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Schweinfurt
Kindeswohlgefährdung: Das sind Anzeichen für Misshandlung oder Vernachlässigung und das können Sie bei Verdacht tun
2303 Verdachtsfälle von Kindeswohlgefährdung gab es 2023 in Unterfranken, die meisten in Schweinfurt. Der Jugendamtsleiter erklärt warum und was Warnsignale sein können.
Vernachlässigt oder Gewalt erfahren? In Unterfranken gab es im vergangenen Jahr 2303 Verfahren wegen des Verdachts der Kindeswohlgefährdung (Symbolbild).
Foto: Getty Images | Vernachlässigt oder Gewalt erfahren? In Unterfranken gab es im vergangenen Jahr 2303 Verfahren wegen des Verdachts der Kindeswohlgefährdung (Symbolbild).
Natalie Greß
 |  aktualisiert: 21.09.2024 02:32 Uhr

Die bundesweite Entwicklung ist besorgniserregend: Das Wohl von mindestens 63.700 Kindern und Jugendlichen in Deutschland war 2023 laut Statistischem Bundesamt gefährdet - ein neuer Höchststand. Tatsächlich fällt er noch höher aus, denn einige Jugendämter meldeten wegen Fehlern bei der Erfassung, dem Cyberangriff auf einen IT-Dienstleister oder Überlastung des Personals keine Daten.  

In Bayern ging die Anzahl der Verdachtsfälle von Kindeswohlgefährdung 2023 im Vergleich zum Vorjahr leicht zurück: 20.295 Verfahren zur sogenannten Gefährdungseinschätzung teilten die Jugendämter dem Landesamt für Statistik mit, rund 800 weniger als 2022. In sechs von zehn Fällen stellten sie dabei eine akute (2621) oder eine latente (2202) Kindeswohlgefährdung fest - oder Hilfebedarf (7285) durch Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe, zum Beispiel Unterstützung durch Erziehungsberatung.

Kindeswohlgefährdung: Das sind Anzeichen für Misshandlung oder Vernachlässigung und das können Sie bei Verdacht tun

In Unterfranken gab es laut Statistischem Landesamt im vergangenen Jahr insgesamt 2303 Verfahren. Davon betroffen waren 1158 Jungen und 1145 Mädchen. In 342 Fällen wurde eine akute, in 302 Fällen eine latente Kindeswohlgefährdung ermittelt. 779 Einschätzungen ergaben Hilfebedarf. 

Die meisten Verdachtsfälle gab es laut Statistik in der Stadt Schweinfurt. Warum dort? Was können überhaupt Warnsignale für eine Kindeswohlgefährdung sein? Und wie verhalte ich mich im Verdachtsfall richtig? Antworten gibt der Leiter des Stadtjugendamts Schweinfurt, Thorsten Schubert. 

Thorsten Schubert leitet das Stadtjugendamt Schweinfurt.
Foto: Andrea Richter | Thorsten Schubert leitet das Stadtjugendamt Schweinfurt.

Wann ist das Wohl eines Kindes gefährdet? 

"Wenn Leib oder Leben von Minderjährigen in Gefahr sind, sprechen wir von akuter Kinderwohlgefährdung", sagt Thorsten Schubert. "In der Regel sind das dramatische Fälle von körperlicher, seelischer oder sexueller Misshandlung, von Vernachlässigung bis zur Verwahrlosung oder häuslicher Gewalt unter Eltern."

Das Wohl eines Kindes könne aber auch aus von Eltern unverschuldeten Gründen gefährdet sein: "Wenn beispielsweise ein alleinerziehender Elternteil ins Krankenhaus kommt, seine Aufsichtspflicht nicht wahrnehmen und das Kind auch nicht bei Verwandten untergebracht werden kann."

Von latenter Kindeswohlgefährdung ist die Rede, "wenn durch einen unterschwelligen Missstand eine Gefahr für das weitere Wohlergehen des Kindes droht", erklärt der Jugendamtsleiter. Wenn Eltern beispielsweise mit der Erziehung überfordert seien und nicht konsequent handeln könnten, "dann gefährdet das langfristig die Entwicklung des Kindes". Die Eltern würden dann Unterstützung brauchen. 

Was können Anzeichen für eine Kindeswohlgefährdung sein? 

Hinweise auf Misshandlungen können laut Schubert etwa häufig auftretende blaue Flecke oder außergewöhnliche Schürfwunden sind, für die das Kind keine schlüssige Begründung nennen kann. Auch plötzlich verändertes Verhalten wie starker sozialer Rückzug könnte ein Warnsignal sein, sagt der Jugendamtsleiter: "Wenn ein Kind oft ungewaschen ist, schmutzige Kleidung trägt oder um Essen bettelt, liegt der Verdacht einer Vernachlässigung nahe." Relevant sei dann, ob die Auffälligkeiten einmalig oder regelmäßig sind. 

Der Leiter des Schweinfurter Stadtjugendamts betont: "Wir wollen kein Denunziantentum fördern, sodass Menschen bei jeder Unruhe in der Nachbarwohnung sofort die Polizei rufen. Uns ist wichtig, dass wir dann informiert werden, wenn es klare Indizien dafür gibt, dass das Wohl von Kindern ernsthaft gefährdet ist."

An wen wende ich mich bei einem Verdacht von Kindeswohlgefährdung?

Alle Landkreise und kreisfreien Städten haben sogenannte "insofern erfahrene Fachkräfte", kurz ISEF, an den Jugendämtern oder Erziehungsberatungsstellen. Sie helfen Erziehern oder Erzieherinnen, Lehrern oder Lehrerinnen, Verdachtsfälle einzuordnen. Bürgerinnen oder Bürger können sich bei einem Verdacht direkt an das Jugendamt wenden.  

Wenn es keine eindeutigen Indizien für Kindeswohlgefährdung gebe - "etwa, dass ein Kind erzählt, es werde in der Familie geschlagen und hat blaue Flecken" – empfehle es sich, erst einmal anonymisiert zu besprechen, wie brisant ein Verdacht tatsächlich ist, rät Thorsten Schubert. "Anonymisiert deswegen, weil das Jugendamt, sobald Namen genannt werden, die Betreffenden aufsuchen muss."

Bestätige sich dann ein Verdacht nicht, könne das gerade für Fachkräfte weitreichende Konsequenzen haben. "Sie arbeiten da in einem Spannungsfeld. Wenn sie unbegründet eine Kindeswohlgefährdung melden, ist das mit den Familien zur Zusammenarbeit notwendige Vertrauensverhältnis schnell zerstört", sagt Schubert.

Bei eindeutigen Indizien oder wenn sich der Verdacht erhärtet, sei der jeweilige Allgemeine Sozialdienst oder der Bezirkssozialdienst der erster Ansprechpartner. 

Warum ist die Zahl der Verdachtsfälle von Kindeswohlgefährdung in Schweinfurt so hoch?

385 Verfahren zur Gefährdungseinschätzung gab es 2023 in der Stadt Schweinfurt – so viele wie nirgendwo sonst in Unterfranken. Der städtische Jugendamtsleiter begründet das mit der "außergewöhnlichen Sozialstruktur". Schweinfurt sei als Stadt recht klein ist, aber sehr urban: "Als Industriestadt verfügt sie über Wohnblöcke und Hochhaussiedlungen mit vergleichsweise günstigem Wohnraum. Dort leben mehr benachteiligte Familien als in flächenmäßig größeren und einwohnerstärkeren Städten mit mehr gutbürgerlichen Stadtteilen", erklärt Schubert. Die Familien würden teils "auf engem Raum und unter prekären Bedingungen wie Arbeitslosigkeit oder Kinderarmut" leben. "Das sorgt für mehr Probleme." 

Nicht jede Meldung bedeutet eine tatsächliche Kindeswohlgefährdung. Bei den 385 Verfahren in Schweinfurt wurden 40 akute und vier latente Fälle festgestellt. In 155 Fällen war Hilfebedarf nötig. Zwar weniger Verdachtsfälle, aber mehr Kindeswohlgefährdungen gab es in der Stadt Würzburg und im Landkreis Kitzingen. In Würzburg waren es 48 akute und 26 latente Fälle sowie 33 Fälle von Hilfebedarf. Im Landkreis Kitzingen war das Kindeswohl in 48 Fällen akut und in 53 Fällen latent gefährdet, 88 Mal gab es Hilfebedarf. 

 
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