
Die Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufe G11 des Walther-Rathenau-Gymnasiums starten an diesem Tag anders als gewöhnlich in den Unterricht. In einem Klassenzimmer, wo sonst Tische und Stühle aneinandergereiht sind, stehen zwei große abgeschlossene Wahlurnen und daneben drei abgetrennte Wahlkabinen. Die 18-jährige Amira und ihre beiden 16-jährigen Mitschüler Stella und Johannes füllen hier zusammen mit ihren Mitschülerinnen und Mitschülern einen fiktiven Wahlzettel aus.
Am 8. Oktober wählt Bayern seinen neuen Landtag. Rund 9,4 Millionen Wahlberechtigte sind im Freistaat dazu aufgerufen, ihre Stimmen abzugeben. Amira, Stella und Johannes jedoch gehören nicht dazu. Sie sind drei von rund 207.000 Jugendlichen in Bayern, die laut dem Bayerischen Landesamt für Statistik nach dem Landeswahlgesetz keine Wahlberechtigung besitzen.
Wer im Freistaat die Landesregierung wählen will, muss nach bayerischem Recht neben der deutschen Staatsangehörigkeit den Hauptwohnsitz oder Aufenthaltsort in Bayern haben, darf nicht durch einen Richterspruch von der Stimmabgabe ausgeschlossen sein und muss am Wahltag das 18. Lebensjahr erreicht haben. Bricht man die Anzahl der Jugendlichen nach Angaben des Statistischen Landesamts auf Stadt und Landkreis Schweinfurt runter, sind demnach 2620 junge Menschen von der kommenden Wahl ausgeschlossen.
Junge Menschen stärker fördern
"Ein absolutes Unding", finden Luca Häusler und Charlotte Benedict vom Stadtjugendring Schweinfurt. "Junge Menschen müssen gehört werden, damit sie ein Zukunft mitgestalten können, die generationenübergreifend gerecht ist", sagt Häusler. Zusammen mit den oberen Jahrgangsstufen von fünf Schweinfurter Schulen organisierte der Stadtjugendring deshalb eine fiktive Landtagswahl.

Der Jugendring vertritt die Ansicht, dass Projekte zur politischen Bildung essenziell für das spätere Engagement junger Menschen sind. Für Schülerinnen und Schüler sei es wichtig zu lernen, wie Politik funktioniere. "Wir glauben, dass die U-18-Wahl der erste Schritt dahin sein kann", so Häusler.
Bayern schneidet im Vergleich schlecht ab
Das aktive Wahlrecht ab 16 Jahren ist in Deutschland noch recht jung. Laut dem Landesjugendring Brandenburg führte Niedersachsen als erstes Bundesland die Kommunalwahl ab 16 ein. Baden-Württemberg, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen haben mittlerweile nachgezogen.
Was die Landesebene betrifft, können 16-Jährige bisher nur in Brandenburg, Bremen, Hamburg und Schleswig-Holstein wählen. Ein kurzzeitiges U-18-Wahlrecht in Hessen hatte die dortige Regierung unter Roland Koch wieder rückgängig gemacht. In allen Ländern gilt nur das aktive Wahlrecht; man kann also wählen, aber nicht kandidieren. Vergangenes Jahr hatte der Bundestag das Wahlalter zur Europawahl auf 16 abgesenkt. Bei der Bundestagswahl gilt aber weiter ein Mindestalter von 18 Jahren.
Amira Akrah: "Es ist ja auch unsere Zukunft."
"Es ist ja auch unserer Zukunft", sagt Amira Akrah. Die 18-Jährige ist vor fünf Jahren mit ihrer Familie aus Syrien nach Deutschland geflohen. Zwar dürfte Amira ihrem Alter nach schon wählen, allerdings besitzt sie bis heute keine deutsche Staatsbürgerschaft. "Ich habe mit eigenen Augen erlebt, wie schief alles laufen kann, wenn die Demokratie keinen großen Wert hat. Deswegen fände ich es wichtig, dass auch wir hier etwas zu sagen haben." Wenn sie aktuell schon nicht wählen kann, sollen es wenigstens ihre Mitschüler dürfen, so der Gedanke.
Stella Hümmer ist der Meinung, dass junge Menschen politisch wenig erfahren sind. "Aber das Problem könnte man lösen, wenn man so wie wir hier Infoveranstaltungen macht und sich im Unterricht damit auseinandersetzt." So ließe sich auch das Risiko minimieren, auf Falschmeldungen und manipulative Parteipropaganda hereinzufallen. Lehrer und Schule könnten dabei helfen, aufzuklären und einzuordnen.
Vorurteile darüber, dass junge Menschen zu manipulativ oder gar politikverdrossen seien, hält auch Luca Häusler vom Stadtjugendring für voreilig. Ob jemand manipulierbar ist, hänge nicht vom Alter, sondern von der Person selbst ab, sagt er. "Ich glaube, dass auch ein 40-jähriger Mann manipuliert werden kann, genau wie ein 80-Jähriger oder eine 16-Jährige."
Auch Joannes Steger würde gerne mehr mitbestimmen. "In Deutschland wählen sehr viele alte Leute. Ich fände es daher wichtig, das auszugleichen und zu versuchen, die Gesellschaft in all ihren Facetten abzubilden, egal welches Alter." Zudem hätten sich die Zeiten geändert, ergänzt Amira Akrah. "16-Jährige sind heute viel politischer als früher." Oftmals würden Entscheidungsträger nur mit jungen Menschen reden wollen. Ernst genommen fühlt sie sich dadurch aber nicht wirklich.
Jugendliche wünschen sich echte Mitsprache
Das beginne schon bei der Kommunalwahl, sagt Johannes Steger. Viele Jugendliche seien besser als ihr Ruf und könnten sogar noch besser sein, sagt er und deutet dabei auf die lokale Lebenswelt junger Menschen hin. "Wenn ich in Schweinfurt mehr Fahrradwege möchte, wird das nicht in Berlin entschieden." Vor allem hier würde sich der 16-Jährige mehr Austauschformate wünschen, die junge Menschen mit der Lokalpolitik zusammenbringen. "Es wäre mein größter Wunsch, dass ich ab 16 wählen gehen und beeinflussen könnte, was ich gerne hätte."
Noch blockieren CSU, Freie Wähler und AfD das Vorhaben. Doch der Wunsch der Jugendlichen könnte tatsächlich bald in Erfüllung gehen. In Bayern sammelt die Initiative "Vote16" aktuell Unterschriften, um ein Volksbegehren zum Wahlrecht ab 16 auf den Weg zu bringen. Ziel ist es, das Wahlalter zumindest bei Kommunalwahlen vorerst auf 16 Jahre abzusenken. Für Stella, Amira und Johannes jedenfalls wäre das ein wichtiger Schritt, um zumindest lokal mehr Mitspracherecht zu erhalten.
wie auch die Umfrage und Meinungen zeigen: die Mehrheit ist geistig noch nicht reif genug. sieht man ja aktuell allenthalben bei Demos.
in meinem Abi-Jahrgang waren wir damals 5 oder 6 von 120, die sich politisch interessierten/einbrachten und fast alle bis heute politisch aktiv sind.
Senkung von 'Wahl-Reife' würde auch Strafrecht oder Führerschein betreffen.
btw. ich wäre DANN für Strafmündigkeit mit 8 und Jugendstrafrecht bis max. 15 Jahre. das wäre dann nur fair, oder?
Aber hier sagt der Gesetzgeber: nein, Reife fehlt. Finde den Fehler.