
Die Zahl der Studierenden in Deutschland steigt und steigt. Laut Statistischem Bundesamt waren im Wintersemester 2022/2023 fast drei Millionen Studierende an den Hochschulen und Universitäten eingeschrieben. Im Handwerk hingegen ist die Zahl der abgeschlossenen Ausbildungsverträge seit Jahren rückläufig. Im Jahr 2022 haben sich bundesweit 127.400 Menschen für eine Ausbildung im Handwerk entschieden. 2012 waren es noch 145.491.
Zahlen darüber, wie viele Menschen ein Studium beginnen und - nach Abbruch oder Abschluss - dann als Azubi im Handwerksbetrieb loslegen, gibt es laut Statistischem Bundesamt nicht. Der Wechsel vom Hörsaal an die Werkbank ist jedoch keine Ausnahme.
Hier berichten fünf Menschen aus der Region, warum sie sich nach der Uni für das Handwerk entschieden haben.
1. Lilli Schmelz (24), im ersten Lehrjahr zur Schreinerin: "Es macht mir einfach Spaß, etwas mit den Händen zu machen"

"Nach meinem Abitur habe ich vier Jahre lang Kommunikationsdesign in Würzburg studiert und danach in einer Agentur in Heilbronn gearbeitet. Schon während dieser Zeit habe ich mit dem Gedanken gespielt, Schreinerin zu werden, weil ich nicht die ganze Zeit vor dem Computer sitzen wollte. Es macht mir einfach Spaß, etwas mit den Händen zu machen.
Handwerk ist für mich eine bodenständige und feinsinnige Arbeit, bei der sowohl der Prozess vom aufgeschnittenen Baum bis hin zum fertigen Tisch sehr ästhetisch ist. In der Ausbildung habe ich dann gemerkt, wie umfangreich der Beruf der Schreinerin ist. Die Arbeit ist generell wesentlich komplexer, als ich im Vorhinein dachte. Auch dass ich momentan noch als einzige Frau in der Werkstatt arbeite, ist – anders als gedacht –kaum ein Thema.
Im Vergleich zum Studium habe ich deutlich längere und intensivere Arbeitstage. Dennoch: An einem guten Arbeitstag fühle ich mich positiver erschöpft als an einem Tag an der Uni – auch weil ich mich den Tag über körperlich betätigt habe. Langfristig ist mein Plan, das Designstudium mit dem Handwerk zu verbinden. Ich bin froh darüber, dass ich mich so entschieden habe."
2. Daniel Hall (29), im zweiten Lehrjahr zum Zimmerer: "Wenn ein Kollege mal wieder über den Langzeitstudenten frotzelt, nehme ich das mit Humor"

"Der zündende Punkt, um ins Handwerk zu wechseln, kam bei mir während des Corona-Semesters, als ich mehr Zeit in der Hobbywerkstatt meines Vaters verbrachte als bei Vorlesungen. Insgesamt habe ich sieben Jahre studiert. Angefangen mit Nanophysik, danach kam Informatik, dann Wirtschaftsmathematik.
Begonnen hat diese Odyssee nach dem Abitur. Damals wurde mir von vielen Seiten eingeredet, zu studieren. An der Uni wirst du einfach in den Fluss geworfen und musst sehen, wo du bleibst und was du belegen musst. Diese Richtungslosigkeit, während der Jugend und dann nochmal bestärkt durch Corona, haben sich auch auf meine Psyche ausgewirkt. Für mich war es ein innerer Kampf, mein Studium abzubrechen, schließlich habe ich da viel Zeit reingesteckt.
Lange wollte ich es nicht wahrhaben, dass ich es nicht schaffe, bis ich endlich ehrlich zu mir selbst war. Während eines Praktikums half ich dann auf einer Baustelle an einem siebenstöckigen Hochhaus auf der Baustelle mit. Dort konnte ich mich austoben. Die körperliche Auslastung tat meinem Geist gut. Klar, macht man sich bei dieser Art der Arbeit auch mal die Hände schmutzig, aber das gibt dir auch das Gefühl, lebendig zu sein.
Ja, das Klima auf einer Baustelle scheint etwas rauer zu sein, aber das härtet einen auch ab. Das Leben passt schließlich auch nicht immer darauf auf, dass es dir gut geht. Wenn ein Kollege mal wieder über den Langzeitstudenten frotzelt, nehme ich das mit Humor. Heute bin ich belastungsfähiger und stressresistenter und habe mehr Struktur im Leben."
3. Thomas Lutz (38), Ausbildung zum Elektroniker: "Finanziell war der Schritt ins Handwerk schon ein Rückschritt"

"Ich habe 14 Jahre lang als studierter Elektroingenieur in vier verschiedenen Firmen gearbeitet. Dort war ich vor allem in der Softwareentwicklung tätig und im Prinzip den ganzen Tag im Büro am Computer gesessen und habe Arbeit delegiert. Im Laufe dieser Zeit habe ich immer mehr gemerkt, dass der Büroalltag nicht mehr meine Welt war. Ich hatte immer gehofft, dass das eines Tages besser wird, wurde es aber nicht.
In meiner Freizeit habe ich schon immer gerne auf Baustellen bei Freunden mitgeholfen, Wände verputzt oder elektrische Leitungen verlegt. Der Gedanke, mit der Ausbildung noch einmal etwas Neues zu wagen, ist so die letzten Jahre über gereift. Nach einigen Praktika im Bereich Elektrotechnik - unter anderem auch bei dem Betrieb, bei dem ich heute arbeite – habe ich das so für mich ausgelotet.
Ich selbst hatte zu Beginn meiner Ausbildung starke Vorbehalte, als jemand in der Berufsschule zu sitzen, der im Schnitt doppelt so alt war wie die anderen. Die waren aber nach kürzester Zeit passé, da neben mir noch andere 30-Jährige umschulten. Heute haben wir eine tolle Klassengemeinschaft.
Finanziell war der Schritt ins Handwerk schon ein Rückschritt. Als Ingenieur habe ich locker zehn Euro mehr in der Stunde verdient. Geld ist für mich aber auch nicht alles im Leben und bevor ich noch bis zur Rente etwas arbeite, was mir keine Freude bereitet, verzichte ich lieber auf den ein oder anderen Luxus. Ohne meine Frau, die ebenfalls Geld verdient, wäre das jedoch nicht möglich."
4. Melanie Rapp (33), im dritten Lehrjahr zur Schreinerin: "Dass ich Akademikerin bin, hat noch nie eine Rolle gespielt"

"Bevor ich meine Ausbildung zur Schreinerin begann, habe ich Volkskunde und Kunstgeschichte in Würzburg studiert, um daraufhin einen Master in Denkmalpflege in Bamberg abzuschließen. Anschließend habe ich zwei Jahre beim Landesamt für Denkmalpflege Baden-Württemberg gearbeitet. Dabei habe ich gemerkt, dass ich noch näher an die Objekte ran möchte.
Ich habe schon immer gerne gebastelt und mit meinen Händen gearbeitet. Also habe ich den Schritt in die Praxis gewagt. Der Umstieg ist mir nicht schwergefallen, obwohl ich schon spürbar verkopfter an die ein oder andere Sache rangehe, als meine Kollegen. Ich schätze die Abwechslung im Beruf, sowohl der einzelnen Arbeitsschritte, als auch der verschiedenen Projekte. Während meiner Ausbildung habe ich viele offene Menschen kennengelernt – auch, wenn es für manche auf der Baustelle ungewohnt war, dort eine Frau zu sehen.
Dass ich Akademikerin bin, hat noch nie eine Rolle gespielt. Ein deutlicher Einschnitt für mich war der Gehaltsunterschied, gerade im Vergleich zum Azubigehalt. Generell halte ich die Entlohnung im Handwerk für zu niedrig und durchaus für fragwürdig. Für mich ist theoretische Arbeit im Studium genau so viel Wert, wie die Praxis."
5. Moritz Obenhofer (25), im zweiten Lehrjahr zum Zimmerer: "Als die Kurse wieder richtig losgingen, habe bemerkt, dass ich hier nicht hinpasse"

"Nach meinem Abitur war ich, wie viele andere Abiturienten, recht planlos, was ich mit meinem Leben anfangen soll. Im Leben wurde mir immer das Gefühl gegeben, dass es wichtig sei, zu studieren. Nach einem Jahr Work-and-Travel in Australien, habe ich mich deshalb ins Studium drängen lassen. Vier Semester Bauingenieurwesen in Frankfurt, danach in Würzburg fünf Semester Philosophie mit Nebenfach Wirtschaftswissenschaften.
Das erste Semester hat mir auch Spaß gemacht, bis Corona kam, samt Online-Vorlesungen und Online-Klausuren. Als die Kurse dann wieder richtig losgingen, habe ich bemerkt, dass ich hier nicht hinpasse und dass ich mich unwohl fühle. Die Studiengänge habe ich beide abgebrochen. Meine Elternwaren waren am Anfang nicht davon begeistert, dass ich hingeschmissen habe.
Meine Mutter hat ein kleines Architekturbüro, mein Vater ein kleines Bauunternehmen. Dadurch habe ich bereits in meiner Kindheit in der Werkstatt mitgearbeitet und meine Ferien auf der Baustelle verbracht. Bei der Agentur für Arbeit hat man mich dann beraten und mir weitergeholfen.
Am Zimmerhandwerk reizte mich besonders, dass man viel rechnen und seinen Kopf anstrengen muss. Seitdem ich arbeite, teile ich mir meine Zeit deutlich erwachsener ein als im Studium und setze auch meine Prioritäten besser. Ich habe jetzt zwar weniger Freizeit, dadurch hat meine Lebensqualität aber nicht abgenommen. Der Wert der Zeit ist deutlich gestiegen. Zudem gefällt es mir, dass ich mein Leben mit Miete, Auto und allem, was sonst noch dazu gehört, selbst finanzieren kann."
ist das hier ein ziemlich albernes Akademiker Bashing!
Ich bin zwar für eine Aufwertung der Lehre/ dualen Ausbildung, aber mit Beschimpfungen von Studenten/akademischer Ausbildung erreicht man sicher nicht das Ziel, dass jegliche Ausbildung gleich bewertet wird.
Mittelfristig wird sich eine Lehre mit anschließender Weiterbildung zum Techniker/Meister als lukrativerer Berufsweg etablieren, da bin ich mir sicher.
„Ach Gott! Für Geld muss ich arbeiten?!“
Wir sehen ja heute schon, wo wir gelandet sind. Studenten, die nach ihrem Abschluss bestenfalls anderen Leuten sagen wollen, wie sie zu arbeiten haben. Doof nur, dass bald keine Leute mehr da sind, die diese vorgegebenen Arbeiten ausführen.
Insgesamt scheint es ein Problem zu sein, dass viele Abiturienten irgendwelche Studienfächer wählen, wo es weder Bedarf gibt, noch der Lebensunterhalt vernünftig bestritten werden kann. Warum informiert man sich nicht vor Beginn des Studiums???
Das waren absolut unnötige und unproduktive "Arbeitsplätze", die aber dennoch gut bezahlt und auch angesehen waren.
Diesen Luxus kann man sich nun aber immer weniger leisten, da die bisher dafür vertanene Finanzmittel für dringendere Aufgaben gebraucht werden und die Schulden und die Inflation immer neue Höchststände erreichen.
Es ist so gesehen eine gute Idee sich einen "soliden" Beruf zu suchen, der seinen Mann und seine Frau sicher besser nährt als ein reines Orchideenfachstudium.
Es wird gar nicht mehr so lange dauern, bis ein guter Handwerker ein höheres Ansehen und Einkommen hat als ein gewöhnlicher Allerwelts-Akademiker mit Kasperkram-Studium
So pauschal ist diese Aussage aber vermutlich völlig neben der Realität.
Es kommt schon sehr darauf an, was eine/r studiert.
In Mint - Fächern wird es kaum arbeitslose Akademiker geben.
Handwerk sollte, auch finanziell, gleichgestellt sein mit Arbeiten am PC.
In Zeiten von Handwerkermangel wünscht man sich, dass noch mehr Menschen ins Grübeln kommen ob die theoretische Arbeit für sie auf Dauer der richtige Weg im Berufsleben ist…