegel
    Jetzt ist alles gut? Leider nein. 5% Lohnerhöhung erhöhen die Arbeitskosten am Standort Deutschland weiter, der Jetzt schon nicht mehr wettbewerbsfähig ist. Selbst wenn die Lohnkosten prozentual relativ niedrig sind führen sie zusammen mit anderen Kosten (z. b. Energie) dazu, dass in Deutschland zu teuer produziert wird. Der Arbeitsplatz Abbau wird munter weiter gehen, besonders bei Energie intensiven Betrieben. Bis die Energie preise sinken vergehen noch Jahre. Hoffentlich ist es bis dahin nicht zu spät. Riesige Mengen an Strom werden benötigt, vor allem zur Wärmeerzeugung. Dafür müssen die erneuerbaren Energien noch stark ausgebaut werden. Es fehlt noch an allem (Stromspeicher, Netzausbau, etc.). Wenn die Autoindustrie, der Maschinenbau und due Chemie weg ist, dann haben wir nicht mehr viel womit das Geld für unseren Wohlstand verdient werden kann, ausser fränkischen Wein und Kuckucksuhren aus dem Schwarzwald
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  • Jürgen Huller
    Kein Wort über Bürokratie? Unseren überbordenden, nicht wertschöpfenden Verwaltungsstaat, der schon von vorne herein mehr als die Hälfte der Steuereinnahmen auffrisst und damit jede Regierung, welche Farbe Sie auch immer haben mag, praktisch handlungsunfähig macht? Was ist damit?

    Kein Wort zur Innovationsfeindlichkeit in konservativer Politik und Gesellschaft, die keine neuen Technologien und damit keine Erneuerung unserer Industrie und neuer Arbeitsplätze zulässt? Das Alte geht, was normal ist, aber wir lassen das Neue nicht zu. Deshalb fallen wir zurück.

    Strom ist wieder billig. Ihre Information ist veraltet. Mehr Erneuerbare werden die Preise weiter drücken. Wenn die Blokaden aufhören. Strom ist nur dann an der Strombörse teuer, wenn er fossil oder atomar erzeugt wird.

    Die schlechte Nachricht für Sie: Kuckucksuhren werden schon lange in Taiwan gefertigt.
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  • Kurt Redelberger
    Lieber Herr Huller zu behaupten erneuerbare Energien sind billiger als zum Beispiel Atomstrom aus Frankreich zeigt doch von wenig Schachverstand! Richtig ist das der Strom bei Sonnenschein und Wind zum Teil nichts kostet, da wir aber für die sogenannte Dunkelflaute Kraftwerke vorhalten müssen ist er aber Abends und besonders im Winter sehr teuer. Deshalb haben wir zusammen mit Dänemark den Weltweit höchsten Strompreis! Da ich öfter in Frankreich bin muss ich sagen meine Französische Freude schütteln über die deutsche Energiepolitik nur den Kopf. In Frankreich werden zur Zeit auch sehr viele Windkraftanlagen und Photovoltaikanlagen gebaut wenn sie Strom liefern werden vorraussichtlich die Kernkraftwerke abgeschaltet! Die dreckigen Kohlekraftwerke haben sie schon lange abgeschaltet. Atomstrom gilt übrigens außerhalb Deutschland als grüner Strom ob das richtig ist muß jeder selbst entscheiden. Wo sie Recht haben Atomstrom ist in Deutschland Geschichte!
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  • Dietmar Eberth
    Deutschland kann sich im Gegensatz zu Frankreich keinen staatlichen Stromkonzern wie EDF mit über 50 Milliarden Euro Schulden leisten
    https://www.zdf.de/nachrichten/politik/ausland/atomenergie-strom-frankreich-100.html

    Selbst China hat sich aus seinen Atombeteiligungen von Großbritannien zurückgezogen.
    https://www.fr.de/wirtschaft/atomkraft-in-grossbritannien-teurer-rueckzieher-bei-akw-hinkley-point-92733370.html

    Da lobe ich mir die Wertschöpfung im Inland bei den Erneuerbaren Energien, statt vorwiegend autokratischen Staaten Geld für fossile Rohstoffe in den Rachen zu werfen. Wie zb. zuletzt über 40 Prozent für Gas von Russland.
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  • Dietmar Eberth
    Stromgestehungskosten. Aktuelle [2024] Studie des Frauenhofer:

    https://www.ise.fraunhofer.de/de/presse-und-medien/presseinformationen/2024/photovoltaik-mit-batteriespeicher-guenstiger-als-konventionelle-kraftwerke.html

    Was sie bemängeln sind die Stromgesetze. Aber EE haben den fossilen Energieerzeugern längst den Rang abgelaufen.
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  • Ralf Eberhardt
    Wenn sogar die IG Metall feststellt, dass strukturelle Probleme mit einer Tarifeinigung nicht lösbar sind, dann sollte das zu denken geben. Ich meine sogar, dass die Lohn- und Gehaltssteigerungen diese befördern (werden). Und ja, mit Struktur sind zusätzlich auch die Energiekosten gemeint, aber auch strategische Problemfelder. Alle zusammen verbunden mit dem weiterhin starken Renditestreben, was letztlich zum Stellenabbau führt. Ein Teufelskreislauf, der aktuell viel stärker greift als noch vor Jahren!
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