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"Go&Change"-Prozess in Schweinfurt vor Abschluss: Worum es geht, wie verhandelt wurde und was jetzt wichtig ist
Seit mehr als 30 Verhandlungstagen läuft der Prozess gegen Kai K. am Landgericht Schweinfurt. Wer inzwischen den Überblick verloren hat: hier das Wichtigste in der Übersicht.
Seit Februar über 30 Mal: Der Angeklagte Kai K. wurde an jedem Prozesstag gefesselt in den Saal am Landgericht Schweinfurt gebracht.
Foto: René Ruprecht | Seit Februar über 30 Mal: Der Angeklagte Kai K. wurde an jedem Prozesstag gefesselt in den Saal am Landgericht Schweinfurt gebracht.
Benjamin Stahl
 |  aktualisiert: 15.11.2024 02:38 Uhr

Nach einem dreiviertel Jahr steht der Prozess gegen den Kopf der umstrittenen Gemeinschaft "Go&Change" vor dem Abschluss. An diesem Dienstag halten die Verteidiger von Kai K. vor dem Landgericht Schweinfurt ihre Plädoyers. Ob am selben Tag auch das Urteil fällt, ist offen.

Worüber wird seit Februar 2024 verhandelt und wieso dauert dieser Prozess so lange? Antworten auf die wichtigsten Fragen: 

Worum geht es in dem Verfahren am Landgericht Schweinfurt?

Kai K., der 42-jährige Angeklagte, genießt unter Anhängerinnen und Anhängern der Gemeinschaft "Go&Change", die in Lülsfeld (Lkr. Schweinfurt) ein ehemaliges Kloster bewohnt, den Status eines Gurus. Die Staatsanwaltschaft Schweinfurt wirft K. vor, im Mai 2023 eine heute 31-Jährige an mehreren Tagen misshandelt zu haben, um ihr Dämonen auszutreiben. Konkret stehen 33 Fälle vorsätzlicher Körperverletzung und vierfache Vergewaltigung im Raum, außerdem soll K. die Frau dreimal bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt haben.

Mit welchem Aufwand wurde das Verfahren geführt?

Das Verfahren wuchs sich zum Mammutprozess aus. Am Dienstag, 12. November, findet der 33. Prozesstag statt. Insgesamt hat das Gericht seit Februar 32 Zeuginnen und Zeugen gehört, darunter Anhänger und Aussteiger der Gemeinschaft sowie Polizistinnen und Polizisten. Zweimal wurde die 31-jährige Geschädigte, die als Nebenklägerin auftritt, befragt.

Außerdem wurden mehrere Gutachten erstellt: ein toxikologisches Gutachten zum Drogenkonsum von Kai K., ein rechtsmedizinisches, das unter anderem die Verletzungen der 31-Jährigen dokumentierte und Blutspuren der Frau im Schlafzimmer des Angeklagten nachwies, und ein psychiatrisches zur psychischen Verfassung des Angeklagten.

Das Gericht ließ zudem zahlreiche Nachrichten von Kai K. und der Geschädigten aus Chats und Online-Portalen verlesen, Sprachnachrichten abspielen und zeigte Videos von Vernehmungen der 31-Jährigen. So wurde nicht nur der Tatzeitraum thematisiert, sondern auch das Innenleben der Gemeinschaft durchleuchtet.

Warum dauert der Prozess so lange?

Ursprünglich waren zwischen Mitte Februar und Anfang April 2024 acht Prozesstage geplant. Dass das Verfahren nun deutlich länger dauert, liegt vor allem an der Verteidigung, die den Prozess mit immer neuen Anträgen verzögerte. Dazu zählten Dutzende Beweisanträge, aber auch Befangenheitsanträge gegen das Gericht und die zuständige Staatsanwältin. Juristen, die den Prozess beobachten, sagten gegenüber der Redaktion, Verhandlungen wie diese könnten im Normalfall nach fünf bis sechs Gerichtstagen beendet sein.

Wie war die Stimmung bislang im Gerichtssaal?

Die Stimmung war angespannt, teilweise auch hitzig. Auch das lag vor allem an der Verteidigung. Hubertus Werner und Helmut Mörtl, die beiden Wahlverteidiger von Kai K., verfolgten eine aggressive Strategie, mit der sie einerseits die Glaubwürdigkeit der Geschädigten in Zweifel ziehen wollten. Andererseits stellten sie zahlreiche Anträge, um das Gericht zu vielen Entscheidungen zu zwingen, die möglicherweise einen Revisionsgrund liefern könnten. Werner und Mörtl stellten dabei das Gericht wiederholt auf eine Geduldsprobe. Außerdem gingen sie die Geschädigte, die Gutachter, die Polizei, die Staatsanwältin und die Vorsitzende Richterin verbal an.

Wie groß war die öffentliche Aufmerksamkeit?

Diese Redaktion berichtet seit Februar über jeden Verhandlungstag. Überregionale Medien, darunter die Süddeutsche Zeitung, Die Zeit und der Bayerische Rundfunk haben regelmäßig an dem Prozess teilgenommen. Für Pressevertreter sind im Gerichtssaal zehn Plätze reserviert.

Die übrigen rund 20 Plätze am Landgericht waren an jedem Prozesstag mit Interessierten komplett belegt, darunter waren Bürgerinnen und Bürger aus Lülsfeld, "Go&Change"-Aussteiger oder Angehörige von aktuellen "Go&Change"-Mitgliedern. Vor allem nahmen aber Anhängerinnen und Anhänger von "Go&Change" in großer Zahl am Prozess teil. Regelmäßig wollten mehr Personen in den Gerichtssaal, als es Plätze gab.

Schon seit Februar 2024: Regelmäßig war der Andrang vor dem Schweinfurter Gericht groß.
Foto: Josef Lamber | Schon seit Februar 2024: Regelmäßig war der Andrang vor dem Schweinfurter Gericht groß.

Muss Kai K. ins Gefängnis?

Nach seiner Festnahme im Mai 2023 saß Kai K. zunächst in Untersuchungshaft in einer JVA. Vor rund einem Jahr wurde er in eine forensische Psychiatrie verlegt. Zu welchem Urteil das Gericht voraussichtlich in dieser Woche kommen wird, ist völlig offen. Die Staatsanwaltschaft forderte in ihrem Plädoyer eine Haftstrafe von sechseinhalb Jahren, der Anwalt der 31-jährigen Nebenklägerin forderte sieben Jahre. Der psychiatrische Gutachter hält Kai K. allerdings für teilweise schuldunfähig; er diagnostizierte eine drogeninduzierte Psychose und eine Drogenabhängigkeit.

Für den Fall einer Verurteilung regte der Sachverständige an, K. in einer Entziehungsanstalt unterzubringen. Möglich ist auch, dass der 42-Jährige bei einer Verurteilung zunächst in einer psychiatrischen Einrichtung untergebracht wird und später den Rest seiner Haftstrafe in einem Gefängnis verbüßt. Auch ein Freispruch ist möglich.

 
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