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Ochsenfurt
Stress, Schulangst, Depression: Warum Kinder und Jugendliche immer noch unter den Folgen der Pandemie leiden
Bei vielen jungen Menschen haben die Corona-Jahre Spuren hinterlassen. Wie Psychologinnen und Lehrkräfte die Lage einschätzen und welche Lösungsansätze es gibt.
Angststörungen und ausufernder Medienkonsum sind nur zwei Probleme, die Psychologinnen und Psychologen seit der Corona-Pandemie vermehrt bei Kindern und Jugendlichen beobachten.
Foto: Nicolas Armer, dpa (Symbolfoto) | Angststörungen und ausufernder Medienkonsum sind nur zwei Probleme, die Psychologinnen und Psychologen seit der Corona-Pandemie vermehrt bei Kindern und Jugendlichen beobachten.
Anna-Lena Behnke
 |  aktualisiert: 26.09.2024 02:34 Uhr

Ausgangssperre, Kontaktbeschränkungen, geschlossene Schulen und Kitas, dazu die allgegenwärtige Angst vor Ansteckung – im Frühjahr 2020 hat die Corona-Pandemie Deutschland erreicht und Menschen aller Altersgruppen abrupt aus dem Alltag gerissen. Doch während viele Erwachsenen die Einschnitte der Corona-Jahre gut überstanden haben, sieht es bei Kindern und Jugendlichen ganz anders aus. Bis heute spüren viele junge Menschen noch die Nachwirkungen der Pandemie. Sie leiden besonders häufig an einem erhöhten Stresslevel, Angststörungen oder Depressionen.

"Die Pandemie hat viele psychische Probleme an den Tag gebracht und die sind nicht so leicht wieder zu lösen", sagt Schulpsychologin Stefanie Kernwein. Zahlen des Bundesamts für Statistik belegen einen deutlichen Anstieg solcher Diagnosen. Etwa 19 Prozent der zehn- bis 17-jährigen Krankenhauspatienten und -patientinnen wurden demnach 2022 wegen psychischer Erkrankungen und Verhaltensstörungen eingeliefert. Zehn Jahre zuvor war der Anteil mit 13 Prozent deutlich geringer.

Lücken im Lernstoff bestehen teilweise bis heute

Vor allem das soziale Miteinander habe in der Zeit schwer gelitten. Folgen davon seien bis heute etwa Schulangst oder Mobbingvorfälle, sagt Kernwein, die psychologische Beratung für Kinder und Jugendliche an den Mittelschulen in Ochsenfurt und Gaukönigshofen sowie an den Grundschulen im südlichen Landkreis Würzburg anbietet. "So etwas ist nicht ohne weiteres wieder vergessen. Wir betreuen Fälle oft mehrere Jahre." Aus ihrer Sicht sei man zu schnell wieder in den Normalzustand übergegangen, ohne den Folgen der Corona-Jahre für Kinder und Jugendliche genügend Aufmerksamkeit zu schenken.

Manche Schülerinnen und Schüler hätten in der Zeit etwa Lücken im Lernstoff aufgebaut, die danach nie richtig geschlossen wurden, so die Schulpsychologin. "Das bringt natürlich auch psychische Belastungen mit sich."

Solche Lücken machen sich nach den Erfahrungen von Nicole Hofmann häufig im Bereich Lesen und Rechtschreibung bemerkbar. Hofmann unterrichtet an der Grundschule Sonderhofen und ist Beratungslehrerin an Grund- und Mittelschulen im südlichen Landkreis Würzburg. "Wenn ich Schüler auf Lese-Rechtschreib-Störung teste, fällt öfter auf, dass eigentlich nur die Übung fehlt", sagt Hofmann. Ein Problem, das die Lehrerin auf das Homeschooling zurückführt. Damals habe das Elternhaus viel auffangen müssen, sodass zusätzliche Rechtschreib- und Leseübungen oftmals zu kurz gekommen seien, sagt sie. In vielen anderen schulischen Bereichen haben sich die Schwierigkeiten aus Sicht der Lehrerin bereits wieder eingependelt.

Mehr Jugendliche kehren von der Realschule an die Mittelschule zurück

"Direkt nach der Corona-Pandemie gab es viel Unterstützung vonseiten des Kultusministeriums", sagt Joachim Zürn, Schulleiter der Mittelschule Gaukönigshofen. "Da sind zusätzliche Förderstunden eingerichtet worden und spezielle Ferienprogramme, um sich fehlenden Lernstoff anzueignen. Das ist ganz gut gelaufen." Allerdings habe man diese Maßnahmen mittlerweile längst wieder eingestellt, so Zürn. "Dabei hätten wir diese Stunden sicher noch ganz gut brauchen können."

Dafür gebe es an der Mittelschule Gauköngishofen klare Indizien, meint der Schulleiter. In den letzten Jahren gebe es etwa auffällig viele "Rückläufer", berichtet er und meint damit Schülerinnen und Schüler, die etwa von der Realschule oder der Wirtschaftsschule an die Mittelschule zurückkehren. Auch Konzentrationsphasen vieler Jugendlicher seien heute kürzer, Probleme in Sachen Arbeitsverhalten häufiger. Ob diese Veränderungen ausschließlich auf die Pandemie zurückzuführen sind, ist Zürn zufolge allerdings schwer zu sagen.

Erhöhte Nachfrage bei der Erziehungsberatung

Auch in der Erziehungs- und Familienberatungsstelle des Sozialdiensts katholischer Frauen (SkF) in Würzburg ist die Nachfrage in den vergangenen Jahren gestiegen. "Wir waren vorher schon voll, jetzt sind die Wartelisten eben noch länger", sagt Leiterin Verena Delle Donne. Trotzdem wolle sie Eltern ermutigen, die Angebote des SkF anzunehmen und sich auch bei kleineren Fragestellungen Unterstützung zu suchen.

'Wir waren vorher schon voll, jetzt sind die Wartelisten eben noch länger', sagt Verena Delle Donne, Leiterin der Erziehungsberatungsstelle des Sozialdiensts katholischer Frauen. 
Foto: Daniel Peter (Archivfoto) | "Wir waren vorher schon voll, jetzt sind die Wartelisten eben noch länger", sagt Verena Delle Donne, Leiterin der Erziehungsberatungsstelle des Sozialdiensts katholischer Frauen. 

Im südlichen Landkreis Würzburg ist die Erziehungs- und Familienberatung des SkF mit Außenstellen in Ochsenfurt und Giebelstadt sowie wechselnden Beratungsangeboten an Schulen und Kindergärten in der Umgebung vertreten. 

Ein Thema, das die Beratungsstellen seit der Pandemie vermehrt beschäftigt, ist ausufernder Medienkonsum. "Während der Pandemie hatten viele Kinder unbegrenzten Zugang zu digitalen Medien. Danach war es für viele Eltern schwierig, das dann wieder einzudämmen", sagt Delle Donne. Dies gehe oft zulasten von "echten" sozialen Begegnungen abseits des Bildschirms.

"Nur die Schule oder nur die Eltern für sich lösen das Problem selten."
Schulpsychologin Stefanie Kernwein

Darüber hinaus berichtet sie von häufigerem sogenanntem Schulabsentismus, das heißt von dauerhaftem oder wiederkehrendem Fehlen im Unterricht. Delle Donne führt dies teilweise auf soziale Ängste zurück, die durch die Pandemie mit Ausgangsbeschränkungen und Schulschließungen befeuert wurden.

Vor allem Jugendliche haben Einschränkungen getroffen

Doch nicht alle Altersgruppen hat die Corona-Zeit gleichermaßen getroffen. Besonders herausfordernd waren Ausgangssperren und Kontaktbeschränkungen etwa für Jugendliche, da sind sich die Psychologinnen Verena Delle Donne und Stefanie Kernwein einig. "In dem Alter wäre es für die Entwicklung wichtig gewesen, sich mit Gleichaltrigen zu treffen. Aber das war ja nicht möglich", sagt Kernwein. Prägende Erfahrungen würden so fehlen und seien auch nur schwer nachzuholen.

Lernen vor dem Computer, statt im Klassenzimmer: Die Corona-Pandemie nahm über Jahre großen Einfluss auf den Alltag von Schülerinnen und Schülern.
Foto: Alexander Kaya, dpa (Symbolfoto) | Lernen vor dem Computer, statt im Klassenzimmer: Die Corona-Pandemie nahm über Jahre großen Einfluss auf den Alltag von Schülerinnen und Schülern.

Verschärft würden die Nachwirkungen der Pandemie für Kinder, Jugendliche und Familien durch weitere Probleme. Dazu zähle etwa der Fachkräftemangel an Schulen, Kitas und Beratungsstellen sowie fehlende Psychotherapie-Plätze, erklärt Verena Delle Donne. Dabei bräuchte es eigentlich noch mehr Ressourcen im Kinder- und Jugendbereich.

Das betont auch Schulpsychologin Stefanie Kernwein. "Vor allem in schwierigen Fällen braucht es ein Netzwerk", sagt sie. Helfen könnten dann etwa multiprofessionelle Teams, in denen Lehrkräfte, Psychologen, Jugendsozialarbeiterinnen, aber auch die Eltern eng zusammenarbeiten, sagt Kernwein. "Nur die Schule oder nur die Eltern für sich lösen das Problem selten."

Hier gebe es bereits Schritte in die richtige Richtung, sagt Beratungslehrerin Nicole Hofmann. "Ich habe den Eindruck, es wird etwas getan und versucht, das Bildungssystem zu stärken", sagt sie und nennt etwa mehr Stellen in der Jugendsozialarbeit. "Aber es bleibt natürlich die Einschränkung, dass wir Lehrkräfte personell dünn besetzt sind."

 
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  • Stefan Krug
    Die "Eltern" hätten ja auch eigenständig
    Zuhause mit ihren Kindern lernen können.
    Aber da sind ja andere Sachen wichtiger.
    Wie haben das eigentlich unsere Großeltern nach dem Krieg gemacht?
    Die waren auch alle traumatisiert und hatten keine Psychologen zum reden.
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  • Roland Rösch
    Langsam wird es Standard den Schuldigen immer einer Katastrophe wie Corona. Krieg . Asylanden usw für das Versagen ihrer eigenen Verantwortlichkeit vorzuschieben. Welche Tabletten haben Familien nach dem Krieg bekommen um diese bewältigen zu können? Schlimmere Erlebnisse und größere Herausforderungen die Bewältigt worden sind . Heute kommt man ohne Psychotherapeuten nicht mal in die Schule oder man wird gemoppt wenn man dumm angemacht wird.
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  • Ralf Eberhardt
    Danke, dass Sie dieses Thema am Leben halten. Es ist bei Politikern schon lange vergessen. Dort plant ist zwar einiges im Gange, aber trifft mit dem Pisa-Turbo (in Bayern) eben nur einen kleinen Ansatz - der allerdings nicht mit psychologischen Ansätzen läuft. Homeschooling und Homeoffice ersetzt eben nicht die zusätzlichen Impulse aus dem Präsenz-Unterricht/Arbeiten.
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