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Schweinfurt
Gespräch mit der Frauenhaus-Chefin Sabine Dreibholz: Warum nimmt die Gewalt gegen Frauen zu? Woher kommt der Hass?
Frauen und Kindern Sicherheit und Schutz vor Gewalt bieten: Was Frauenhaus und Trägerverein "Frauen helfen Frauen" dafür anbieten. Und warum es noch viel zu tun gibt.
Sabine Dreibholz, langjährige Leiterin des Frauenhauses Main-Rhön, im Februar 2023  bei der Aktion 'One Billion Rising' auf dem Schweinfurter Marktplatz. Diese weltweite Bewegung setzt sich mit Aktionen gegen Gewalt an Frauen und Mädchen ein.   
Foto: Archivfoto Martina Müller | Sabine Dreibholz, langjährige Leiterin des Frauenhauses Main-Rhön, im Februar 2023  bei der Aktion "One Billion Rising" auf dem Schweinfurter Marktplatz.
Susanne Wiedemann
 |  aktualisiert: 15.07.2024 11:24 Uhr

22 Jahre arbeitete Sabine Dreibholz im Frauenhaus, seit 2019 als fachliche Leiterin. Jetzt ist sie in Ruhestand gegangen. Im Interview erzählt sie, was sich ändern muss, damit Frauen ohne Gewalt leben können. "Es gibt noch dicke Bretter zu bohren", sagt sie. 

Sehen Sie eine Zunahme von Gewalt gegenüber Frauen? 

Sabine Dreibholz: Ja. In meinem Jahresbericht für 2023 habe ich das so formuliert: Im virtuellen Raum werden Frauen immer mehr zum Opfer von Hatespeech und massiven sexualisierten Beleidigungen. Frauenhass und Antifeminismus werden vor allem im Internet ungeniert verbreitet. Die Zündschnur ist bei vielen Menschen kürzer geworden, der allgemeine Ton rauer und das gesellschaftliche Klima aggressiver. Das reicht auch hinein in die privaten Beziehungen. Die Zahlen von polizeilich registrierter häuslicher Gewalt steigen nahezu kontinuierlich an, in den letzten fünf Jahren deutschlandweit um 13 Prozent.  80,1 Prozent der Opfer von Partnerschaftsgewalt sind weiblich. Im Bereich der Partnerschaftsgewalt lebte die Hälfte der Opfer mit dem Täter zusammen. 133 Frauen und 19 Männer sind im Jahr 2022 durch ihre Partner oder Ex-Partner getötet worden.

Haben Sie eine Erklärung dafür? 

Dreibholz: Das Erstarken von rechtsextremen Parteien und damit verbunden eine Zunahme der Akzeptanz einer patriarchalen Dominanz, ist auch mit einem Anstieg von Anti-Feminismus und mit Frauenhass verbunden. Das ist nicht nur in Deutschland so, beobachte ich. Man könnte das so interpretieren, dass sich der weiße Mann um seine Privilegien gebracht fühlt.

Welche Rolle spielt Erziehung dabei? Laut einer Untersuchung von Plan International Deutschland sind 34 Prozent der befragten jungen Männer einer Frau gegenüber handgreiflich geworden, um Respekt einzuflößen. 

Dreibholz: Erziehung spielt sicher eine Rolle. Aber auch die traditionellen Rollenbilder, die jetzt wieder vermehrt gelebt und propagiert werden. Der Mann als Hauptverdiener, die Frau kümmert sich primär um Haushalt und Kinder. Ich sehe schon Zusammenhänge mit der sozioökonomischen Entwicklung. Die fetten Jahre sind vorbei. Die Menschen besinnen sich wieder auf feste Strukturen, die Sicherheit geben, auf Gewohnheiten, auf das, was bekannt ist.   

Wie wirken sich die wirtschaftliche Situation, die weltweiten Krisen auf die Bereitschaft zur Trennung aus?  

Dreibholz: Der Anstieg der globalen und sozioökonomischen Belastungsfaktoren in gesellschaftlichen Umbruchzeiten verursacht Unsicherheiten und wirkt sich auch lähmend auf die Entscheidung aus, sich vom gewalttätigen Partner zu trennen. Die enger werden Rahmenbedingungen – Existenznöte, Angst vor sozialem Abstieg, Isolation und Überforderung, die Sorge, nach der Trennung keine bezahlbare eigene Wohnung und keinen Kitaplatz zu finden – schaffen keine Sicherheit, sondern verstärken vorhandene Zukunftsängste.

Müssen Frauen, die einen gewalttätigen Partner verlassen, mit negativen Reaktionen rechnen? 

Dreibholz: Teilweise ja. Einerseits erfahren manche Frauen Unterstützung aus ihrem sozialen Umfeld, aber oft kommt es leider zur "Täter-Opfer-Umkehr".  Sie verhalte sich eben nicht richtig, gebe sich nicht genug Mühe. Als wir vor 43 Jahren das Frauenhaus gegründet haben, war es Nestbeschmutzung, häusliche Gewalt anzusprechen. Die Frauenhausmitarbeiterinnen galten als Emanzen oder gar Männerhasserinnen und die misshandelten Frauen als schlechte Frauen, die die Gewalt des Partners selbst provoziert und verdient hätten. Außerdem wurde davon ausgegangen, dass Partnergewalt ein Unterschichtproblem sei. Das ist es nicht. Gewalt gegen Frauen kommt in allen Schichten, Milieus, in allen Bildungsniveaus, in allen Kulturen oder Religionen und in allen Altersstufen vor.

Was muss sich Ihrer Meinung nach ändern, damit Frauen, die Gewalt erleben, ohne Angst weiterleben können?

Dreibholz: Das Gewaltschutzgesetz muss konsequenter umgesetzt werden. Der Schutz von Frauen und Kindern muss an erster Stelle stehen. Das Gesetz ermöglicht, zum Beispiel ein Kontakt- und Näherungsverbot gegenüber denen auszusprechen, die die Frau und oder die Kinder bedrohen. Also gegen Partner, Väter, Ehemänner. Je länger es dauert, so ein Verbot auszusprechen, umso schwieriger wird die Situation für die Frau. Im Optimalfall kommt eine Eilanordnung im Lauf eines Tages.

Wir beobachten aber, dass Personalengpässe bei Behörden und Gerichten zu Verzögerungen führen. Ein weiteres Topthema ist nach wie vor der nicht funktionierende Gewaltschutz. Immer noch werden viel zu viele Femizide in Deutschland verübt und die Gewaltschutzanordnungen nicht konsequent umgesetzt, die Schutzanordnungen bleiben lückenhaft, die Polizei und Strafverfolgungsbehörden sind überlastet. Die in der Diskussion befindlichen Fußfesseln für Gewalttäter zur Kontrolle der Einhaltung des Kontaktverbotes wären eine sinnvolle Maßnahme zur Gefahrenabwehr. 

Die Entscheidung, eine Gewalttat anzuzeigen, ist sicher nicht einfach. 

Dreibholz: Viele Taten werden der Polizei nicht gemeldet, etwa durch innerfamiliäre Kontrolle und Abhängigkeiten, Angst, erlernte Hilflosigkeit sowie Unwissenheit oder infolge von Scham- und Schuldgefühlen.  

Was hilft den Frauen, sich aus der Gewalt zu lösen? 

Dreibholz: Informationen, über rechtliche Möglichkeiten zum Beispiel, über Hilfs- und Beratungsangebote.  Es ist ganz wichtig, dass die von Gewalt betroffene Frau weiß, dass es einen Ausweg aus der Gewaltbeziehung gibt, dass sie die Gewalt nicht ertragen muss. Vor allem braucht sie konkrete Unterstützung und die Zuversicht, dass sie das schaffen kann. Viele von Gewalt betroffene Frauen fühlen sich ohnmächtig und wissen nicht, was sie tun können, um aus dieser Gewaltsituation heraus zu kommen. Aber auch der Austausch mit anderen Frauen hilft.  Und das Bewusstsein, nicht sich selbst die Schuld zu geben, sich stattdessen klarzumachen, dass man nicht die erste ist, die auf einen Narzissten hereingefallen ist. Dass man nicht die erste Frau ist, die in einer toxischen Beziehung gesteckt hat. Das ist oft eine Befreiung und öffnet neue Wege. Die Frauen können dann endlich den ewigen Kampf um seine Anerkennung und Liebe aufgeben.  

Sind Kinder da, ist die Trennung sicher doppelt schwierig.

Dreibholz: Es ist schon paradox. Frauen retten sich und ihre Kinder aus einer von Gewalt geprägten Beziehung und sollen aber nach dem Einzug ins Frauenhaus Toleranz beweisen und großzügigen Umgang des Vaters mit den Kindern gewähren. Die seit August 2018 in Deutschland rechtsgültige Istanbul-Konvention (IK) – Übereinkommen des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt – stellt klar, dass in allen Entscheidungen zum Sorge- und Umgangsrecht die Sicherheit der von Gewalt betroffenen Frauen und Kinder gewährleistet sein muss. Es soll ein Paradigmenwechsel stattfinden. Statt kooperierender Elternschaft nach der Trennung oder dem Recht des Kindes auf Umgang mit beiden Elternteilen steht nunmehr das Recht auf Schutz der Kinder und der Mutter vor weiterer Gewalt im Fokus. Das muss in eine veränderte Praxis bei den Familiengerichten münden. Dazu ist noch viel Überzeugungsarbeit in verschiedenen Gremien zu leisten, bei denen wir Frauenhausmitarbeiterinnen mit unserer Expertise gefragt sind.

Frauenhaus Main-Rhön

Der Verein "Frauen helfen Frauen" wurde 1979 von Frauen aus Stadt und Landkreis Schweinfurt gegründet, mit dem Ziel, in Schweinfurt ein Frauenhaus als Zufluchtsstätte aufzubauen. Nur mit Spendengeldern wurde 1980 das erste Frauenhaus in einer 140 Quadratmeter großen Wohnung eröffnet. Die Stadt Schweinfurt war in den ersten zehn Jahren der einzige Zuschussgeber, obwohl die Hilfe suchenden Frauen nicht nur aus Schweinfurt, sondern aus der gesamten Region kamen. 1989 kam es zur staatlichen Förderung, 1990 beteiligten sich die Landkreise der Region Main-Rhön. Das Frauenhaus ist aber auch auf Spenden und auf die Unterstützung durch Ehrenamtliche angewiesen. 
1994 wurde das jetzige Frauenhaus bezogen, in dem zwölf Frauen mit ihren Kindern gleichzeitig wohnen können. Seit 1995 bezuschussen die Stadt Schweinfurt und die Landkreise Schweinfurt, Bad Kissingen, Haßberge und Rhön-Grabfeld das Frauenhaus zu gleichen Teilen. 2023 lebten 37 Frauen und 54 Kinder im Frauenhaus. Dreiviertel stammten aus dem Einzugsbereich Main-Rhön.  
Quelle: Frauenhaus Main-Rhön
 
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  • Georg Schulz-Hertlein
    Zitat aus dem Artikel: "Gewalt gegen Frauen kommt in allen Schichten, Milieus, in allen Bildungsniveaus, in allen Kulturen oder Religionen und in allen Altersstufen vor".

    Und "Im virtuellen Raum werden Frauen immer mehr zum Opfer von Hatespeech und massiven sexualisierten Beleidigungen. Frauenhass und Antifeminismus werden vor allem im Internet ungeniert verbreitet. Die Zündschnur ist bei vielen Menschen kürzer geworden, der allgemeine Ton rauer und das gesellschaftliche Klima aggressiver."
    Das ist keine Wunschursache. Mit dem letzten Zitat wird ein Bezug zur Zunahme rechtsextremer, patriarchalischer Tendenzen hergestellt was durchaus zutrifft.
    Dass es in Deutschland auch Menschen aus Kulturkreisen gibt, welchen Frauen weniger Rechte zubilligen oder diese unterdrücken, ist davon unbenommen.
    Gerade deshalb sollten wir jeglichen geschlechtlichen Diskriminierungen, Unterdrückung und Gewalt entschlossen entgegentreten, anstatt mit dem Finger nur auf andere Kulturkreise zu zeigen.
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  • Erna Müller
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  • Roland Rösch
    Richtige Worte gefunden und voll die Zustimmung Frau Müller .
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  • Erna Müller
    Soso das erstarken von "rechtsextremen Parteien" soll also die "Wunschursache" sein. Es liegt sicher nicht daran, dass vemehrt Kulturkreise hier leben, bei denen eine Frau keinen Wert genießt....Aber das scheint komplett unter den Tisch zu fallen und darf nicht mal angesprochen werden...
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