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Schweinfurt
Hilfe für die Industrie in Main-Rhön: IG Metall kündigt Regionalstudie zur Standortsicherheit in Schweinfurt an
Die IG Metall plant eine Regionalstudie zur Zukunft der Industriearbeit in Schweinfurt. Welche konkreten Ziele sie verfolgt und was erste Ergebnisse daraus verraten.
In einer Studie wollen sich Forschende vom Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung (ISF) in München mit der Industriearbeit in Main-Rhön beschäftigen. Das Bild zeigt unter anderem Gebäude von ZF in Schweinfurt.
Foto: René Ruprecht | In einer Studie wollen sich Forschende vom Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung (ISF) in München mit der Industriearbeit in Main-Rhön beschäftigen. Das Bild zeigt unter anderem Gebäude von ZF in Schweinfurt.
Marcel Dinkel
 |  aktualisiert: 23.12.2024 02:29 Uhr

In den vergangenen Monaten jagte eine Hiobsbotschaft in der Wirtschaft die nächste. In fast allen großen Industriebetrieben der Region kündeten die Unternehmen einen, wenn auch sozialverträglichen, aber dennoch einschneidenden Stellenabbau an. Rund 5000 Industriearbeitsplätze drohen allein in Main-Rhön bis Ende 2028 zu verschwinden. Aus Sicht der IG Metall Schweinfurt reicht das Hinweisen auf die verschärfte Situation allerdings nicht mehr aus.

"Wir sind immer noch in einer schweren Krise hier in Schweinfurt", sagt Thomas Höhn, Erster Bevollmächtigter der IG Metall Schweinfurt, auf einer Pressekonferenz zur Zukunft des Industriestandorts. "Wir wollen auch, dass sich Rahmenbedingungen verändern, und Strukturpolitik stattfindet." 

Trotz des für die Region jüngst von Ministerpräsident Markus Söder angekündigten Förderpakets von 60 Millionen Euro, brauche es weitere Antworten. Die IG Metall lobt zwar die Größenordnung der bayerischen Finanzspritze, kritisiert jedoch die mangelnde Verknüpfung der Gelder an die Beschäftigungs- und Standortsicherung. Der Impuls müsse über das Förderpaket hinaus mit den Beschäftigten in die Betriebe übersetzt und in die richtigen Bahnen gelenkt werden, findet Höhn.

Gewerkschaft will mit Studie Beitrag zur Umstrukturierung leisten

Um einen konstruktiven Beitrag zur Umstrukturierung der Region zu leisten, hat sich die IG Metall bereits im September dieses Jahres gemeinsam mit der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung (HBS) auf die Suche nach einem Institut begeben, um eine wissenschaftliche Studie in Auftrag zu geben. Die HBS finanziert sich zu großen Teilen aus den abgeführten Tantiemen und Spenden von Arbeitnehmervertretern aus den verschiedenen Aufsichtsräten der Unternehmen.

Machten im vergangenen Jahr ordentlich Lärm: Tausende Beschäftigte aus der Industrie nahmen 2024 an verschiedenen Aktionstagen teil. Das Bild zeigt Industriearbeiter bei einer Kundgebung Anfang November in Schweinfurt.
Foto: Anand Anders | Machten im vergangenen Jahr ordentlich Lärm: Tausende Beschäftigte aus der Industrie nahmen 2024 an verschiedenen Aktionstagen teil. Das Bild zeigt Industriearbeiter bei einer Kundgebung Anfang November in Schweinfurt.

Fündig geworden sind Gewerkschaft und HBS beim Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung (ISF) in München. Das ISF ist ein unabhängiges Institut, das seit 60 Jahren sozialwissenschaftliche Forschung betreibt und der IG Metall nicht nahesteht. "Wir sind gemeinnützig, selbstorganisiert, haben keinen wirtschaftlichen Träger und gehören keinem Verband an", sagt Tobias Ritter, Arbeits- und Industriesoziologe am Institut. Der Schwerpunkt der Forschung am Institut liegt in der industriellen Produktion und der Automobilindustrie.

An den Stellschrauben in Betrieben und Region drehen

Man verstehe sich als Scharnier zwischen Wissenschaft, Technik und Praxis, mit Fokus darauf, wie sich Arbeit und Gesellschaft im Laufe der Zeit verändern, so Ritter. Erhoben werden die Daten in einer sogenannten Regionalstudie. In dieser sollen neben der reinen Analyse die Beschäftigten systematisch in die Forschung einbezogen und deren Ideen aufgenommen werden. Kernfrage der Studie in Schweinfurt ist, welche Stellschrauben innerhalb der lokalen Betriebe und der Umgebung gedreht werden können, um den industriellen Kern und Arbeitsplätze der Region zu erhalten. 

"Es reicht nicht, konjunkturelle Maßnahmen zu treffen. Es muss darum gehen, eine langfristige Zukunftsstrategie für die Region zu entwickeln"
Alexander Ziegler, Arbeits- und Industriesoziologe am ISF München

Die Industrieregion in Schweinfurt befinde sich spätestens seit der Pandemie in einem tiefen Strukturwandel, der von Digitalisierung, Dekarbonisierung, Energiewende und Geopolitik geprägt sei, sagt Soziologe Alexander Ziegler. Daran wollen die Forscher nun anknüpfen. "Es reicht nicht, konjunkturelle Maßnahmen zu treffen. Es muss darum gehen, eine langfristige Zukunftsstrategie für die Region zu entwickeln."

Neben der IG Metall nehmen Unterfrankens größter Arbeitgeber ZF, SKF sowie die Automobilzulieferer Schaeffler und Preh aus Bad Neustadt an der Studie teil. Alle vier sind gebeutelt von der aktuellen wirtschaftlichen Situation. Gemeinsam mit den Betrieben sollen Ideen entwickelt werden, um die Region zukunftsfähig aufzustellen.

Akteure aus Industrie und Wirtschaft zusammenbringen

In zwei vertiefenden Analysen im Maschinenbau und der Zulieferindustrie, sprechen die Forschenden mit den Beschäftigten in den Betrieben. Von Top-Führungskräften bis zum Produktionsarbeiter seien Akteure aller Ebenen vertreten, so Soziologe Norbert Huchler. Start der Studie war im September 2024. Seitdem haben die Forschenden rund 20 Interviews geführt. 

Zusätzlich zu den Gesprächen wertet das ISF auch ältere Studien über die Region aus. Neben der Analyse würden Beschäftigte so systematisch in die Forschung einbezogen und deren Ansätze aufgenommen. Erste Eindrücke daraus seien sowohl "erschreckend" als auch "hoffnungsvoll", so die Forschenden.

IG Metall und Forschende rufen zur Teilnahme auf

Neben einer Beschäftigungsunsicherheit herrsche der Wunsch nach Planungssicherheit. Gleichzeitig gäbe es in den Betrieben Initiativen auf verschiedenen Ebenen. "Abteilungen, die sich durchaus Gedanken machen über Geschäftsmodelle". Diese würden jedoch häufig übersehen oder stoßen auf eine unklare Zukunft. Doch es gäbe auch innovative Allianzen, in denen Betriebsräte gemeinsam mit dem Management Probleme angehen. Das Potenzial innerhalb der Unternehmen sei bereits hoch. "Wenn jetzt noch eine Bewegung in der Region entstehen würde, wäre das der nächste Schritt", so Huchler. Hierfür sei man jedoch auf die Partizipation der Akteure vor Ort angewiesen.

Die Ergebnisse der Studie sollen im September 2025 auf einer Regionalkonferenz in Schweinfurt vorgestellt werden. Man wolle damit weg von gegenseitigen Schuldzuweisungen und ein Angebot zur Mitgestaltung machen, ergänzt Thomas Höhn. "Wenn sich Situationen krisenhaft darstellen, ist meine feste Überzeugung, dass wir zusammenarbeiten müssen, wo es geht. Dieses Signal wollen wir senden."

Dies setze ein Grundinteresse für die Zukunft der Region voraus. Firmenpolitik nützlicher gestalten, fernab von hohen Gewinnmargen und einem Nutzen für alle, fasst der Bevollmächtigte zusammen. "Wir wollen all diejenigen, die aktiv sind, dazu einladen, über ideologische Grenzen hinweg an diesem Zukunftspakt und Lösungen für Schweinfurt mitzuarbeiten."

 
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