
Fast 40 Jahre war Gertrud Türk bei der GbF (Gesellschaft zur beruflichen Förderung) aktiv. Die langjährige Geschäftsführerin übergab ihr Amt kürzlich offiziell an die bisherige Prokuristin Henriette Dinkel. Im Gespräch zieht sie Bilanz über ihre Erfahrungen und macht sich Gedanken über die Zukunftssorgen der Jugendlichen.
Gertrud Türk: Ein gutes Miteinander und auch Teamgeist sind entscheidende Faktoren für eine gute Arbeit. Nur wenn sich die Mitarbeiter wohlfühlen, gut und gerne miteinander arbeiten, fühlen sich auch die Teilnehmer wohl und lassen sich motivieren.
Türk: Ja, das sind sie unbedingt. Unsere Pädagogen und Ausbilder sind wichtige Bezugspersonen für unsere Jugendlichen und natürlich beobachten die Jugendlichen genau, wie sich unsere Mitarbeiter verhalten und schauen sich viel von ihnen ab. Soziale Umgangsformen werden oft erlernt durch reines Vorleben. Wenn unsere Mitarbeiter freundlich, höflich und motiviert sind oder Wert auf Pünktlichkeit legen, übernehmen das unsere Teilnehmer irgendwann. Manchmal braucht es aber auch aktive Erfahrungen im sozialen Miteinander. In manchen unserer Maßnahmen gibt es zum Beispiel Jugendliche, die es von daheim nicht kennen, dass man gemeinsam an einem Tisch isst. Diese Erfahrungen wollen wir sie dann unbedingt erleben lassen, indem wir zusammen kochen und essen.
Türk: Entscheidend ist die richtige Berufswahl. Gerade für unsere Klientel gibt es mittlerweile hervorragende Angebote der Berufsorientierung. Gut ist es auch, vorher ein Praktikum zu absolvieren oder eine Erprobung, entweder in einem Betrieb oder in unseren Werkstätten. Hier kann man überprüfen, ob der künftige Ausbildungs- oder Arbeitsplatz oder das Arbeitsfeld zu einem passt. Manchmal ist es auch besser, ein Jahr in eine berufsvorbereitende Maßnahme zu gehen. Das ist besser, als die Ausbildung abzubrechen oder die Prüfung nicht zu schaffen.
Türk: Mein Menschenbild und mein Verständnis von Arbeit sind geprägt von der katholischen Soziallehre. Arbeit ist ein Teil des Menschseins, gibt Erfüllung und bietet die Chance, sich zu verwirklichen und einzubringen. Egal in welchem Bereich man arbeitet oder auch wenn es sich manchmal nicht so anfühlt, längst nicht alles ist vorgegeben oder reglementiert und kann mitgestaltet werden. Wenn nicht für sich alleine, dann vielleicht als Jugendvertreter, in der Schülermitverwaltung oder im Betriebsrat. Für mich gehört außerdem zur Arbeit unbedingt lebenslanges Lernen dazu.
Türk: Ich finde es schon gut, dass die jungen Leute nicht wie wir Alten immer nur arbeiten, arbeiten, arbeiten wollen und sich Gedanken über Work-Life-Balance machen. Aber die allgemeine Arbeitsmarktsituation und der aktuelle Fachkräftemangel führen aus meiner Sicht dazu, dass wir uns in eine etwas falsche Richtung bewegen. So stellt sich etwa bei einem Vorstellungsgespräch nicht mehr der Bewerber vor, sondern der Arbeitgeber, der sich viele Dinge einfallen lässt, um für den Bewerber attraktiv zu sein. Das erzeugt leicht das Gefühl, ich kann auswählen, Bedingungen stellen. Und wenn irgendwo irgendetwas nicht passt, suche ich mir was Neues. Dabei wäre es besser und für die Persönlichkeitsentwicklung wichtig, sich mal durchzubeißen und dranzubleiben. Ich glaube, da schaffen wir uns eine Generation heran, die sich schwertun wird, wenn es einmal (wieder) anders läuft.
Türk: Es ist total wichtig, positive Leistungen anzusprechen, Rückmeldung zu geben. Zu sagen: "Gut gemacht." Das müssen wir uns in unserer pädagogischen Arbeit regelmäßig bewusst machen, denn zu loben ist gesellschaftlich nicht unbedingt Standard. Natürlich muss auch angesprochen werden, was nicht gut ist oder verbessert werden muss. Aber wir setzen in unserer Arbeit grundsätzlich bei den Kompetenzen an, nicht bei den Defiziten. Wir schauen also, was läuft gut und was können wir verstärken.
Türk: Wir beobachten, vor allem seit Corona, dass Kinder und Jugendliche zunehmend psychisch belastet sind. Das soziale Miteinander hat gelitten. Familien waren überfordert. Plötzlich alle eng zusammengepresst, keiner durfte mehr raus. Die Folgen des Corona-Lockdowns sind immer noch zu spüren. Wir sind vor einigen Jahren in den Bereich Jugendsozialarbeit an Schulen eingestiegen, arbeiten intensiv mit dem Jugendamt zusammen. Nicht nur die Anzahl an Kindeswohlgefährdungen, sondern auch der Betreuungsbedarf ist immens gewachsen. Im Übrigen nicht nur für die Kinder selber, sondern auch für die Familien. Und das gilt mittlerweile für alle Schulformen. Diese pädagogische Sozialarbeit war und ist sehr fordernd für unsere Mitarbeiter. Aber sie meistern das mit hoher Professionalität und viel Liebe und Leidenschaft. Was sie leisten, ist bewundernswert und ich bin wirklich stolz auf sie.
Türk: Ich glaube, in unsere Gesellschaft schauen wir immer auf das halbleere Glas und neigen dazu, Dinge überzubewerten, die nicht so gut sind. Wir setzen uns damit gesellschaftlich unnötig unter Druck und wirken dazu noch mehr und mehr handlungsunfähig. Offensichtlich geht damit die positive Orientierung verloren, und bei den jungen Menschen wachsen Unsicherheit und Zukunftsängste, obwohl es dazu nicht wirklich einen Grund gibt. Vor allem wirtschaftlich geht es uns gut, der Arbeitsmarkt ist besser als je zuvor. Aber irgendetwas im Hintergrund belastet unsere Kinder und Jugendliche. Wir müssen wieder selbstbewusster werden, auch was die Veränderbarkeit von Rahmenbedingungen anbelangt.
Türk: Ich sage es jetzt mal ein bisschen böse: Unsere pädagogische Arbeit wird mittlerweile weitgehend von Technokraten und Bürokraten definiert und festgelegt, auch die Kriterien für die Bewertung unserer Arbeit. Wir haben ein bisschen andere Vorstellungen, was gute Arbeit ist. Unser Ziel ist es, mit den Jugendlichen zu arbeiten, sie zu unterstützen und voranzubringen und nicht sie zu verwalten und gut zu dokumentieren. Wenn wir uns unseren Jugendlichen anschauen, wie er bei uns anfängt und wo er am Ende steht und wenn er in der Zwischenzeit eine gute Entwicklung gemacht hat, dann ist das der Erfolg unserer Arbeit. Auch wenn er vielleicht mal durch die Prüfung fällt: Für die Statistik ist das schlecht, aber möglicherweise für den Jugendlichen nötig oder sogar hilfreich, weil er einfach ein bisschen mehr Zeit braucht, bis er zum Ziel kommt.
Türk: Personalführung. Bei uns arbeiten ganz unterschiedliche Menschen und Charaktere. Die Kunst ist es, all die verschiedenen Potenziale aus den Leuten herauszuholen, alles so zu gestalten, dass sich jeder gut einbringen kann und gute Kommunikationsformen miteinander zu finden. Ich bin schon relativ lange im Geschäft, habe auch strukturell verschiedenste Veränderungen mitgemacht. Sich strukturell anzupassen an die notwendigen Veränderungen und alle dabei mitzunehmen, war eine weitere große Herausforderung.
Die GbF (Gesellschaft zur beruflichen Förderung) ist ein gemeinnütziges Bildungsunternehmen der Handwerkskammer für Unterfranken, die mit ihren Maßnahmen zur beruflichen Förderung und Integration benachteiligte junge Menschen für ihre beruflichen Tätigkeiten qualifiziert und auf den Berufseinstieg vorbereitet, berät und begleitet.