Der erste Schlag fiel am Tag nach der Hochzeit. Häufig sei sie kurz davor gewesen, sich von ihm zu trennen, erzählt die Frau, die unerkannt bleiben möchte. Doch ihr Mann habe schnell gelernt, ihre Gutmütigkeit auszunutzen. "Er war oft im Krankenhaus, wegen seiner Krankheit, dann hat er mich angerufen und gesagt, dass er sterben wird, wenn ich ihn verlasse. Ich habe Mitleid gehabt und bin wieder zu ihm zurück."
Fast zwölf Jahre ist es her, dass sie ihren Mann verlassen hat. Mit ihren Kindern ist sie eines Tages von zu Hause geflohen und hat komplett neu angefangen. Heute weiß die Frau, dass sie emotional von ihrem Partner erpresst wurde. "Ich habe ihm vertraut, aber das waren alles nur Spiele von ihm."
Jede dritte Frau erfährt im Laufe ihres Lebens Gewalt
Elisabeth Kirchner weiß nur allzu gut, mit welchen Gefühlen Frauen zu kämpfen haben, die Gewalt erfahren haben. Die psychologische Psychotherapeutin arbeitet für die Fachberatungsstelle des gemeinnützigen Würzburger Vereins "Wildwasser". Das Team aus Psychologinnen und Sozialpädagoginnen hat sich auf die Arbeit mit Frauen spezialisiert, die von sexuellem Missbrauch, Vergewaltigung oder anderen Formen sexualisierter, körperlicher oder seelischer Gewalt betroffen sind.
"Aus repräsentativen Studien wissen wir, dass jede dritte Frau im Laufe ihres Lebens Gewalt erfährt. Viele dieser Frauen erreichen wir noch gar nicht", sagt sie. Problematisch sei auch die weitere Versorgung, da viele Frauen oft lange keinen Therapieplatz finden würden, in der sie die Folgen aufarbeiten könnten.
2021 hatte Wildwasser insgesamt 430 Beratungsfälle. In 98 Fällen wandten sich Menschen im Bezug auf häusliche Gewalt an den Verein. 35 Prozent dieser Frauen haben seelische Gewalt erfahren, 32 Prozent körperliche Gewalt, 16 Prozent Vergewaltigungen, acht Prozent andere sexualisierte Gewalt und sieben Prozent Stalking. Der Verein bietet den Frauen in Krisen oder bei aktueller Gewalt in der Regel kurzfristig einen Termin an. "Leider können wir die Frauen dann aber nicht so umfangreich begleiten, wie es notwendig und sinnvoll wäre", bedauert Kirchner. "Gewalt, die über Jahre ertragen wurde, hat Folgen."
Soziale und auch gesundheitliche Folgen
Das weiß auch Petra Müller-März. Die Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Würzburg spricht sowohl von sozialen, als auch von gesundheitlichen Folgen. Soziale Folgen können Belastungen durch Trennung, Wohnungswechsel und Arbeitsplatzverlust sein. Als gesundheitliche Folgen nennt Müller-März zum Beispiel Angstzustände, Panikattacken, Depressionen oder sogar die Schädigung innerer Organe, Narben und verminderte Seh- oder Hörfähigkeit. "Nachbetreuung und Behandlung sind daher wichtig, hilfreich und sinnvoll", sagt sie.
Die Stadt Würzburg gibt laut Sozialreferentin Hülya Düber jährlich etwa 250.000 Euro für die Finanzierung der Beratung von Frauen, die Gewalt erlebt haben, aus. Etwa 112.000 Euro fallen in den Fachbereich Soziales, 138.000 Euro in den Fachbereich Jugend und Familie. Daneben fördert die Stadt Würzburg gemeinsam mit den Landkreisen Würzburg, Main-Spessart und Kitzingen den Betrieb zweier Frauenhäuser.
Der Platz in den Frauenhäusern ist knapp
Für Frauen, die häusliche Gewalt erfahren, sind Frauenhäuser oft die letzte Zuflucht. Zwei solche Frauenhäuser gibt es in Würzburg, betrieben von der Arbeiterwohlfahrt (AWO) und vom Sozialdienst katholischer Frauen (SkF). Ihr Einzugsbereich umfasst die Stadt und den Landkreis Würzburg sowie die Landkreise Kitzingen und Main-Spessart, die sich auch an den Kosten beteiligen. Der Standort ist anonym, um zu vermeiden, dass die Bewohnerinnen weiterhin von ihren Peinigern bedrängt werden. Doch der Platz in den Frauenhäusern ist knapp.
"Wir haben Lücken bei der Versorgung in Deutschland, in Bayern und auch in Würzburg. Zum einen geht es um den Bedarf von Schutzplätzen, zum anderen aber auch um eine proaktive Beratung, denn nicht jede gewaltbetroffene Frau möchte in ein Frauenhaus gehen", erklärt Brita Richl, Leiterin des AWO-Frauenhauses, im Gespräch mit der Redaktion.
Sie sieht Verbesserungsbedarf beim Gewaltschutzgesetz, das den Schutz einer Person vor allen Formen von Gewalt im privaten und häuslichen Umfeld bezweckt. Richl wünscht sich, dass Gewaltschutzanträge leichter von Gerichten beschieden würden. "Das wäre vor allem für Frauen, die nicht aus ihrer gewohnten Umgebung weg möchten, eine gute Möglichkeit, Sicherheit zu schaffen."
Eine weitere Versorgungslücke sieht sie im Wohnraum. Viele Frauen seien quasi chancenlos auf dem Wohnungsmarkt. "Es melden sich zunehmend Frauen bei uns, die in schwierigen Trennungssituationen leben und kein großes Eigeneinkommen haben. Da ist der Weg in die eigene Wohnung kaum mehr möglich."
Doch Richl hat auch gute Nachrichten: Im Rahmen des Bundesinvestitionsprogramms wird das AWO-Frauenhaus derzeit saniert und barrierefrei mit zusätzlichen drei Plätzen ausgebaut. Damit können Frauen mit Behinderungen, Frauen mit vielen Kindern und Frauen mit männlichen jugendlichen Kindern aufgenommen werden.
Trotz fehlenden Platzes soll jede Frau eine individuelle Unterstützung bekommen
Immer mal wieder kommt es vor, dass Frauen aufgrund eines fehlenden freien Platzes abgewiesen werden müssen. Theresa Jörg, Leiterin des Frauenhauses im SkF betont jedoch, dass jede Frau, die eine Anfrage stellt, trotz fehlenden Platzes eine individuelle Unterstützung bekomme. Hierbei herrsche eine enge Kooperation zwischen den beiden Frauenhäusern. "Wir bieten Beratung sowie Unterstützung bei der Antragstellung nach dem Gewaltschutzgesetz an. Mit jeder Frau wird gemeinsam entschieden, welche Hilfe für sie und ihre Kinder am sinnvollsten und angemessen ist", so Jörg.
Laut einer bayerischen Bedarfserhebung aus dem Jahr 2016 wurden für die Region, dazu zählen Stadt und Landkreis Würzburg sowie die Landkreise Main-Spessart und Kitzingen, 19 Frauenhaus-Bedarfsplätze errechnet. Seit Februar 2021 stellt das AWO-Frauenhaus zehn Plätze, das SkF-Frauenhaus sechs. Nach dem Ausbau des Frauenhauses sollen ab 2024 drei weitere Plätze zur Verfügung stehen. "Dann hätten wir zumindest die Bedarfszahl gedeckt", sagt Richl. Ob dies ausreiche, könne sie noch nicht sagen. "Aber zumindest ist das ein wichtiger erster Schritt, der längst überfällig ist."
75 Tage blieben die Frauen im Schnitt im letzten Jahr im AWO-Frauenhaus. Insgesamt fanden 30 Frauen und 42 Kinder dort und in einer angemieteten Übergangswohnung Obhut. Im Frauenhaus des SkF haben im vergangenen Jahr 25 Frauen sowie 25 Kinder Zuflucht bei einer durchschnittlichen Verweildauer von 66 Tagen gefunden. "Es gab Frauen, die bis zu einer Woche akut Schutz suchten, aber auch Frauen, die bis zu einem Jahr in unserem Frauenhaus wohnten", so Theresa Jörg. Auch der SkF bietet Übergangswohnungen an.
298 Fälle von häuslicher Gewalt gab es 2021 in Stadt und Landkreis Würzburg
1735 Fälle von häuslicher Gewalt gab es laut Polizei im vergangenen Jahr in Unterfranken, 223 Fälle davon in der Stadt und 75 Fälle im Landkreis Würzburg. Bei etwa 80 Prozent handelte es sich dabei um männliche Täter. Im Mehrjahresvergleich sei zwar ein leichter Rückgang der Vorgänge zu verzeichnen, heißt es aus der Pressestelle. Allerdings sei dies das Hellfeld, also die Vorfälle, von denen die Polizei Kenntnis erlangt hat. Die am häufigsten angezeigten Delikte sind Körperverletzungen, Beleidigungen, Bedrohungen sowie Nötigungen. Aber auch Vergehen nach dem Gewaltschutzgesetz: ein Bruch des Kontaktverbots sowie Nachstellung wurden durch die betroffenen Personen angezeigt.
Doch die Dunkelziffer ist hoch. Noch immer trauen sich viele Frauen nicht, über ihre Not zu sprechen oder sich Hilfe zu suchen. Häusliche Gewalt sei weiterhin ein Tabuthema, sagt Theresa Jörg. Viele Frauen würden keinen Zugang zum Unterstützungssystem bekommen, da der Täter sie beispielsweise isoliert und stark kontrolliert. Brita Richl sieht hier auch die Gesellschaft in der Schuld. "Vielen Frauen wird nicht geglaubt.
Außerdem gibt es noch immer sehr tradierte weibliche Rollen: Frauen seien zuständig für die Harmonie und die Familie und deren Wohlergehen, heißt es oft. Es gilt, diese Barrieren zu überwinden, doch das gesellschaftliche Klima trägt einen Teil dazu bei, dass sie es nicht schaffen", so Richl.
Wo Frauen in Würzburg Schutz und Beratung finden können
- Frauenhaus der Arbeiterwohlfahrt; Kreisverband Würzburg-Stadt e.V.: Postfach 31 42, 97041 Würzburg; Tel.: (0931) 6 19 810.
- Frauenhaus Sozialdienst katholischer Frauen e.V. Würzburg: Postfach 5568; 97005 Würzburg; Tel.: (0931) 45 00 70.
- Fachberatungsstelle Wildwasser: Theresienstraße 6-8, 97070 Würzburg; Tel.: (0931) 13287; E-Mail: info@wildwasserwuerzburg.de
- Beratung durch das Polizeipräsidium Unterfranken, Beauftrage der Polizei für Kriminalitätsopfer (BPfK) oder durch die Schwerpunktsachbearbeiter Häusliche Gewalt auf jeder Polizeidienststelle im Bereich Unterfranken
Klar gibt es auch Gewalt gegen Männer, aber Männer können sich immer noch leichter wehren als Frauen, Mädchen oder Kinder. Das sollte uns allen doch bewußt sein, oder?